Michael Engelbrecht

Nordeuropahistoriker und Skandinavist

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Archiv der deutschen Küche

Ankerplatz: Ullis Landhaus
3. Oktober 2020

Erstveröffentlicht am 3. Oktober 2018

Ullis Landhaus am Rande von Lübeck ist ein Ort der Erinnerung. Unser Autor Michael Engelbrecht, ein Anhänger „gutbürgerlicher“ Kost, zeigt sich begeistert von der friedlichen Koexistenz von östlicher Soljanka und westlicher Gulaschsuppe.

Vor 28 Jahren geschah das unfassbare, die Grenze mitten in Deutschland fiel und zwei Länder wurden eins, jedenfalls offiziell. Seitdem suchen die Deutschen mehr oder weniger erfolgreich ihren Weg. In jedem Fall sind sie in einem neuen Land angekommen, die Erinnerungen an die alte Zeit verblassen. Sowohl die Bonner Republik als auch der Arbeiter- und Bauernstaat sind Geschichte, die jüngere Hälfte der Bevölkerung hat gar keine Erinnerungen an diese Zeit. Inzwischen bildet das neue Deutschland seine eigenen Traditionen, Skandale und Triumpfe. Küche und Essen haben dank guter Köche, vieler Kochsendungen, Literatur und regionaler und internationaler Einflüsse ein akzeptables Niveau.

Da wird es inzwischen auch akzeptiert, wenn die wilden Zeiten der Vereinigung mit kritischem Blick gewürdigt werden, die angesichts der historisch einmaligen Aufgabe gemachten Fehler benannt werden dürfen, deren Konsequenzen ein reiches Aufgabenheft für die heutige Gesellschaft bescheren.

© Michael Engelbrecht

Ort der Erinnerung

Manchmal sehnen wir uns, die Wissenden zurück, die Nachwachsenden fragen, wie war das denn damals und dann ist es angesichts der so unterschiedlichen Schicksale eigentlich unmöglich eine Antwort zu finden. Doch das stimmt nicht. Dort, wo die Grenze war, heute nur noch ein Ökotop blüht, wo Trabbi und Golf, Fendt und Fortschritt Landmaschinen, Konsum und Kaisers, Arko und Haloren, sich in friedlicher Koexistenz gegenüberstanden, gibt es einen Ort der Erinnerung, Ullis Landhaus von Karl Borrmann. In den Endzeiten des Sozialismus 1987 im Osten in Lüdersdorf entstanden und seit 2008 fünf Kilometer weiter nach Brandenbaum Westen gezogen, hat sich ein Insidertipp etabliert, wenn es um deutsche bürgerliche Küche geht.

Die Karte liest sich wie ein Fahrplan für 70 Jahre deutsche Küche zwischen Alltag und Geburtstagsfeier, einiges reine Ost-, anderes reine Westmahlzeit. Schon die Soljanka ist schonungslos an den östlichen Gaumen angepasst, die Gulaschsuppe der klassische Wessi. Die Gerichte sind streng saisonal in Sonderkarten gewichtet, Spargel-, Pfifferlinge-, die Winterkarte folgen dem Angebot an frischen Zutaten. Die klassischen Gerichte werden allerdings für den ungeübt modernen Verbraucher leicht modifiziert, wenig Fett, die dicken Soßen nur, wo sie hingehören und extra serviert, um das Gericht nicht zu ertränken. Die Regionalität ist eine Freude, wenn nicht pseudonorddeutsch Pinkel, sondern der zwischen Klützer Winkel und Ostholstein beheimatete Dreisprung von Kassler, Kohlwurst und Backe serviert wird. Das gleiche gilt für die Fischauswahl mit Lübecker Bucht und den postglazialen Abschmelzseen der Gegend als Reservoir.

Leider hat sich das inzwischen herumgesprochen und ohne Reservierung ist bis auf den ebenfalls norddeutsch geprägten Außenbereich die Chance auf einen Tisch gering. Zur verlockenden „gutbürgerlichen“ Küche kommt nämlich, dass der Service am Kunden ausgezeichnet ist, zuvorkommend, Einzelwünsche selbst in Spitzenzeiten berücksichtigend und immer positiv. Dies, ebenso wie das auf Wesentliches beschränkte Angebot, sorgt dafür, dass das Publikum quer durch alle Altersschichten geht und unterschiedlichste Kundenkreise im Archiv der deutschen Küche stöbern.

© Michael Engelbrecht

Michael Engelbrecht
13. Februar 1961
† 4. März 2019

© Michael Engelbrecht

www.ullis-landhaus.de