Nach einem Jahr in der Arktis hat der Forschungseisbrecher Polarstern seine Rückreise nach Bremerhaven angetreten. Ein Ergebnis: In der Arktis zeigt sich der Klimawandel besonders deutlich, das Eis schmilzt dahin.
Zum Abschied fotografierten sich noch einmal alle gemeinsam auf dem Eis, dann ging es heimwärts: Wissenschaftler und Besatzung des Eisbrechers Polarstern sind auf dem Weg zurück nach Bremerhaven. Genau ein Jahr nach dem Start der Überwinterungsexpedition Mosaic habe das Schiff die Scholle verlassen, an der es befestigt war, hieß es vom Alfred-Wegener-Institut (AWI).
Die Polarstern wird am 12. Oktober in ihrem Heimathafen erwartet. Sie war am 20. September 2019 vom norwegischen Tromsø Richtung Zentralarktis gestartet.
In der Arktis driftete das Schiff mit einer riesigen Scholle mit, damit die Wissenschaftler an Bord umfangreiche Messungen im Ozean, im Eis und in der Atmosphäre vornehmen konnten. Die Forscher erhoffen sich dadurch neue Erkenntnisse über das Klimasystem der Erde. Die Arktis erwärmt sich schneller als jede andere Region des Planeten. Dadurch schrumpft auch die sommerliche Meereisausdehnung. In diesem Jahr erreichte sie mit 3,8 Millionen Quadratkilometern den zweitschlechtesten Wert seit Start der Aufzeichnungen. Wärmewellen hätten dem Eis demzufolge sowohl von oben als auch von unten zugesetzt und es großflächig schmelzen lassen, so das AWI. Nach Angaben des Instituts gab es eine Arktisexpedition in dieser Größenordnung zuvor noch nie. Beteiligt waren mehr als 70 wissenschaftliche Institute aus fast 20 Ländern mit Hunderten Forschern.
Corona erschwerte Expedition
Neben widrigen Wetterbedingungen zum Start und beim ersten Austausch der Crew hatte vor allem die Coronakrise die Logistik der Expedition erschwert. Unter anderem mussten begleitende Untersuchungen mit Flugzeugen stark zusammengekürzt werden. Außerdem konnte die Polarstern nach dem Start der Pandemie nicht wie geplant von Eisbrechern anderer Staaten besucht werden. Auch ein geplanter Crew-Austausch mit Flugzeugen, die auf dem Eis landen sollten, musste abgesagt werden.
Stattdessen machte sich die Polarstern zwischenzeitlich von ihrer Scholle los, um im Sommer bei Spitzbergen die deutschen Forschungsschiffe Maria S. Merian und Sonne zu treffen. Von ihnen wurden neue Versorgungsgüter und frisches Personal übernommen. Anschließend fuhr der Eisbrecher zurück in die zentrale Arktis. Am 19. August erreichte das Schiff den Nordpol. Der Eisbrecher war dafür durch Seegebiet gefahren, das in der Vergangenheit von dichter Bedeckung mit teilweise mehrjährigem Eis geprägt war. Diesmal dauerte die Reise von der nördlichen Framstraße bis zum Pol dagegen nur sechs Tage.
Arktiseis schmilzt
Seit mehr als 40 Jahren beobachten Forscher mit Satelliten die Ausdehnung des Eises in der Arktis. Am geringsten ist die Fläche des Eises traditionell am Ende des Sommers.
In diesem Jahr liegt die Ausdehnung des Eises nun auf dem zweitniedrigsten Wert seit Start der Messungen. Aktuellen Satellitenaufnahmen zufolge bedeckten die Schollen am Ende der zweiten Septemberwoche nur noch eine Fläche von 3,8 Millionen Quadratkilometern. Noch niedriger lag der Wert nur am Ende des Sommers 2012. Damals waren nach Angaben der Universität Bremen sogar nur noch 3,27 Millionen Quadratkilometer übriggeblieben. Damit sind 2020 und 2012 überhaupt die einzigen Jahre, in denen die Eisausdehnung unter 4 Millionen Quadratkilometern lag.
Die Arktis erwärmt sich seit rund drei Jahrzehnten etwa doppelt so schnell wie alle anderen Regionen der Erde. Das verändert die Ökosysteme der Region massiv und bringt zum Beispiel für Eisbären und Robben Probleme.
Wärme von oben und unten
Für das jeweilige Ausmaß des Eisverlustes gibt es in den Jahren aber immer auch individuelle Gründe. In diesem Jahr spielten mehrere Faktoren eine Rolle: Zum einen, so heißt es beim AWI in Bremerhaven, sei im zurückliegenden Winter in den russischen Randmeeren überwiegend dünnes Meereis gebildet worden. Dieses sei dann im Frühling schnell geschmolzen.
Zum anderen war es in diesem Jahr in der Arktis vielerorts auch besonders heiß. Wärmewellen setzten dem Eis sowohl von oben als auch von unten zu und ließen es großflächig verschwinden. „Diese Wärme schmolz zunächst das dünne Meereis in der Laptewsee, anschließend beschleunigte sie den Rückzug des Eises in der Ostsibirischen See, sodass die russische Arktis bereits im Juni dieses Jahres rund eine Million Quadratkilometer weniger Meereis aufwies als in den sieben Jahren zuvor“, so AWI-Meereis-Physiker Christian Haas.
Im Juli war eine Wärmezelle dann in die zentrale Arktis gewandert. Dort hatte sie die Lufttemperaturen bis zu sechs Grad Celsius über das Langzeitmittel der Jahre 1981 bis 2010 steigen lassen. Die hohen Temperaturen spielten auch eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung von Waldbränden auf dem arktischen Festland, vor allem in Sibirien. Zum Schwinden des Meereises trug auch ein schwerer Sturm in der kanadischen Arktis bei. Dieser hatte das im Ozean treibende Meereis großflächig verteilt. Viele der Schollen schmolzen anschließend innerhalb kurzer Zeit.
Das Eis hat eine helle Oberfläche, dadurch wird ein Großteil des Sonnenlichts reflektiert. Wenn aber, etwa durch einen Sturm, die Wasseroberfläche frei liegt, ist diese viel dunkler. Statt zurückgeworfen zu werden, wird ein guter Teil der einströmenden Energie gespeichert – und trägt zum Abschmelzen weiterer Schollen bei. Dadurch entsteht eine Art Teufelskreis. Die Meeresoberflächentemperatur in den russischen Randmeeren sowie in der Barentssee und der Tschuktschensee lag laut AWI bis zu 4,5 Grad über dem Langzeitmittel.
Das dünne Eis bemerkte auch die Crew der Polarstern. Ganz zum Ende der einjährigen Driftexpedition Mosaic hatte das Schiff einen Abstecher zum Nordpol gemacht – durch extrem dünnes Eis verlief die Fahrt deutlich schneller als gedacht. Man habe dabei „weite Bereiche offenen Wassers fast bis zum Pol, umgeben von Eis, welches durch massives Schmelzen völlig durchlöchert war“ gesehen, so Expeditionsleiter Markus Rex. „Das Eis der Arktis schwindet in dramatischer Geschwindigkeit.“
Neues Klimaregime
Da die Schollen des Arktiseises auf dem Wasser schwimmen, tragen sie nicht zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Anders ist das, wenn etwa von den Gletschern auf den kanadischen Inseln, aber vor allem auf Grönland mehr Eis ins Meer gelangt. Zuletzt war am Nioghalvfjerdsfjorden-Gletscher auf Grönland ein 113 Quadratkilometer großes Stück Eis abgebrochen.
Forscher gehen davon aus, dass die Arktis inzwischen in ein neues Klimaregime eingetreten ist. Die Arktis befindet sich bereits in einem völlig anderen Klima als noch vor wenigen Jahrzehnten, sind sich die Forscher einig. Selbst bei einem ungewöhnlich kalten Winter werde es daher nicht mehr so viel Eis geben, wie es noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall gewesen sei.