Jens Mecklenburg

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Aufstand der Kontrolleure gegen Klöckner

Ernährungsministerin Julia Klöckner will weniger Lebensmittelkontrollen
4. September 2020

Ernährungsministerin Julia Klöckner will die Lebensmittelkontrollen neu ordnen. Nun schlagen Verbraucherschützer gemeinsam mit den zuständigen Beamten Alarm: Die Reform diene bloß dem Schönen der Statistik und gefährde die Gesundheit der Bürger.

Amtsveterinäre und Lebensmittelkontrolleure fallen eher selten durch rebellische Umtriebe auf – umso mehr ist ihre Pressekonferenz vom letzten Freitag in Berlin gemeinsam mit der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch als ein Akt der Notwehr gegen eine drohende Verschlechterung der Lebensmittelkontrollen in Deutschland anzusehen.  

Ministerin Klöckner ©BPA Steffen Kugler

Aus den Skandalen nichts gelernt?

Nach den zahlreichen Skandalen in Wurstfabriken wie zuletzt bei Wilke und den erschreckenden Zuständen in Schlachtbetrieben sollte man meinen, dass die Politik strengere Regeln für die körperliche Unversehrtheit ihrer Bürger ins Auge fasst. Weit gefehlt: Nach Ansicht des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte sowie des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure führt der von Julia Klöckner bereits im Juli durchs Kabinett gebrachte Entwurf zur Reform der Lebensmittelkontrolle zu einer deutlichen Schwächung der Lebensmittelsicherheit in Deutschland. Anders als das Bundeslandwirtschaftsministerium beteuert, verursache die Neufassung mit dem hübschen Namen „AVV Rüb“ faktisch eine drastische Reduktion der vorgeschriebenen Zahl der Betriebskontrollen. 

Die Fachleute, die hierzulande die Lebensmittelkontrollen in Restaurants und Imbissständen, Einkaufsläden und Produktionsbetrieben, Fleischfabriken und Schlachtereien durchführen, teilen die Analyse von Foodwatch, wonach durch die Neuregelung insbesondere bei Betrieben der höheren Risikoklassen erheblich weniger verpflichtende Kontrollen stattfinden würden. Wo bisher beispielsweise tägliche Besuche vorgeschrieben waren, soll künftig nur noch wöchentlich kontrolliert werden; Betriebe in der zweiten Risikoklasse fallen von wöchentlichen auf monatliche Pflichtkontrollen zurück, so die Experten. 


Verschlechterung des Verbraucherschutzes

Um eine Gesundheitsgefährdung von Menschen zu verhindern, fordern die Verbandsvertreter und Verbraucherschützer die Bundesländer auf, den Regierungsentwurf im Bundesrat abzulehnen. Denn schon jetzt ist der Istzustand alarmierend: Die zuständigen Stellen bewältigen aufgrund von Personalmangel gerade mal rund 60 Prozent der vorgeschriebenen Pflichtkontrollen. Circa 90 Prozent der rund 400 Lebensmittelkontrollbehörden verstoßen gegen ihre Vorschriften, weil sie die Arbeitslast nicht bewältigen. 

Statt mehr Leute einzustellen, sollen nun einfach die Vorgaben heruntergefahren werden. „Ämter, die heute bloß drei Viertel ihrer Kontrollaufgaben schaffen, können dann 100 Prozent Planerfüllung melden, ohne dass mehr geprüft wurde“, sagt Holger Vogel, Präsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte. „So wird der tatsächliche Personalbedarf kaschiert und der Präventionsgedanke ein Stück weit verlassen.“

Für die Bundesländer, die schon am 18. September im Rat darüber abstimmen könnten, ist Klöckners Entwurf verlockend, weil sie ihre Kontrollverpflichtung ohne Mehrkosten erfüllen könnten. „Die Aufgaben werden einfach dem Personal angepasst, statt das Personal den Aufgaben anzupassen“, sagt Maik Maschke, Vizevorsitzender des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure. „Wird die Reform angenommen, bedeutet das eindeutig eine Schwächung des Verbraucherschutzes.“

Auch das Vorhaben, im Fall konkreter Hinweise verstärkt Anlasskontrollen vorzunehmen, halten die Praktiker für ungenügend: „Das sind kaum mehr als Löscheinsätze, wenn die Bude bereits brennt“, so Vogel. Was man brauche, sei präventiver Brandschutz: „Eine Fokussierung auf Anlasskontrollen bedeutet, den Lebensmittelrechtsverstößen und damit der Gefährdung der Verbraucher hinterherzulaufen.“ Einzig die vielen Pflichtkontrollen würden dafür sorgen, Risikobetriebe schon im Vorfeld auszumachen und die Belegschaften auch mal ohne Strafandrohung zu beraten und zu schulen. 


Fake-News-Kampagne

Klöckner widerspricht dieser Einschätzung: „Der gestärkte risikobasierte Ansatz, der die vermehrte Durchführung von anlassbezogenen Kontrollen ermöglicht, ist ein Beleg dafür, dass die Kontrolldichte in Deutschland auf Grundlage der Neuregelung der AVV RÜb keineswegs verringert wird“, teilte das Ministerium auf Anfrage mit.

Schon vor Monaten hat Foodwatch den damals noch vertraulich behandelten Entwurfstext aus dem Hause Klöckner ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, analysiert und die Folgen der dezimierten Kontrollen angeprangert. Das Ministerium dementierte ein ums andere Mal hart. „Die Bürger in Deutschland müssen sich darauf verlassen können, dass Lebensmittel sicher sind. Deshalb wollen wir den Überwachungsdruck in Problembetrieben durch zusätzliche Kontrollen erhöhen“, ließ die Ministerin Ende Juli verlautbaren. Später schrieb sie in einem Brief an die zuständigen Länderminister und Senatoren: „Dabei ist es für mich wesentlich, dass die Kontrolldichte – wie zugesagt – nicht abnimmt und die Kontrollen nun sogar stärker auf neuralgische Punkte ausgerichtet werden.“

„Diese Aussage widerspricht klar dem Inhalt der Verwaltungsvorschrift“, sagt Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. „Julia Klöckner reitet eine Fake-News-Kampagne von Trump’schem Ausmaß, um zu kaschieren, dass ihre Reform die Zahl der Lebensmittelkontrollen deutlich reduzieren würde.“ Er fordert die Landesregierungen auf, die Klöckner-Reform im Bundesrat zu stoppen und nicht der Versuchung zu erliegen, sich statistisch aufzuhübschen. 

Auch Amtstierarzt Vogel missfällt die irreführende Kommunikation aus dem Hause Klöckner. „Man kann ja der Meinung sein, dass die Lebensmittelkontrollen in Deutschland so gut sind, dass man sie reduzieren kann. Doch dann sollte man auch offen dazu stehen.“