Jens Mecklenburg

Herausgeber & Autor

Zum Portrait

Flutschutz

Kieler Forscher entwerfen gigantischen Damm für die Nordsee
19. Februar 2020

Es ist ein furchteinflößendes Szenario: Gelingt es nicht, dem Ausstoß von Treibhausgasen und der dadurch verursachten Klimaerwärmung etwas entgegenzusetzen, droht ein deutlicher Anstieg des Meeresspiegels. Für tiefer gelegene Regionen der Nordsee-Anrainerstaaten mit etwa 25 Millionen Einwohnern wäre das dramatisch. Große Teile der Niederlande und Norddeutschlands könnten unbewohnbar werden.

Zwei Wissenschaftler vom Königlichen Niederländischen Institut für Meeresforschung und vom Geomar-Institut in Kiel haben sich mit genau diesem Szenario befasst. Ihre Forschungsfrage war, ob und wie bei anhaltender Erderwärmung überhaupt noch für den Schutz großer Teile Mittel- und Nordeuropas gesorgt werden könnte.

Forschung für den Ernstfall

Angenommen die Weltgemeinschaft schafft es nicht, die Klimaerwärmung langfristig zu stoppen. Kann ein gigantischer Damm, der die komplette Nordsee schützt, die Überflutung der Anrainerstaaten verhindern? Zwei Wissenschaftler aus den Niederlanden und vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben diese Option in einer Machbarkeitsstudie untersucht, die neben technischen und finanziellen Anforderungen auch Auswirkungen auf die Umwelt sowie sozio-ökonomische Effekt mit in Betracht zieht. Die Arbeit wurde jetzt im Bulletin of the American Meteorological Society (BAMS) veröffentlicht.


Binnenmehr Nordsee

Wir schreiben das Jahr 2500. In den vergangenen 500 Jahren ist es der Menschheit nicht gelungen, die Emission von Treibhausgasen und damit auch die Erwärmung unseres Planeten substantiell einzudämmen. Der Meeresspiegel ist bereits um einige Meter gestiegen, mit weiter steigender Tendenz. Können die tiefer gelegenen Gebiete in den Nordseeanrainerstaaten noch langfristig geschützt werden? Könnte ein gigantischer Damm, der die gesamte Nordsee zu einem Binnenmeer macht, dies noch verhindern? Die Wissenschaftler aus den Niederlanden und vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben diese Option jetzt in einer wissenschaftlichen Studie im Detail untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass der Bau eines so riesigen Bauwerks tatsächlich eine Option sein könnte, als eine viel längere Küstenlinie mit vielen Einzelprojekten weiter zu verteidigen.

Im Kern geht es um zwei Dämme, einen 161 km langen, der den Ärmelkanal im westlichen Bereich zwischen Bretagne und Cornwall und einen zweiten, fast 500 km langen in der nördlichen Nordsee zwischen Schottland und Norwegen. Die mittlere Wassertiefe beträgt im Bereich des Damms im Ärmelkanal 85 Meter, in der nördlichen Nordsee 127 Meter mit einem Maximum von mehr als 320 Metern. Neben den gigantischen Materialmengen, die für die Aufschüttung solcher Dämme notwendig wären, würden auch noch Pumpwerke benötigt, die das aus den Flüssen des umschlossenen Gebietes kommende Wasser in den Atlantik pumpen. Hier kalkulieren die Autoren mit etwa 40.000 m3 pro Sekunde. Die bisher leistungsfähigsten Pumpwerke in New Orleans und am Abschlussdamm des Ijsselmeeres in den Niederlanden liegen bei etwa 500 m3 pro Sekunde. Die Kosten beziffern die Autoren nach heutigen Maßstäben zwischen 250 und 500 Milliarden Euro, was bei einer Bauzeit von 20 Jahren Investitionen zwischen 0.07 – 0.16% des jährlichen Bruttosozialproduktes der 15 Anrainerstaaten bedeuten würde.

Professor Joakim Kjellsson. © Geomar

Völlig unvorstellbar?

„Nach unseren bisherigen Maßstäben klingt die Dimension eines solchen Projekts völlig unvorstellbar“, so Prof. Joakim Kjellsson, Juniorprofessor in der Maritimen Meteorologie und Ko-Autor vom GEOMAR. „Mal abgesehen von den technischen Herausforderungen eines solchen Vorhabens, würde dies natürlich auch massive Einschnitte für Fischerei- und Schifffahrtsindustrie, ganz zu schweigen Einflüssen auf das marine Ökosystem der Nordsee und darüber hinaus haben“, so Kjellsson, weiter. Trotzdem könnte so ein System, wenn es überhaupt technisch realisierbar wäre, wirtschaftlicher sein als individuelle Küstenschutzmaßnahmen in den 15 Anrainerstaaten, so die Autoren. 

„Wir sind nicht wirklich der Meinung, dass ein solches Projekt realisiert werden sollte“, sagt Prof. Kjellsson. „Wir möchten betonen, dass die beste Option nach wie vor darin besteht, gegen den Klimawandel vorzugehen und zu verhindern, dass eine solche Lösung überhaupt notwendig wird“, so der schwedische Wissenschaftler. „Es ging uns auch darum darzustellen, vor welchen immensen Herausforderungen wir stehen, wenn wir die Klimaerwärmung in den kommenden Jahrzehnten nicht in den Griff bekommen. Dann müssen sich zukünftige Generationen mit Problemen dieser Größenordnung beschäftigen oder riesige Landstriche werden unbewohnbar und Millionen von Menschen müssen landeinwärts ziehen“, warnt Prof. Kjellsson eindringlich.