Jens Mecklenburg

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Corona beschleunigt das Einfache & Regionale

Spitzengastronomie im Wandel
3. August 2021

Edel essen gehen wie es einst die Franzosen prägten, scheint out zu sein.

Corona hat den Trend zu zugänglicheren Feinschmeckerlokalen verstärkt. In Dresden ist jetzt zum Beispiel das Sternerestaurant Caroussel im Hotel Bülow Palais in der Neustadt in ein Bistro aufgegangen. 

Wie an der Elbe nehmen viele gehobene Lokale Abstand von allzu konservativer Etikette und wollen zugänglicher werden – leger und lecker ist das Motto. Die Luxusgastronomie will ihren Ruf loswerden, steif, elitär und fast wie eine Prüfung zu sein, statt ein entspanntes Erlebnis.

Chichi

Zu althergebrachten Luxusrestaurants in Paris oder Monaco, Rom oder Genf gehörte lange Zeit eine gewisse Hemmschwelle, verbunden mit Anzug- und Krawattenpflicht für die Herren. Früher gab es auch die sogenannte Damenkarte, auf denen nicht die Preise standen, weil die Frau ja zweifellos die Eingeladene zu sein hatte und ohne schlechtes Gewissen wählen sollte. Das wirkt aus heutiger Sicht alles arg wie frühes 20. Jahrhundert, war aber bis ins 21. Jahrhundert durchaus üblich an der Seine, Côte d’Azur, München und Hamburg.

Loriot machte sich schon früh über das angebliche Chichi von Gourmetrestaurants und die Nouvelle Cuisine lustig: „Das sieht übersichtlich aus.“  Und Kanzler gaben sich volksnah und trugen eine Vorliebe für einfache Küche vor sich her: Saumagen (Helmut Kohl), Schnitzel (Gerhard Schröder), Kartoffelsuppe (Angela Merkel). Als eine Linken-Politikerin bei einem Hummeressen „erwischt“ wurde, war der Aufschrei groß.


Radikal regional 

In den 70ern, 80ern und auch 90ern gefielen sich deutsche Edellokale noch mit ihrer Orientierung an französischen Gerichten und Vokabeln. Heute gehört es dagegen fast zum guten Ton, simpel zu formulieren.

Lokale wie das „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin-Kreuzberg positionieren sich politisch, öko und verkünden: „Essen ist immer auch ein politischer Akt.“ Ihr Leitspruch „Brutal lokal“ rücke ihre Lieferanten, die Lebensmittelproduzenten im Berliner Umland in den Fokus. Das hat Konsequenzen wie den Verzicht auf Zitronen, Thunfisch und Schokolade.

Auch die Hobenköök oder Sebastian Junge (Wolfs Junge) aus Hamburg setzen radikal auf regionale Produkte.

Die Foodtrendforscherin Hanni Rützler sagt: „Out sind Foie gras und Froschschenkel – aus tierethischen Überlegungen, aber auch klassische Big-Name-Weine. Spannend hingegen sind nun fermentierte Gemüse, alte Sorten, Fleisch von seltenen Tierrassen oder alten Kühen sowie regionale Winzersekte oder Saftbegleitungen.“

Die österreichische Ernährungswissenschaftlerin sagt auch, die Corona-Krise habe die Wertschätzung für regionale Lebensmittel weiter beflügelt und regionale Netzwerke gestärkt. „Schon vor der Pandemie haben viele Sterne-Köche den Haute-Cuisine-Tempeln klassischen Zuschnitts den Rücken gekehrt oder smarte kleine Zweitrestaurants eröffnet, in denen auch casual gekleidete Gourmets willkommen sind.“

Die Pandemie animiere noch mehr Gastronomen dazu, ihre Konzepte zu überdenken und sich mutiger und zeitgemäß aufzustellen. Luxus werde heute anders definiert als in vergangenen Jahrzehnten. „Immer mehr Gästen ist es wichtiger gut statt nobel zu essen. Das heißt nicht, dass Design keine Rolle spielt, im Gegenteil. Aber die Zeichensprache hat sich verändert. Handwerk, Materialität und Authentizität werden wichtiger. Der professionelle, direkte Kontakt zum Gast ist wichtiger als der aufwändig gedeckte Tisch.“ Auch in Frankreich ändere sich gerade viel, meint Rützler. Die französische Küchenkultur bleibe aber weltweit Vorbild in Sachen Faible für qualitative Ausgangsprodukte.

Französische Genussküche mit frischen Zutaten aus Norddeutschland – und das im Herzen von Hamburg: Auch die Brasserie Carls an der Elbphilharmonie präsentierte sich zur Wiedereröffnung mit einem neuen Konzept. Die Ideen dazu stammen ebenso wie die neue Karte von Thomas Martin. Seit 1997 steht der Spitzenkoch am Herd des Jacobs Restaurant, das ebenso wie das Carls zur „Jacob Family” gehört. „Wir wollen im Carls keine Sterneküche, aber die Gerichte spiegeln meine Art zu kochen wider”, sagt Thomas Martin. „Französische Kochkunst trifft auf saisonale Produkte aus Norddeutschland, das ganze Konzept ist eng mit mir verbunden.”

Über den Einsatz von Luxuslebensmittel wie Hummer, Kaviar, Gänseleber und Trüffel lästert der Stuttgarter Sterne- und Fernsehkoch Vincent Klink schon länger. Er nennt sie schlicht: „Scherzartikel“. 

© Mad på Restaurant Substans