Jens Mecklenburg

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Ziege nicht nur für Seefahrer

Die Juan-Fernández-Ziege bereichert den Norden
14. Juli 2023

Nicht nur der Milch wegen galt die genügsame Ziege lange Zeit als „Kuh des kleinen Mannes“. Besonders in Gebirgsregionen und anderen wenig fruchtbaren Gebieten ist das „kleine Tier“ – das bedeutet der germanische Wortstamm – bis heute eine beliebte Alternative zu Rind und Schwein. Als der schottische Seemann Alexander Selkirk, Vorbild für den Romanhelden Robinson Crusoe, im Jahr 1704 auf einer unbewohnten Insel 600 Kilometer vor der chilenischen Küste ausgesetzt wurde, hatte er Glück im Unglück: Auf dem felsigen Eiland kletterten kleine braune Ziegen umher – die Ernährung des Mannes war damit gesichert. Der spanische Seefahrer Juan Fernández hatte dort die robusten spanischen Fleisch- und Milchziegen 1563 als lebende Nahrungsreserve für seine Mannschaft ausgesetzt – eine seinerzeit übliche Methode der Seefahrer.

Juan-Fernandez-Ziege. © Ingo Wandmacher

Heute gibt es weltweit gerade noch etwa 3.000 dieser Juan-Fernández-Ziegen, 25 davon leben in Deutschlands nördlichstem Bundesland, in Schleswig-Holstein. Die 3.000 Ziegen, die auf der Robinson-Crusoe-Insel leben, gelten als extrem scheu, man sagt ihnen nach, schon beim Anblick von Menschen aus einem Kilometer Entfernung die Flucht zu ergreifen. Dazu haben die Kletterspezialisten auch Grund genug, da die Inselbewohner relativ wenig von Bestandsschutz halten. Sie jagen die Ziegen wegen der „Schäden“, die sie in der Natur anrichten. Den Weg nach Deutschland fand die Ziege, die durch ihre Isolation auf der Insel in Körperbau und Aussehen stark an Wildziegen erinnert, 1999 durch den Biologen Jürgen Güntherschulze. Um das Überleben der Tiere langfristig zu sichern, ließ er einige von ihnen als lebenden Genpool von der Pazifikinsel in den Tierpark Arche Warder in Schleswig-Holstein verfrachten. Hier leben sie zusammen mit 82 weiteren alten Nutztierrassen, die in ihrer Erhaltung bedroht sind. 



Kletterfreudige Urziege 

Die Juan-Fernández-Ziege besitzt im Gegensatz zu ihren hochgezüchteten Verwandten noch die genetische Vielfalt ihrer Urahnen. Die meist rötlich braunen Tiere mit dem markanten schwarzen Strich längs des Rückens konnten sich über Generationen ohne züchterische Einflüsse an die Gegebenheiten ihrer Heimat anpassen. Auch haben die harten Lebensbedingungen auf der Pazifikinsel die kletterfreudige Ziege gegen Wind, Regen, Sonne und karges Futter abgehärtet. Geschmacklich ist die Juan-Fernández-Ziege dennoch kaum von unseren Hausziegen zu unterscheiden, sie hat nur etwas mehr Biss. Im Vergleich zum Fleisch des verwandten Schafs ist Ziegenfleisch bei uns jedoch sehr selten auf dem Speiseplan zu finden. Was für ein Fehler. Denn besonders das junge Tier (sechs bis zwölf Monate) ist als zartköstlicher Genuss aus dem Mittelmeerraum und der Karibik bekannt und beliebt und durchaus nicht „verzickt“ – das trifft eher auf das ältere männliche Tier zu, dem ein strenger Geruch und kräftiger Geschmack eigen sind. Der fehlende Absatzmarkt für Ziegenfleisch macht Deutschlands Ziegenzüchter und Landwirten, die auf Ziegenmilch setzen, das Leben schwer. Dabei schmeckt das Fleisch gut und ist auch noch gesund. Zubereitet wird Ziegen- wie Lammfleisch. Da Ziegenfleisch magerer ist, sollte man es in jedem Fall vor dem Austrocknen schützen, zum Beispiel durch eine Marinade aus Kräutern und Öl. Auf 100 Gramm Fleisch kommen nur 7 Gramm Fett und 18 Gramm Protein. Das Fleisch ist besonders cholesterinarm und deshalb gesund, geschmacklich ohnehin ein Festessen. Wenn die Nachfrage nach Ziegenfleisch steigt, hat die Juan-Fernández-Ziege über ihr Asyl in Arche-Höfen und Tierparks hinaus vielleicht auch eine Zukunft in Deutschland. Ihre Gene sind für die Ziegenwelt von großer Bedeutung. Je gefragter eine alte Rasse beim Verbraucher ist, umso weniger ist sie letztlich vom Aussterben bedroht. Immerhin wusste schon Robinson Crusoe, was er an der Juan-Fernández-Ziege hatte.