Jens Mecklenburg

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Kükenschreddern ab 2022 verboten

Das Elend unserer Hühner
10. September 2020

In Deutschland werden jährlich 45 Millionen männliche Küken nach dem Schlüpfen getötet, da sie später keine Eier legen und weniger Fleisch ansetzen.

Nun legte Agrarministerin Julia Klöckner einen Gesetzesentwurf vor, der das Töten von männlichen Küken verbieten soll. Aber erst ab 2022 seien Methoden zur Geschlechtserkennung im Ei marktreif, sagte die Landwirtschaftsministerin. Die Opposition kritisiert den Aufschub. Verbraucher- und Tierschutzorganisationen weisen auf das generelle Elend von Hühnern in der Massentierhaltung hin. 

Der Markt bestimmt die Ethik

Das Töten von männlichen Eintagsküken wird ab Ende 2021 verboten. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat dafür einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er sieht eine Änderung des Tierschutzgesetzes vor, der zufolge bei Verstößen gegen das Verbot Sanktionen möglich werden. Damit folgt die Bundesregierung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hatte 2019 beschlossen, dass die umstrittene Praxis nur noch für eine Übergangszeit zulässig ist.

Deutschland ist dabei laut Klöckner weltweiter Vorreiter. Es sei „ethisch nicht vertretbar“, dass Tiere nach dem Schlüpfen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden. Gegenüber der Kritik von vielen Seiten, dass das Verbot viel früher hätte beschlossen werden sollen, entgegnete Klöckner, dass es bisher keine marktreifen Alternativen dafür gegeben habe. Hätte es früher ein Verbot gegeben, würden Brütereien lediglich ins Ausland auswandern, wo das Kükenschreddern erlaubt bleibt.

„Mit der Geschlechtserkennung im Ei steht den Betrieben eine Alternative vor, die nicht nur marktreif ist, sondern bis Ende 2021 auch breitflächig verfügbar ist“, sagte Klöckner bei einer Pressekonferenz. Erst dadurch könne das Tierschutzgesetz greifen. Andernfalls würde die Gesetzesänderung nicht rechtskräftig sein. „Das ist eine deutliche Verbesserung des Tierschutzes“, sagte die Ministerin. Dennoch seien die jetzigen Verfahren nur „Brückentechnologien“ und müssten weiter verbessert werden. Trotzdem sei das Gesetz ein „Meilenstein für den Tierschutz“.

Um das Kükentöten zu vermeiden, sind zwei Verfahren entwickelt worden. Bei einem wird einige Tage lang bebrüteten Eiern durch ein winziges Loch etwas Flüssigkeit entnommen, um das Geschlecht zu bestimmen. Das ermöglicht, dass männliche Küken nicht ausgebrütet werden. Beim zweiten Verfahren wird ein spezieller Lichtstrahl ins Innere des Eis geschickt, eine Analyse des reflektierten Lichts ermöglicht die Geschlechtsbestimmung.


Geschlechtserkennung schon im Ei 

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenem Jahr zufolge ist die Verfügbarkeit solcher Technologien eine Voraussetzung für ein Verbot des Kükenschredderns. Das Gericht hatte damals beschlossen, dass die Belange des Tierschutzes schwerer wiegen als wirtschaftliche Interessen. Laut Tierschutzgesetz dürfen einem Tier „ohne vernünftigen Grund“ keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Als solchen erkannte das Gericht die wirtschaftlichen Aspekte nicht an.

Zwei Jahre nach dem Verbot, ab Anfang 2024, soll das Gesetz daher ausgeweitet werden: Ab da müssen Brütereien Methoden zur Geschlechtsbestimmung anwenden, die vor dem siebten Bruttag greifen. Danach empfänden Hühnerembryos Schmerz, heißt es im Gesetzentwurf. Die bisher marktreifen Verfahren bestimmen das Geschlecht im Ei in einem Zeitraum vom 9. bis zum 14. Bebrütungstag. „Es wird dennoch weiter geforscht, um zu einem noch früheren Zeitpunkt die Geschlechterbestimmung im Ei vornehmen zu können,“ so die Ministerin.

Klöckner betonte, die Brütereien hätten „hinreichend Grund und Zeit gehabt, ihre Betriebsweise umzustellen“. Die Branche „hatte ihre Chance – bislang ist aber nicht zu erkennen, dass sie die bestehenden Alternativen auch nutzt, um schnellstmöglich auszusteigen“.

Billige Schaufensterpolitik?

Klöckners Gesetzentwurf zog vor allem wegen der bis Ende 2021 anhaltenden Überbrückungszeit Kritik auf sich. So sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied, er sehne den Tag herbei, „an dem dieses Thema endlich Geschichte ist“. Praxistaugliche Verfahren zur Geschlechtsbestimmung sollten schnellstmöglich flächendeckend zum Einsatz kommen. Wichtig sei, dass die gesetzliche Regelung nicht durch den Einkauf von Eiern im Ausland unterlaufen werde. Auch Klöckner rief die Verbraucher auf, ab Geltung des Gesetzes auf Eier aus dem Ausland zu verzichten, wenn die Tiere dort weiterhin geschreddert werden.

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft teilte mit, die Branche wolle den Ausstieg lieber heute als morgen. „Das Gesetz darf nicht den Eindruck erwecken, eine kurzfristige Lösung bis Ende 2021 sei völlig unproblematisch möglich“, sagte Verbandschef Friedrich-Otto Ripke. Grund hierfür sei der europäische Markt: Im freien EU-Warenverkehr könnten zum Beispiel polnische oder niederländische Brütereien weiterhin männliche Küken am ersten Lebenstag töten und Eier in Deutschland anbieten. „Nur EU-Recht kann dieses Dilemma auflösen.“ Anfang des Jahres hatten sich Deutschland und Frankreich vorgenommen, bis Ende 2021 eine Lösung zu finden. 

Auch die FDP kritisierte das Fehlen einer europäischen Regelung. Es sei „traurig und ambitionslos zugleich“, dass Klöckner sich mit einem nationalen Verbot begnüge, sagte der agrarpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Gero Hocker. „Sie lässt damit die großartige Chance der deutschen Ratspräsidentschaft ungenutzt verstreichen.“ Würde es ihr wirklich um das Wohl der Tiere gehen, hätte sie einheitliche europäische Rahmenbedingungen angestrebt. Stattdessen bleibe die Bundesregierung bei „billiger Schaufensterpolitik“. Für die Küken würde sich nur ändern, dass sie künftig im Ausland getötet werden.

Auch die SPD sieht trotz des angekündigten Gesetzentwurfs Versäumnisse. Klöckner habe sich viel zu lange nicht um eine Lösung gekümmert, sagte die Tierschutzbeauftragte der SPD-Fraktion, Susanne Mittag. „Sowohl im Koalitionsvertrag als auch in einem ergänzenden Entschließungsantrag hatten wir schnellere Lösungen beschlossen.“ Vereinbart sei gewesen, schon bis zur Mitte der Wahlperiode das Verbot der Kükentötung durchzusetzen. „Dadurch, dass Frau Klöckner erst den Weg der Freiwilligkeit gehen wollte, hat sie viel Zeit verschenkt.“


Kükenschreddern sollte schon 2019 verboten sein

Tatsächlich heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD: „Das Töten von Eintagsküken werden wir bis zur Mitte der Legislaturperiode beenden.“ Auch die Grünen kritisieren das Tempo. Seit 2015 hätten die Landwirtschaftsminister der Union das Ende des „Kükenschredderns“ angekündigt, sagte Fraktionsvize Oliver Krischer. „Ich erwarte, dass jetzt eine gesetzliche Verpflichtung umgesetzt wird, dass die Brütereien die neue Technik umgehend einsetzen müssen und nicht irgendwann in den nächsten Jahren.“ Die neue Technik führe zu Mehrkosten von zwei Cent pro Ei. „Das ist es wert.“

SPD und Grüne fordern zudem weitere Schritte für den Tierschutz in der Hühnerwirtschaft. Dazu gehöre eine Haltungskennzeichnung für Eier auch in verarbeiteten Produkten, sagte Krischer. „Dort werden immer noch in großem Umfang Eier von Hühnern aus Käfighaltung eingesetzt. Wenn das dort draufsteht, werden weniger Käfigeier nachgefragt.“ SPD-Tierschutzbeauftragte Mittag ergänzte, dass Klöckner „endlich ein staatliches Tierwohllabel“ vorlegen müsse, das Geflügel und Eier erfasst. Ein solches Label ist bereits in Planung, soll allerdings zunächst nur für Schweinefleisch gelten.

Legebatterie. Foto: AdobeStock

Kritik von Verbraucher- und Tierschützern

Auch der Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch, Martin Rücker, kritisierte Klöckner: „Nachdem die Große Koalition das Ende des Kükentötens im Koalitionsvertrag bereits für das Jahr 2019 fest versprochen hatte, vertagt sie dies nun auf die nächste Legislaturperiode. Entscheidend aber ist: Julia Klöckner bekämpft Symptome und zementiert die systemischen Probleme beim Tierschutz. Wenn mit dem Kükentöten eine grausame Praxis eines Tages wirklich beendet sein sollte, bleibt doch das ganze andere Elend der Hühner beim Alten. Die eindimensionale Höchstleistungszucht wird weiterhin Legehennen auf maximale Legeleistung trimmen, so dass sie massenhaft unter Knochenbrüchen leiden, weil ihnen aufgrund der Fließband-Eierproduktion das Kalzium für den eigenen Skelettbau fehlt. Sie wird weiterhin Masthühner mit einem möglichst schnellen Fleischansatz hervorbringen, deren Körperbau der Geschwindigkeit ihrer Gewichtszunahme überhaupt nicht standhalten kann. Wem der Tierschutz am Herzen liegt, muss an der Wurzel ansetzen und die Vermeidung von Schmerzen, Schäden und Leiden aller Nutztiere ins Zentrum seiner Politik rücken, anstatt lediglich die unappetitlichsten Symptome wie das Kükentöten zu beklagen. Tierschutzgerechte Lebensbedingungen schafft man nicht, indem allein die symbolträchtigsten Praktiken beseitigt werden.“ 

Laut der Nutztierschutzorganisation PROVIEH, ist der Ausweg aus dem Dilemma seit Jahrhundertern erprobt: mit dem robusteren Zweinutzungshuhn, welches sowohl ausreichend Eier legen kann als auch genügend Fleisch ansetzt. Zusammen mit einer Reduktion von tierischen Produkten und einem bewussten Konsum des Verbrauchers könne dem Kükentöten so ein tierschutzgerechtes Ende bereitet werden. Das von der Bundesministerin gepriesene technische Verfahren hingegen bestehe lediglich in Symptombekämpfung. „Es ist Zeit, eine tierschutzgerechte Lösung für das Geflügel in Deutschland einzuführen und der Geflügelwirtschaft einen Weg der Nachhaltigkeit und Planungssicherheit zu weisen“, sagt Mareike Petersen, Fachreferentin für Geflügel bei PROVIEH. „Die Tierschutzbedenken unserer Gesellschaft und die Missstände in den einzelnen Zuchtrichtungen sind bekannt. Wir fordern die artgemäße Haltung eines gesunden robusten Zweinutzungshuhns. Damit der Verbraucher die tierschutzkonforme Lösung auch wirklich wählen kann, ist außerdem eine verpflichtende Deklaration der Herkunft von Eiern in verarbeiteten Produkten dringend notwendig.“ 


Hintergrund

In Deutschland werden jährlich 45 Millionen männliche Küken nach dem Schlüpfen getötet, da sie später keine Eier legen und weniger Fleisch ansetzen. In Europa sind es 500 Millionen und knapp 2,5 Milliarden weltweit. Hierzulande gibt seit Jahren Forderungen, die Praxis zu verbieten. Das Landwirtschaftsministerium hatte 2008 damit begonnen, die Erforschung alternativen Verfahren zu fördern.

©Marienhof