Jens Mecklenburg

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Bauern provozieren mit völkischem Symbol

Protest von Landwirten versetzt den Norden in helle Aufregung
16. Juni 2020

Am Donnerstagabend letzter Woche formierten sich 500 Landwirte mit ihren Treckern im nordfriesischen Oldenswort auf einer Koppel zu einem Symbol: einem Pflug und einem Schwert. Die Flagge der Landvolkbewegung der 20er Jahre. Der Pflug steht als Zeichen für die Landwirtschaft, das Schwert als Zeichen für den Kampf. Vor rund hundert Jahren war diese Bewegung für Bombenanschläge in Schleswig-Holstein verantwortlich. Historiker beschreiben die Bauernbewegung der 20er als nationalistisch, völkisch und antisemitisch.

Was war da los in Nordfriesland?

Foto: Nick Jaussi/www.wir-haben-es-satt.de Link zum Bild: https://bit.ly/3y8frLP.

Zusammenhalt der Bauern 

Warum wählten die Bauern ein so belastetes Symbol aus? „Damals ging es den Landwirten auch schlecht. Da gab es finanzielle Sorgen, Steuerlasten, und und und“, sagt Landwirt Jann-Henning Dircks aus Norderfriedrichskoog dem NDR. Die Fahne symbolisiere für ihn und seine Kollegen den Zusammenhalt der Landwirte. „Was daraus geworden ist, da mag jeder die Geschichte anders interpretieren.“ Er betont noch: „Wir distanzieren uns von jeglichem nationalsozialistischen Hintergrund und von jeglicher Gewalt.“ Es werde kein Landwirt jetzt Bomben basteln.


Politik ist entsetzt

Die Grünen in Nordfriesland bezeichnen die schleswig-holsteinische Landvolkbewegung als „eine antisemitische und völkische Bewegung, die in Schleswig-Holstein den Grundstein für den Durchbruch der Nationalsozialisten gelegt hat“. In den Hochburgen der Bewegung habe die NSDAP bereits bei den Reichstagswahlen 1928 weit überdurchschnittliche Wahlergebnisse erzielt. „Die Übergänge zwischen Landvolkbewegung und NSDAP waren fließend, viele Landvolk-Akteure waren 1928 schon Mitglied der NSDAP.“ Teile der Bewegung damals hätten mehrere Bombenanschläge auf Landrats- und Finanzämter in Norddeutschland verübt. Auch in den Privathäusern von Beamten seien Bomben deponiert worden. „Es ist nicht hinnehmbar, dass heute hier bei uns in Nordfriesland das Symbol einer terroristischen Gruppe, die den Nationalsozialisten mindestens sehr nahestand, für eine bislang friedliche Protestbewegung genutzt wird“, sagt Peter Schröder, Sprecher des Grünen-Kreisverbands.

SPD-Landesfraktionsvorsitzender Ralf Stegner sagt zu der Demo: „Wenn ich Zusammenhalt ausdrücken möchte, dann muss ich nicht Symbole wählen, die in der Geschichte ganz klar für Antisemitismus, für antidemokratische Strukturen, für Terrorismus und für Unterstützung der Nazi-Bewegung standen.“ Er weist wie die Grünen darauf hin, dass die Nationalsozialisten in Schleswig-Holstein früh Mehrheiten hatten – auch dank der Landvolkbewegung. 

Der CDU-Landtagsabgeordnete Heiner Rickers – selbst Landwirt – sagt, damit seien die Grenzen des guten Geschmacks und des sachlichen Austauschs verlassen. Oliver Kumbartzky von der FDP fordert, dass sich die Landwirte von rechtem Gedankengut distanzieren und mahnte neue Hilfen von EU und Bundesregierung für die Landwirtschaft an. 


Alles nur ein Missverständnis?

Landwirt Dircks und seine Kollegen fühlen sich missverstanden und ungerecht behandelt. „Ich finde es beschämend, dass Politiker aller Couleur auf uns einpeitschen und dem Mainstream folgen, ohne mit uns zu reden“, sagt Dircks.

Pflug und einem Schwert: Die Flagge der Landvolkbewegung der 20er Jahre.

Was er mit „Mainstream“ meint, führt er nicht aus. Er bedauert den Einsatz des Symbols nicht und sieht auch keinen Grund dafür, sich zu entschuldigen: „Das sollte noch nicht mal eine politische Botschaft sein“. Für ihn und seine Mitstreiter wäre das so etwas wie Kunst am Strand gewesen, die sie hätten nachstellen wollen. „Hätten wir eine Milchkanne in den Sand gemalt, dann hätten Sie mich ja sicher nicht angerufen“, sagt Dircks in einem Radio-Interview. Der Landwirt ist auch ehrenamtlicher Bürgermeister seiner 50-Einwohner-Heimatgemeinde.

Auch der Bauernverband Schleswig-Holstein und die Organisation „Land schafft Verbindung Deutschland“ (LSV) – die die zahlreichen Bauerndemos gegen Umweltauflagen der letzten Monate in Deutschland organisierte – verurteilten die Aktion. „Davon distanzieren wir uns ohne Einschränkung“, sagt der schleswig-holsteinische Bauernpräsident Werner Schwarz.

Spaltet und radikalisiert sich nun ein Teil der Bauernschaft? Sind ihnen der Bauernverband und die LSV „zu lasch“? Nicht auszuschließen. Einen braunen Sumpf gibt es in allen Teilen der Gesellschaft, sogar im Bundestag. Warum sollte die Bauernschaft davon ausgenommen sein. 


Der historische Hintergrund 

Wir schreiben das Jahr 1929. Seit fast zwölf Monaten rumort es schon in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Die Landwirte rebellieren. Schlechte Ernten, Importweizen überschwemmt den Mark, die Preise sind im Keller, die Zinsen und Steuern hoch. Die Weimarer Republik kommt den Bauern nicht entgegen. Im Gegenteil: Es wird hart durchgegriffen und versucht, Schulden zur Not mit Hilfe der Polizei einzutreiben. Am 1. August 1929 entlädt sich der Protest in einer Demonstration. Etwa 3.000 Landwirte marschieren in Neumünster. Vorneweg – an einer Stange mit senkrecht angebrachter Sense – trägt Walter Muthmann eine schwarze Flagge mit weißem Pflug und rotem Schwert: das Symbol der neuen Landvolkbewegung. Dieses Symbol will die Polizei nicht sehen. Mit gezogenem Säbel drängen die grün uniformierten in den Protestzug. Es kommt zum Handgemenge, Blut fließt, am Ende ist die schwarze Flagge in der Hand der Polizei. Der Tag geht als „schwarzer Donnerstag“ in die Neumünsteraner Stadtgeschichte ein.

Die gewaltsame Beschlagnahme der Landvolkflagge hatte Folgen. Die Bauern aus dem Umland boykottieren Neumünster. Märkte fielen aus, Lebensmittel wurden nicht geliefert, das Notwendige nicht mehr in der Schwalestadt gekauft. Ein schwerer Schlag für die rund 40.000 Neumünsteraner. Die Leder- und Tuchindustrie lagen danieder. Nach der Krise kam die Weltwirtschaftskrise und dann der Boykott. Nach 16 Monaten gab der Bürgermeister auf. Im November 1930 wurde die Fahne in einem feierlichen Akt an die Landvolkbewegung zurückgegeben.

Die Landvolkbewegung gab es in der Form nur in Schleswig-Holstein. In bewusster Opposition zu den eigenen überbrachten bäuerlichen Verbänden hatte sie keine Organisationsstruktur entwickelt, dafür aber zwei Führungsfiguren. Das waren der Eiderstedter Wilhelm Hamkens und der Norderdithmarscher Claus Heim. Im Januar 1928 nahm Deutschland zum ersten Mal die Landvolkbewegung wahr. In den 20 Kreisstädten der preußischen Provinz Schleswig-Holstein demonstrierten zusammen 140.000 Landwirte gegen das „System“. Hamkens und Heim gingen unterschiedliche Wege. Heim stand hinter zahlreichen Bomben, die seit dem Mai 1929 unter anderem vor Landratsämtern explodierten. Wie durch ein Wunder verursachten sie nur erhebliche Sachschäden.


Bauern, Bonzen, Bomben 

Als „Hilfsredakteur“ beobachtete Rudolf Wilhelm Friedrich Dietzen den „schwarzen Donnerstag“. Auch bei den daraus folgenden Prozessen war er dabei. 1931 verarbeitete er das Miterlebte in dem Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“. Für den als Hans Fallada schreibenden Autor wurde dieses Buch zum Durchbruch. 

Der gelernte Historiker und spätere Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg stellte in seiner Untersuchung zu den Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk zwischen 1918 und 1933 fest, das Wahlverhalten im Norden sei auffällig gegen den Trend in Deutschland gewesen. So wählte kurz nach dem Ersten Weltkrieg die Provinz rot, zum Ende der Weimarer Republik kippte das genau ins Gegenteil. Schon von 1929 an fuhr die NSDAP vor allem auch in den Hochgebieten der Landvolkbewegung ihre besten Ergebnisse ein.