Jens Mecklenburg

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EU-Staaten beschließen Agrarreform

Greenpeace spricht von „Greenwashing übelster Sorte“
21. Oktober 2020

Nur alle sieben Jahre wird darüber entschieden, welche Agrarsubventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an Europas Bauern fließen. Es geht um ein gutes Drittel des gesamten EU-Budgets, um stolze 387 Milliarden Euro! 

Guter oder schlechter Kompromiss?

Die Mitgliedsländer haben in der letzten Nacht einem Kompromissvorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft zugestimmt. Das EU-Parlament will diese Woche seine Linie festlegen. Greenpeace spricht von „Greenwashing übelster Sorte“.

Nach langem Ringen haben die EU-Mitgliedsstaaten in der Nacht zentrale Punkte der milliardenschweren Reform der gemeinsamen Agrarpolitik festgelegt. Die Agrarministerinnen und -minister verständigten sich in Luxemburg auf einen Kompromissvorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Auch das Europaparlament will in dieser Woche zu dem Thema seine endgültige Linie festlegen.

Die Abgeordneten stimmten am späten Abend unter anderem dafür, dass künftig mindestens 30 Prozent der Direktzahlungen für sogenannte Ökoregelungen genutzt werden müssen. Das sind Umweltvorgaben, die über die verpflichtenden Anforderungen hinausgehen. Erfüllt ein Landwirt sie, bekommt er zusätzliches Geld. 

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hatte zuvor einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der vorsah, dass EU-Staaten 20 Prozent der Direktzahlungen für Ökoregelungen reservieren müssen. Dies sollte zunächst in einer zweijährigen Lernphase erprobt werden. Zuvor habe es „sehr viele, sehr intensive Gespräche“ mit den anderen Ländern gegeben, sagte sie. Weil Deutschland noch bis Ende des Jahres den Vorsitz der EU-Staaten innehat, leitete Klöckner die Verhandlungen und drängte auf eine Einigung: Europas Landwirtinnen bräuchten Planungssicherheit.

©Christiansen Bioland

Mehr Sanktionen 

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen die Staaten nun unter anderem mehr Freiheiten bekommen, wie sie eine Reihe vorgegebener Ziele erreichen wollen – etwa die Erhaltung der Natur, den Klimaschutz und die Sicherung der Lebensmittelqualität. Dazu sollen sie jeweils nationale Pläne erstellen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssten.

Die Abgeordneten genehmigten außerdem eine Änderung, um Sanktionen für diejenigen zu erhöhen, die wiederholt gegen EU-Anforderungen verstoßen. Mindestens sechs Prozent des nationalen Budgets für Direktzahlungen sollten zur Unterstützung kleiner und mittelgroßer Landwirtschaftsbetriebe bereitgestellt werden. Gut ein Drittel des Geldes, das für die ländliche Entwicklung vorgesehen ist, soll in Umwelt- und Klimamaßnahmen fließen.


Kritik am Greenwashing

Der Vorschlag, den die drei größten Fraktionen – Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale – vorgelegt hatten, erntete jedoch auch deutliche Kritik. Bemängelt wurde, dass Umwelt- und Klimaschutz nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die drei Fraktionen hätten sich gegen das Klima durchgesetzt, schrieb etwa der Grünenabgeordnete Michael Bloss auf Twitter.

Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Lasse van Aken nannte den Kompromiss „Greenwashing übelster Sorte“ – kritisierte also, es werde versucht, der Reform ein umweltfreundliches Antlitz zu verleihen, ohne dass es dafür gute Gründe gäbe. „Das Geld der Steuerzahler fließt ohne Umweltvorgaben weiterhin größtenteils als Direktzahlungen, von denen besonders Großbetriebe profitieren“, sagte van Aken.

Für die EU-Staaten geht es bei der Reform um sehr viel Geld. Die Agrarpolitik ist mit derzeit 387 Milliarden Euro über die nächsten sieben Jahre der größte Posten im EU-Haushalt. Deutschland stehen davon rund 42 Milliarden Euro zu.

2018 hat die EU-Kommission eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Mittlerweile gilt für die nächsten zwei Jahre bereits eine Übergangsphase, sodass neue Regeln erst ab 2023 in Kraft treten würden. 

Parallel debattiert diese Woche auch das EU-Parlament über die Reformpläne. Das Thema ist unter den Abgeordneten ebenfalls hoch umstritten. Da es mehr als 2.000 Änderungsanträge gibt, werden sie sich wohl erst gegen Ende der Woche auf eine gemeinsame Position verständigen. Danach könnten die Verhandlungen zwischen den beiden EU-Institutionen über einen finalen Text beginnen.

©James Farm

Lobbyismus vom Feinsten

Eigentlich hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen versprochen, dass künftig Umweltkriterien eine größere Rolle spielen sollten – doch bei den Verhandlungen über eine Reform spielten sie kaum eine Rolle. Kein Wunder wie Recherchen von SPIEGEL und den Medienplattformen Lighthouse Reports, Mediapart und Follow the Money zeigen, profitieren einige der maßgeblichen Akteure selbst direkt oder indirekt von Agrarsubventionen. Entsprechend gering dürfte ihr Interesse an echten Reformen sein. „Das ist kein normaler Lobbyismus, da sitzen Landwirte an vielen entscheidenden Schaltstellen“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund zu den Recherchen.

„Der EU-Agrarrat setzt seine zerstörerische Subventionspolitik zugunsten großer Agrarkonzerne fort. Obwohl sich Europas Natur in einem miserablen Zustand befindet und das Artensterben auf Europas Wiesen und Feldern weiter voranschreitet, legen die Ministerinnen und Minister eine desaströse Positionierung zur GAP-Reform vor“, schloss sich WWF-Naturschutzvorstand Christoph Heinrich der Kritik an den EU-Beschlüssen an. 

„Angeführt von Julia Klöckner hat der Agrarministerrat die ohnehin schon schwache Vorlage der EU-Kommission bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Was übriggeblieben ist, wird keines der drängenden Probleme der Landwirtschaft lösen. Statt entschieden gegen Höfesterben, Artenverlust und Klimakrise vorzugehen, betreiben Klöckner und viele ihrer europäischen Kolleginnen und Kollegen klassische Klientelpolitik für Großbetriebe und Agrarwirtschaft zu Lasten bäuerlicher Familienbetriebe und der Umwelt“, zog Greenpeace Landwirtschaftsexperte Lasse van Aken Bilanz.