Die Geschichte hinter dem Gericht

Gastro & Regionalwert: Warum norddeutsche Küche mit norddeutschen Produkten am besten ist
21. Januar 2022

Die Regionalwert AG Hamburg baut ein Netzwerk vom Acker bis zum Teller auf. Oder anders gesagt: Vom landwirtschaftlichen Betrieb über Lebensmittelhandwerk und -vermarktung bis hin zur Gastronomie. 

Und in der Gastronomie befinden wir uns heute. Gastronominnen und Gastronomen aus dem Regionalwert-Netzwerk schnacken digital miteinander. Das Gespräch startet mit Steffen Burkhardt (Alte Schmiede Ottensen, Hamburg), Bernd Ratjen (Zur Erholung, Uetersen) und Jens Rittmeyer (Rittmeyers Restaurant No4, Buxtehude). Das Gespräch führt Ulf Schönheim von der Regionalwert AG Hamburg.

Virtuelles Interview von Ulf Schönheim (unten) mit den KöchInnen

Ulf Schönheim: Herzlich willkommen zu unserer kleinen Runde! Fangen wir mal direkt an: Warum ist euch die Zusammenarbeit mit regionalen Landwirten und Produzenten wichtig? Warum macht ihr das?

Bernd Ratjen: „Entschuldigung, ich muss kurz in die Küche, bin in zehn Minuten wieder da.“


Ok, aber merk dir die Frage! Steffen, du warst als erster online, leg doch einfach mal los.

Steffen Burkhardt: Ich möchte wissen, woher unsere Produkte kommen und wie sie produziert werden – unter welchen natürlichen und sozialen Bedingungen. Wie sind die Löhne auf dem Hof, wie ist das Arbeitsklima? Den regionalen Weg einzuschlagen tut mir persönlich gut. Und außerdem wollen wir dazu beitragen, die Haltung in der Bevölkerung zu ändern.

Jens Rittmeyer: „Das kann ich bestätigen – wissen, wo’s herkommt. Mein Ausgangspunkt: Du kannst Gäste nur locken und halten, wenn du eine Küche mit den Produkten der Region machst. Sonst wird das irgendwann unspannend. Außerdem möchte ich auch die Region stärken, gemeinsam mit den Erzeugern.“


Das heißt, das macht für euch auch das Besondere an den Produkten aus – dass man weiß, wer und was dahintersteckt?

Jens Rittmeyer: „Absolut. Die Geschichte hinter dem Gericht! Das geht in meinem kleinen Restaurant extrem gut: Ich möchte sagen können, die Pastinake hier ist von Kerstin Hintz vom Biohof Ottilie, das Brot ist vom Heyderich aus Stade. Das macht es ja auch erst spannend!“

Steffen Burkhardt: „Mir geht es auch um die Wertschätzung. Seit ich selbst Gemüse anbaue, versuche ich, alles bis zum letzten Blatt zu verarbeiten. Weil ich weiß, was für eine Arbeit dahintersteckt.“

Jessica Froese und Sonja Lugowski (Donnerlüttchen, Kiel) schalten sich zu.

Jessica Froese und Sonja Lugowski (Donnerlüttchen, Kiel)


Herzlich willkommen, Jessica und Sonja! Wir sind mit der Frage gestartet, warum euch die Zusammenarbeit mit regionalen Landwirten und Produzenten so wichtig ist.

Die beiden schauen sich an: „Willst du?“ (lachen)

Sonja Lugowski: „Wir machen norddeutsche Küche, und die ist mit norddeutschen Produkten natürlich am besten. Es macht einen riesigen Unterschied, wenn man die Geschichten zu den Produkten erzählen kann.“

Jessica Froese: „Wir wollen auch ein bisschen Werbeplattform sein und den Leuten zeigen, woher sie die Produkte bekommen können. Und was man daraus herstellen kann.“

Sonja Lugowski: „Genau. Die Produzenten schicken ihre Kunden vom Markt zu uns zum Essen. Und es gibt viele, die bei uns was gegessen haben und es dann beim Produzenten selbst kaufen.“


Wie funktioniert denn die praktische Zusammenarbeit mit den Landwirten? Stichworte Anlieferflexibilität (alle lachen), Qualität und Quantität?

Jens Rittmeyer: „Ich habe ja vermutlich das kleinste Restaurant – und dementsprechend auch einen kleinen Vorteil. Es gib keine Karte, es gibt nur ein Überraschungsmenü mit sechs Gängen. Wir können genau das kochen, was gerade beim Erzeuger vorhanden ist. Bei Kerstin vom Biohof Ottilie oder Ulrike vom Wilkenshoff heißt es oft: Du, ich hab hier nur eine Schale von diesen Beeren oder von diesem Produkt. Und wenn man sich gegenseitig einlädt, dann ergeben sich ganz viele Dinge im Miteinander.“

Sonja Lugowski: „Für uns ist das manchmal ein bisschen komplizierter, weil wir mit so vielen kleineren Produzenten zusammenarbeiten. Viele liefern nicht selbst. Oder sie haben unterschiedliche Tage, wann sie liefern oder man bestellen muss. Dazu hat man viel mehr Rechnungen. Das sind die Details, die das ein bisschen komplizierter machen, als wenn man was beim Großhändler bestellt. Aber man lernt dann auch ganz andere Sachen kennen. Wenn der Produzent sagt, hier, wäre das nicht was für euch? Das macht es auf jeden Fall auch spannend.“

Jessica Froese: „Das ist ja eigentlich ein Zeichen dafür, dass die ganze Infrastruktur dafür noch viel zu wenig ausgebaut ist. Das Netzwerk sollte größer werden, damit es einfacher wird und der Produzent nicht für ein kleines Restaurant dreimal in die Stadt fahren muss. Das wäre ja auch nicht nachhaltig.“

Sonja Lugowski: „Wir tun uns auch mit anderen Restaurants zusammen und verbinden Touren. Dann lohnt es sich auch für die Fischfarm aus Strande, ihre Fische vorbeizubringen. Und damit bekommen wir eine ganz andere Frische und Qualität, die werde ich im Großhandel nie haben.“

Steffen Burkhardt: „Wir kleineren Betriebe sollten uns gegenseitig unterstützen, um das einfacher zu machen. Damit nicht fünfzig Prozent der Arbeit mit Beschaffungslogistik zu tun hat. Wenn wir zum Beispiel bei Frisch Gefischt einkaufen, und die können jetzt nicht zu uns liefern aber in die Hobenköök, dann holen wir das eben in der Hobenköök ab.“

Wie aufs Stichwort schaltet Thomas Sampl (Hobenköök, Hamburg) sich rein und winkt in die Kamera: „Ich bin ein bisschen spät, aber jetzt da.“ 

Thomas Sampl ©Hobenköök


Erzähl gerne noch was zur Zusammenarbeit – und wie sie praktisch funktioniert.

Thomas Sampl: „Ich habe gerade mit dem Restaurant Zeik gesprochen, die suchen einen regionalen Champignon. Aber sie brauchen nur drei Kilo. Für den Pilzhof ist das zu wenig um direkt zu liefern. Deswegen wäre ein Lieferservice bestimmt gut. Aber: Sobald ein Logistikpartner dazukommt, wird es für den Gastronomen preislich schwierig. Vielleicht könnte man das so aufbauen, dass der Lieferservice dafür da ist, die anderen beiden zu unterstützen – und nicht um Gewinne zu erwirtschaften.“ 

Steffen Burkhardt: „Sinnvoll wären vielleicht auch ein oder zwei zentrale Punkte, an die der Produzent liefern kann, und die Besteller holen sich das da ab. Ich glaube, in der Hobenköök macht ihr das ja teilweise sogar schon so.“

Bernd Ratjen kommt wieder ins Bild.

Thomas Sampl: „Ich glaube, dazu kann Bernd auch was sagen. Mit dem praktizieren wir das ja. So ein bisschen wie ein Drehkreuz, nicht, Bernd?“

Bernd Ratjen (lacht): „Ja, von Uetersen ist das zwar ein ganz schöner Weg in die Hafencity. Aber wir fahren sowieso mindestens einmal die Woche nach Hamburg, um Ware auszuliefern. Da kann ich verschiedene Dinge mit einem Weg erledigen. Aber das ist natürlich mit viel Organisation verbunden.“

Steffen Burkhardt: „Thomas, wie groß sind denn eure Lagerkapazitäten, wenn das mehrere nutzen wollen?“

Thomas Sampl (lacht): „No, no, no, no, no! Also, mit Bernd geht das ja noch. Das sind die Eier von Hof Koch, das Gemüse von Jan Groth, dann vielleicht noch was von Ottilie und das Bier von Wildwuchs. Dafür bringt Bernd auch seine Suppen und seine Eintöpfe mit. Und er hat für uns selbst ja auch schon Produkte vom Waldhof Zydek verarbeitet. Das klappt schon ganz gut. Aber eigentlich bräuchte man so eine Art großes Regionalwert-Schließfach.“

Jens Rittmeyer: „Gute Idee, aber das setzt natürlich viel Vertrauen voraus. Grundsätzlich wäre es natürlich toll, das so zu handhaben. Ich hole ja auch manchmal Milch und Butter von der Meierei Horst aus der Hobenköök, aber der Aufwand ist eigentlich nicht bezahlbar.“

Kerstin Hintz (Biohof und Hofcafé Ottilie, Mittelnkirchen) kommt dazu.


Hallo, Kerstin! Was uns auch noch sehr interessiert: Wie kommuniziert ihr die höheren Preise, die im Einkauf für die Produkte aufgerufen werden? Kommen da Fragen von euren Gästen?

Kerstin Hintz: „Erstmal ist es so, dass unsere Gäste bewusst zu uns kommen, weil wir biologisch zertifizierte Produkte anbieten. Und sie wissen, dass es ehrliche und transparente Preise sind. Wenn dann trotzdem mal die Frage kommt, wieso muss ich hier für das Stück Kuchen 4,50 Euro bezahlen, dann gehen wir mit den Gästen ins Gespräch und erläutern, was hinter dem Produkt steht.“

Jens Rittmeyer: „Bei mir ist es ähnlich. Eigentlich kommen bei mir keine Diskussionen auf, der Gast wird ja vorab informiert über den Preis. Ich brauche einfach eine gewisse Kalkulation – auch damit ich meine Mitarbeiter vernünftig bezahlen kann.

Kerstin Hintz: „Ja, es ist auch Aufgabe der Betriebe und der Regionalwert AG, darauf hinzuweisen, dass wir ressourcenschonend und enkeltauglich unterwegs sind.“

Steffen Burkhardt: „Wie du sagst, es gibt die Menschen, die sich schon damit auseinandergesetzt haben. Für die ist es auch selbstverständlich, gewisse Preise zu bezahlen, insbesondere beim Menü. Aber im Laden merke ich, dass manche am Regal schon mal schlucken. Wenn ich dann aber die Geschichte erzähle, spielt der Preis keine Rolle mehr. Nach sechs Stunden ist mein Mund dann fusselig. Ich habe auch schon mal über eine Audioführung nachgedacht, wie im Museum.“ (Lachen)

Jessica Froese: „In Kiel ticken die Uhren vielleicht noch ein bisschen anders. Wir machen ja relativ einfache Küche, wir haben auch Fischstäbchen auf der Karte stehen …“ (Lachen) „… ja, und die sind richtig gut!“

Steffen Burkhardt: „Fischstäbchen, wie geil, und dann ein schönes Kartoffelpüree dazu!“

Jessica Froese: „Ja, genau, und mit Remoulade. Wir machen auch die Panade selbst aus altem Brot und so weiter. Wenn man das erzählt, dann baut das Vertrauen auf, und dann kommen die Leute auch wieder. Und diese Aufklärungsarbeit funktioniert gut. Das macht es für den Gast aufregend. Und damit rechtfertigt sich auch der Preis.“


Immerhin ist Kiel ja noch Großstadt, wie sieht’s denn in Uetersen aus?

Bernd Ratjen: „Wir haben natürlich ähnliche Herausforderungen wie in Kiel. Aber auch hier geht kaum ein Gast unglücklich nach Hause, und das liegt an der Kommunikation. Die meisten kommen extra wegen uns nach Uetersen. Und wir verkleinern jetzt unser A-la-carte-Angebot und setzen auf Menüs. Im Laden gibt es schon mal Kunden, die durchgehen, sich totlachen und wieder raus sind. Aber es gibt andere, die lassen sich gerne beraten. Danach verstehen sie, warum so eine Suppe 8,50 Euro kostet.“


Kerstin, wie ist das bei dir im Alten Land? Ist es da ähnlich?

Kerstin Hintz: „Genau, ähnlich wie bei Bernd. Die Leute kommen gezielt wegen uns und verbinden das mit einem Spaziergang. Viele freuen sich auch über unser veganes und glutenfreies Angebot. Und auch wir werden zukünftig auch ein Kaffeemenü haben mit Reservierung. Das können wir gut durchplanen – zum Beispiel im April, wenn der erste Rhabarber kommt. Und dann haben wir einen ruhigeren Gesamtablauf.“


Thomas, wie teilt sich das bei euch eigentlich auf zwischen Touristen und Einheimischen?

Thomas Sampl: „Die Hafencity ist so wie ein kleines Dorf, eine Gang. Die kommen nicht nur einkaufen, die kommen frühstücken und zum Abendessen, die machen hier ihren Geschäftstermin. Und wenn Regionalwert-Aktionäre hier in der Nähe wohnen, dann kommen die natürlich besonders gern. Aber auch andersrum: Leute, die gern hier essen, werden häufig auch Regionalwert-Aktionär. Und dann hat Hamburg Marketing einen Narren an uns gefressen, das bringt viele Touristen. Man sieht sogar im Restaurant, wo gerade über uns berichtet wurde. Dann kommen entweder Norweger oder Holländer oder Franzosen. Plus Hamburger aus entfernteren Stadtteilen natürlich.“

© Ingo Wandmacher

Wir haben noch zwei kleine Abschlussfragen. Erstens: Was fehlt euch noch im Regionalwert-Netzwerk? Und zweitens: Was ist momentan euer Lieblingsgericht mit regionalem Touch? 

Steffen Burkhardt: „Für mich ist die Jahreszeit fest verbunden mit Grünkohl. Und natürlich Grützwurst, Apfelmus und Kartoffelpüree. Im Hinblick auf Regionalwert ist für mich die engere Vernetzung mit Logistik ein sehr wichtiges Thema.“

Jessica Froese: „Wir sind ja noch ganz neu. Wir haben uns genau das erhofft wie heute – dass wir uns mit Leuten austauschen können, weil alle ja am selben Strang ziehen und sich helfen.“

Sonja Lugoswki: „Und zum Essen: War schön mit dem Grünkohl, aber wir haben ihn jetzt nicht mehr auf der Karte. Unser eigenes Sauerkraut ist gerade fertig, dazu gibt’s dann Schweinerücken von Bauer Schramm und Fischklüten von Forelli oder frittierte Eier.“

Bernd Ratjen: „Ich wünsche mir von der Regionalwert AG ein bisschen mehr Arbeit in die Tiefe, zum Beispiel Workshops und Schulungen. Viele kleine Firmen haben ja ähnliche Probleme. Mein Lieblingsgericht, das jetzt auf die Karte kommt: Ein regionaler Fischeintopf mit vielen Produkten von Frisch Gefischt. Helgoländer Hummer, Miesmuscheln, regionales Gemüse. Und im Mittelpunkt ein schöner Fischfond.“ 

Kerstin Hintz: „Dass es die Regionalwert-Leistungsrechnung nicht nur für landwirtschaftliche Betriebe gibt, sondern auch für handwerkliche. Und Bernd hat es eben schon gesagt: Dass wir nach innen arbeiten und noch mehr zusammenwachsen. Mein Lieblingsgericht ist gerade Rotkohl von Hof Wurzelreich mit Äpfeln. Und Galloway-Rouladen – gefüllt mit Blauschimmel von Backensholz und Birne.“ 

Thomas Sampl: „Mein aktuelles Lieblingsgericht habe ich gerade für die NDR-Nordtour gekocht, das ist eine Leber. Aber keine Leberleber, sondern eine vegane Leber. Aus Portobello-Pilzen mit veganer Jus, dazu Kartoffelpüree mit Schnittlauch und Hafermilch. Und karamellisierte Äpfel von der lieben Kerstin. Und vom Regionalwert-Netzwerk wünsche ich mir, dass das in der Dynamik weitergeht, wie ich es bisher erlebt habe.“

Das hört sich doch gut an, jetzt haben wir Hunger. Vielen Dank euch allen für das Gespräch!