Gefragt zu werden, ob man ein Buch zu irgendeinem Thema schreiben könnte, ist immer wunderbar. Nein, denkt die Autorin, egal, wie beglückt sie über die Anfrage ist, unmöglich, dazu fällt mir garantiert nichts ein … eine halbe Stunde später kommt die erste Idee, und nach drei Tagen ist das Buch im Kopf schon fast fertig. Viel später stellt sich heraus, dass mindestens die Hälfte der schönen Ideen rein gar nichts taugt, und nun geht es mit der Arbeit richtig los.
So war das in diesem Fall aber nicht. Die Frage war, ob ich ein Buch schreiben könnte über Dinge, die man in Norwegen unbedingt unterlassen sollte. Erster Gedanke: Hä? Allerdings scheinen solche Bücher gerade in zu sein, es gibt eine ganze Benimmliteratur für alle möglichen Länder, wie ich nun weiß. Mir fiel aber nur ein einziger Fauxpas ein, den man in Norwegen unbedingt vermeiden sollte. Alles andere sind Dinge, die man eigentlich überall unterlassen sollte, aber dazu kommen wir noch.
Beim König zu Gast
Für Norwegen gilt: Wenn man beim König im Schloss zum Essen eingeladen ist, darf man sich erst erheben, wenn der König das Zeichen dazu gegeben, gewissermaßen die Tafel aufgehoben hat. Egal, ob Wein und Cognac in Strömen geflossen sind, und ob auch die Blase birst – aufstehen ist streng verboten. Was bei Zuwiderhandlung geschieht, war allerdings nicht in Erfahrung zu bringen. Der Gast erhebt sich, schon eilen die Lakaien herbei und drücken ihn zurück auf den Stuhl? Oder zerren sie ihn aus dem Saale und er wird im Morgengrauen in der Festung Akershus füsiliert? Die Pressestelle im Schloss schweigt auf diese Fragen hin, vermutlich passiert dem Gast gar nichts, die Hofschranzen murmeln, „typisch, kommt aus einer Republik, was kann man da schon erwarten?“, und das war’s (und man wird natürlich nie wieder eingeladen, das ist klar.)
Von den vielen Büchern zum Thema, die es bereits gibt, suchte ich mir eins über Schweden aus, da kenne ich mich aus, manches ist sogar ähnlich wie in Norwegen. Und auch aus Schweden weiß ich einen Fauxpas, den man vermeiden muss. Der kommt in besagtem Schwedenbuch aber nicht vor. Stattdessen erfahren wir, dass es in Schweden gar nicht gern gesehen wird, wenn man sich in Warteschlangen vordrängt; wenn man im Supermarkt nach Bedienung schreit, weil man das Gewünschte nicht sofort findet; wenn man bei der Notaufnahme im Krankenhaus einige Stunden warten muss und lauthals nach Behandlung verlangt; wenn man an einem schönen Haus vorbeikommt und dann ans Fenster tritt und sich die Nase daran plattdrückt, um zu sehen, wie es eingerichtet ist; wenn man Bekannten, die keinen Wein mehr wollen, weil sie noch fahren müssen, trotzdem einschenkt und sagt, ach, hier draußen wird sicher nicht kontrolliert.
Das hier ist ein Zitat aus einem Buch, das ich wirklich geschrieben habe: „Wer sich an ganz einfache Benimmregeln hält, wie sie in Castrop-Rauxel oder Bremen-Vegesack gelten, hat auch in der Rosenkrantzgate nicht zu befürchten.“ Damit war zwar eine angeblich verrufene Straße in Oslo gemeint, es gilt aber ganz allgemein auch in Schweden.
Schwedischer Fauxpas
Der spezifisch schwedische Fauxpas aber ist dieser, und ich verdanke den heißen Tipp der Autorin Louise Boije af Gennäs (der Name sagt ja schon, dass sie weiß, wovon sie redet). Wenn man bei Angehörigen des schwedischen Hochadels eingeladen ist, darf man an der Wohnungstür nicht die Schuhe ausziehen, wie es sonst nicht nur in Schweden zum guten Ton gehört. Denn wenn man sie auszieht, deutet man an, dass man nicht glaubt, die Gastgeber seien reich genug, um sich eine Putzfrau zu leisten, und das nehmen sie dann übel. Eine Regel, die man sich leicht merken kann, und sie ist leichter zu befolgen als die norwegische (wobei die meisten von uns wohl weder je beim König von Norwegen noch beim schwedischen Hochadel zu Gast geladen sein werden). Nur, viele Angehörige des schwedischen Hochadels haben Namen, denen der Adel nicht anzusehen ist, und was, wenn die frisch geschlossene Bekanntschaft einlädt, wir haben keine Ahnung, dass wir es mit einer Durchlaucht zu tun haben und ziehen die Schuhe aus? Ich mag mir das gar nicht vorstellen, aber auch hier endet es vermutlich mit Kopfschütteln und der Erkenntnis schwedischerseits: Republik, was kann man da schon erwarten, die laden wir nicht mehr ein.
Aus diesen beiden Benimmregeln, von denen zudem nur die eine Norwegen-tauglich ist, ließ sich beim besten Willen kein Buch machen. Weshalb dieses ungeschrieben bleiben wird, jedenfalls von mir.
Bücher von Gabriele Haefs