Marc-Björn Stock und Jens Schlünzen und machten es sich zur Aufgabe, den Whisky an die Kieler zu bringen. Normalerweise nutzen sie hierfür ihren großzügigen Verkaufsraum unweit des Exerzierplatzes, in welchem neben dem Verkauf der Spirituosen auch regelmäßig Tastings stattfinden, um Einsteigern und Kennern die Welt des Whiskys zu offenbaren. Trotz Kontaktbeschränkungen machen sie weiter: Und zwar online.

Wer schon einmal an einem Whiskytasting bei Marc-Björn Stock und Jens Schlünzen teilgenommen hat, sieht diesem Onlinetasting mit Freude und vielleicht auch ein wenig Skepsis entgegen. Denn die Tastings im gemütlich eingerichteten Laden zeichnen sich – neben einer Auswahl feinster Spirituosen – normalerweise durch Geselligkeit in größerer Runde, erzählten Geschichten von Schottlandreisen und einem bunt gemischten Publikum aus. Dies entfällt in Corona-Zeiten, doch trotz Gebot des Social Distancing sucht der Mensch Aktivitäten, die verbinden.
Die Autorin kennt die Whiskyle-Tastings schon und hat sich im heimischen Wohnzimmer eine Karaffe Wasser, etwas Brot und fünf Nosinggläser bereitgestellt. Daneben: Fünf kleine Fläschchen, von Hand abgefüllt, etikettiert und zu ihr nach Hamburg verschickt. Alkohol, das bedeutet meist Geselligkeit und Spaß in Verbindung mit Genussmomenten. Doch im Augenblick gibt es den Alkohol lediglich in Form eines Glas Weins zum Film am Wochenende. Die Streamingdienste freut es, die Leber auch, doch Gastronomie und Einzelhändler haben es nicht leicht. Um so besser, wenn diese mit Raffinesse und Ideenreichtum trumpfen und ihren Alltag an die Situation anpassen. Und trotzdem – in Jogginghose alleine ein paar Whiskys schlürfen fühlt sich vorab doch etwas merkwürdig an. Ob die virtuelle Veranstaltung ein würdiger Ersatz für die Tastings vor Ort sind?
Während dieser Anblick schon etwas befremdet, wie geht es dann wohl Marc-Björn Stock? Dieser sitzt hinter einem Laptop in seinem Laden am Exerzierplatz und wartet darauf, dass sich alle Teilnehmenden in die Videokonferenz zuschalten. „Die Leute da draußen haben auf jeden Fall etwas zu gucken“, sagt er. „Ich sitze hier im hell erleuchteten Laden alleine vor fünf Flaschen Whisky…“ Mitinhaber Jens Schlünzen ist aus dem Homeoffice zugeschaltet.

Während sich immer mehr Teilnehmer einloggen, 30 werden es heute, erkennt man sich – die Stammkundschaft von Whiskyle ist treu vertreten. Es ist keine reine Männerrunde, doch das schönere Geschlecht befindet sich definitiv in der Unterzahl.
Schlünzen erklärt einleitend das Verfahren – so ein Onlinetasting bringt mehr organisatorischen Aufwand mit sich als eins vor Ort. Alle Teilnehmenden sollen sich stumm schalten und nur bei Zwischenfragen ihr Mikrofon benutzen. „Wir machen das ja heute alle zum ersten Mal“, so Schlünzen, „deswegen haben wir einen Querschnitt schottischer Whiskys zusammengestellt – etwas zum Wohlfühlen halt.“
Zurzeit stehen die schottischen Destillieren fast zur Gänze still, einige produzieren Alkohol zur Desinfektionsmittelherstellung. Doch das sollte, so Schlünzen und Stock, niemanden aus der Ruhe bringen: „Wer in Schottland lebt und nicht genügend Whisky zu Hause gebunkert hat, hat etwas falsch gemacht.“
Whiskytasting sind nicht nur hier in Norddeutschland eine Corona-Alternative. Auch die Schotten trinken nicht einfach nur betrübt hinter geschlossenen Haustüren ihren „Hot Toddy“, sondern planen das nächste Festival, in dem Whisky einen hohen Stellenwert hat, als Onlineveranstaltung. Das seit über 30 Jahren existierende Fèis Ìle Festival muss eben in diesem Mai auf unkonventionelle Art gefeiert werden, so die Inhaber von Whiskyle. Dem Festival zu Ehren findet Ende Mai das Islay Onlinetasting statt, bei dem man sich den Schotten ganz nah fühlen kann.
Zurück zum heimischen Sofa. Hier werden gerade die fünf Whiskys des Abends vorgestellt: Ein 10 Jahre alter Deanston aus den Highlands; der 22 Jahre alte Westport Old Train Line; der 10 Jahre alte Glendronach, der Tomatin Cù Bòcan und der Longrow Red, 13 Jahre alt. Die Farben reichen von einem hellem Gelb bis zu dunklem Bernstein, die Aromen von vanillig-süß über fruchtig und mineralisch bis hin zu einer herben Torfnote.

Beim Verkosten geht die Gruppe methodisch vor: Sehen – Riechen – Schmecken. Den Teilnehmenden wurde zur Orientierung eine Liste der vorgestellten Whiskys mitgeschickt, die eine Abbildung sowie Informationen zur Region, Stärke, Fassart usw. beinhaltet. Aussparungen zeigen, wo sich die Teilnehmenden ihre eigenen Notizen machen sollen: Farbe – Nase – Körper – Nachklang. Das hilft, einen Überblick zu behalten und einen besseren Vergleich zu schaffen. Denn am Ende wird, wie nach jedem Tasting, ein Meinungsbild abgefragt. In geselliger Runde geschieht dies per Handzeichen, online kann nun jeder den Whiskys Punkte zwischen 0 und 2 geben. Technisch klappt das Verkosten ganz hervorragend. Die meisten Teilnehmenden tun dies in andächtiger Stille, Anmerkungen werden oft auch in den Chat geschrieben. Nur wenige Male wird deutlich, dass an den vielen anderen Audioausgängen der Videokonferenz echte Menschen sitzen, die nicht zu einer virtuellen Gesamtmasse verschmelzen. Da läuft ein Fernseher im Hintergrund, ein Handy klingelt und – ein Zwischenfall, der von wahrer Inbrunst zeugt, ein Headset zeichnet in aller Deutlichkeit das intensive Schnüffeln am Glas auf. Die Aromenvielfalt soll ja auch erkundet werden.
Gewinner des Abends ist der Glendronach Cask Bottling mit 60,3% aus der Region Speyside. Wer möchte, kann direkt beim Tasting eine Flasche des persönlichen Favoriten bestellen. Das befremdliche Gefühl des Alleinetrinkens empfindet unsere Autorin längst nicht mehr – ob es an den netten Plaudereien und der lustigen Abendgesellschaft oder aber an den fünf Whiskyproben liegt, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Whiskyle ein Lob für die kreative Umsetzung seines Angebots verdient, auch wenn sich eine persönliche Begegnung doch niemals ersetzen lässt. Auch Schlünzen und Stock sind zufrieden mit dem Abend, weitere Onlinetastings werden folgen, versprechen sie. Denn auch wenn der Ladenverkauf wieder anläuft, wird doch noch etwas Zeit ins Land gehen, bis sich Whiskyfans wieder an dem großen Holztisch versammeln und sich beim „Slainte“ in die Augen sehen können.