Eine Minute länger und „der Mob wäre an Bord gewesen“
Die Polizei in Schleswig-Holstein hat weitere Einzelheiten zum heftig kritisierten Vorgehen von Landwirten gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Fährhafen Schlüttsiel bekannt gegeben. Wie die Polizei Flensburg mitteilte, seien vor der Aktion in den sozialen Medien Aufrufe »zu einer Demonstration am Fähranleger Schlüttsiel« verbreitet worden.
Etwa 80 landwirtschaftliche Fahrzeuge hätten sich am Donnerstag auf den Weg zum Fähranleger gemacht. Bis zu 300 Menschen hätten sich dort eingefunden, um gegen Kürzungspläne der Bundesregierung zu demonstrieren. Als die Fähre mit Habeck an Bord gegen 17 Uhr Schlüttsiel erreicht habe, sei die Lage angespannt gewesen, ein Dialog zwischen Habeck und den Versammlungsleitern habe nicht ermöglicht werden können, hieß es.
Aus der Versammlung heraus hätten 25 bis 30 Menschen versucht, auf die Fähre zu gelangen. Einsatzkräfte hätten diese teilweise unter Einsatz von Pfefferspray zurückgehalten. »Nach Ablegen der Fähre beruhigte sich die Lage und die Versammlung löste sich gegen 19 Uhr auf«, teilte die Polizei mit. Habeck hatte den Hafen an Bord des Schiffs zunächst wieder verlassen.
Videos in den sozialen Medien zeigten, wie mehrere Polizisten die Menschengruppe nur mit Mühe von einer Rampe zur Fähre wegdrängen konnten.
Reedereichef: Fähre wäre fast erstürmt worden
Die Wyker Dampfschiffs-Reederei, die die Fähre betreibt, teilte indes mit, dass eine Erstürmung der Fähre nur knapp verhindert worden sei. Der Kapitän habe mit den Personenschützern an Bord und nach Rücksprache mit der Polizei an Land entschieden, wieder abzulegen.
»Wenn diese Entscheidung eine Minute später getroffen worden wäre, dann wäre die Fähre gestürmt gewesen«, sagte der Geschäftsführer der Reederei, Axel Meynköhn. »Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen.«
Alle etwa 30 Fahrgäste, die von den Halligen kamen, seien am Verlassen der Fähre gehindert worden. Ein Lastwagenfahrer sei gedrängt worden, von der Rampe rückwärts wieder auf die Fähre zu fahren. »Das ist aus meiner Sicht Nötigung. Das ist ein schlimmer Vorgang«, sagte Meynköhn. Es hätten auch medizinische Notfälle an Bord sein können. »So einen Vorfall hat es nach unserem Kenntnisstand in der fast 140-jährigen Geschichte der Reederei noch nicht gegeben«, sagte Meynköhn.
Gemeindebürgermeister: »Das war eine Spur zu hart. Ganz klar«
Dass die Polizei am Fähranleger verstärkt präsent war, geht offenbar auf das zuständige Ordnungsamt zurück. Dieses habe letztlich geraten, die Polizei zu informieren, sagte Bürgermeister Matthias Feddersen. »Man kann ihn ja nicht ins offene Messer laufen lassen«, so Feddersen mit Blick auf Habeck. Die Gemeinde sei am Fähranleger ja mehr oder weniger Hausherr.
Er habe am Donnerstag vorher davon erfahren, dass sich Habeck angeblich mit Bauern treffen wolle. Dabei sei klar gewesen, dass es sich bei dem Onlineaufruf um Fake News gehandelt habe, so Feddersen. Er selbst sei nicht am Ort gewesen, sagte Feddersen. Zwar könne er verstehen, dass die Landwirte aufgebracht seien. »Aber so, wie sie es gemacht haben: Das war eine Spur zu hart. Ganz klar.«
Bauernverband verurteilt Blockade
Die gegen den grünen Wirtschaftsminister gerichtete Blockade hatte scharfe Kritik auch von Bauernvertretern hervorgerufen. »Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht«, sagte etwa der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) laut einer Mitteilung. »Blockaden dieser Art sind ein No-Go.«
Parteikolleginnen, Kabinettsmitglieder, aber auch CDU-Politiker hatten den Vorfall verurteilt. Die Bundesregierung kritisierte den Vorgang vom Donnerstagabend als »beschämend«. »Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein«, schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf der Plattform X.
In der Nacht zum Freitag hätten Einsatzkräfte schließlich die Heimreise Habecks nach Flensburg ohne weitere Vorkommnisse gewährleistet. Der Minister selbst zeigte sich besorgt über den Vorfall. »Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt«, sagte der Vizekanzler. Protestieren in Deutschland sei »ein hohes Gut«. Nötigung und Gewalt zerstörten das.
»In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten«, forderte Habeck. »Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen«, so Habeck weiter. Diese seien »die Helden und Heldinnen der Demokratie«.