Johanna Rädecke

Redakteurin

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Buchbesprechung: Der Schnapsteufel

Das Alkoholproblem der Ostfriesen
25. Mai 2022

Im 19. Jahrhundert war Ostfriesland im Rausch. Im Suff verunglückten massenhaft Arbeiter, ausgewachsene Prügeleien begleiteten die Gänge ins Wirtshaus, manch einer entblößte sich auf offener Straße. Anlässlich des Vatertages haben wir den Schnapsteufel nochmal aufgeblättert.


„Ach wie gemüthlich
Ist doch die Sauferei,
Am Bier thut man sich gütlich,
Dann kommt die Rauferei!“

Im 19. Jahrhundert griff der Rausch in Ostfriesland um sich. Grund hierfür war vor allem die sich ausbreitende Massenarmut. Im Suff verunglückten massenhaft Arbeiter, ausgewachsene Prügeleien begleiteten die Gänge ins Wirtshaus, manch einer entblößte sich auf offener Straße und auch vor Kindern machte der Alkohol keinen Halt.

Autor Dr. Heinrich Buurman lebt selbst in jener Gegend, die zahlreiche Männer und Frauen an das „Branntweinelend“ verlor. In seinem Buch „Der Schnapsteufel“ berichtet der promovierte Apotheker und Pharmaziehistoriker von den Folgen des Alkoholmissbrauchs, zitiert aus Unfallberichten und der Ostfriesischen Mäßigkeitszeitung, erklärt den Zweck von Mäßigkeitsgesellschaften und die Blaukreuzler-Bewegung. Durch zahlreiche Quellenauszüge und Zitate gibt Buurman ein umfassendes Bild zur Alkoholproblematik in Ostfriesland. Bemerkenswert detailliert sind die Berichte über Folgen der Trunksucht.

So wird beispielsweise von einer Greisin in Leer berichtet, die vollkommen verkohlt an ihrem Esstisch gefunden wurde – Der zuständige Arzt vermutete, dass sich ihr alkoholischer Atem an der Lampe entzündet hat und ihre Fahne sie buchstäblich von innen verbrannt hatte.

„Der Schnapsteufel“ ist jedoch nicht nur eine reichhaltige Sammlung von Schnapsleichen-Berichten und Pöbeleien aus der Zeit von 1820 bis 1913. Dr. Buurman fasst in dem knapp 250 Seiten umfassenden Buch eine Fülle von Materialien zusammen, die teils erschrecken, teils zum Lachen und Kopfschütteln anregen. Neben schönen Illustrationen und Plakaten der „Mäßigkeitsbewegung“ gibt es viele humorvolle Gedichte wie „Des Brandweinhändlers Abendgebet“ und Werbeanzeigen, die Wundermittel gegen die Trunksucht versprechen – vermutlich an völlig verzweifelte Ehefrauen gerichtet, die dann doch lieber Geld für Quacksalber und Zaubertränke ausgeben als für eine weitere Flasche Schnaps.

Aal in Wein gegen Trunksucht

Ein Auszug aus dem Allgemeinen Noth- und Hilfsbuch beschreibt bewährte Hausmittel gegen den Rausch: Brausepulver mit Wasser oder ein Teelöffel Kochsalz sollen den Trunkenbold wieder genesen lassen, der Konsum von sieben bitteren Mandeln einen Rausch gar verhindern und um „den Säufern das Weintrinken zu verleiden“, soll man einen lebendigen Aal in Wein ersticken und davon trinken lassen. Ob der trunkene Friese danach je wieder Fisch essen konnte, darf bezweifelt werden.

Ein Apotheker schreibt über Alkoholmissbrauch ­– das ist weniger ungewöhnlich als es zuerst scheint. Auch in der Pharmazie spielte der Alkohol seit jeher eine wichtige Rolle als Medikament oder zur Herstellung von Tinkturen, was das Interesse des Autors erklären mag. Außerdem verkauften die damaligen Apotheker neben ihren Medikamenten auch oftmals Selbstgebranntes.

Der Autor zeichnet in „Der Schnapsteufel“ ein umfassendes Bild zum Alkoholmissbrauch in Deutschland und speziell in seiner ostfriesischen Heimat. Die zusammengetragenen Materialien lassen sich beinahe mit den Stimmungsschwankungen eines Betrunkenen beschreiben: Mal lösen sie Erheiterung, Überraschung, Entsetzen oder Fassungslosigkeit bei dem betroffenen Leser aus. Vielleicht ist dieses Buch ja ein passendes Geschenk für den kultivierten Trinker, stets ein rechtes Maß zu finden.

 

Der Schnapsteufel

Verlag Dr. Buurman
Umfang: 246 Seiten
Preis: 21 Euro
ISBN 978-3-9814038-7-9

Im Buchhandel oder direkt beim Verlag bestellbar.