Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen

Paradies von Menschenhand
29. September 2021

Ein Beitrag von Wolfgang Heumer

Wenn die Dämmerung kommt, sagen sich südlich von Bremerhaven Fuchs und Hase gute Nacht. Das ist so gewollt. Die Heimat dieser und anderer Tiere ist eine der letzten Naturlandschaften an den Flussufern in Norddeutschland, die dem ursprünglichen Zustand sehr nahekommen. Das Paradies von Menschenhand – das 1400 Hektar große Naturschutzgebiet Luneplate – wurde als Ausgleich für die Containerterminals im Norden Bremerhavens geschaffen.

Thomas Wieland, Teamleiter Umweltplanung der Hafenmanagement Gesellschaft bremenports schaut im Naturschutzgebiet Luneplate nach dem Rechten. © WFB/Jörg Sarbach

Die abendliche Runde auf Inline-Skatern oder mit dem Fahrrad entlang des Weserdeichs im Süden Bremerhavens ist etwas Besonderes. Nur wenige Meter nach dem Start am Rande des Fischereihafens reduziert sich die Geräuschkulisse der Großstadt auf ein immer leiser werdendes Rauschen. Schon bald wird dieses vom stetigen Nordseewind überdeckt, schließlich geht es in ein Konzert aus vielen tausend Vogelstimmen über. Luneplate heißt das Areal, das einst eine Insel zwischen verschiedenen Armen der Weser war. Auch wenn immer mehr Ruhesuchende die Schönheit dieses Gebietes entdecken, wird es hier nie voll und eng: „Das Naturschutzgebiet ist rund 1400 Hektar groß“, weiß Thomas Wieland.

Dass er sich als Teamleiter Umweltplanung der Hafenmanagement-Gesellschaft bremenports in dem Idyll so gut auskennt, hat einen einfachen Grund: Er hat das größte Naturschutzgebiet im Land Bremen wesentlich mitgestaltet. Vor 20 Jahren wurden dort die mittlerweile auf 1000 Hektar gewachsenen Ausgleichsflächen für den expandierenden Containerterminal in Bremerhaven geschaffen, jetzt hat die Natur das Werk vollendet. „Wir haben ein Stück der ursprünglichen Uferlandschaft der Weser wieder hergestellt“, zieht Wieland Bilanz eines behutsamen Renaturierungsprozesses.


Mit der Weserkorrektion eine Insel zu Festland verwandelt

Wer heute die Unterweser von Bremerhaven stromaufwärts betrachtet, kann es sich kaum vorstellen: Der breite Flusslauf mit dem großen Blexer Bogen und dem tiefen und gut betonnten Fahrwasser war einst ein verästeltes System aus vielen kleinen Armen der Weser. Seit dem Mittelalter versandeten die Wasserläufe nach und nach. „Damit die Häfen in der Stadt Bremen wieder für große Schiffe erreichbar war, wurde der Fluss Ende des 19. Jahrhunderts in sein heutiges Bett verlegt“, weiß Wieland. Im Zuge dieser „Weserkorrektion“ durch Bremens Baudirektor Ludwig Franzius und anschließenden Deichbaumaßnahmen in den 1920er Jahren wurde aus der Insel Luneplate Festland. Der einstige Weserarm an ihrer östlichen Seite verlandete mit der Zeit. Übrig blieb nur ein Teilstück, das bis heute noch „Alte Weser“ genannt wird.

„Ohne Ausgleichsflächen würde hier wahrscheinlich nichts anderes als Mais wachsen“

In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Ausgleichsfläche parallel zu der Hafenentwicklung im Norden stückweise gewachsen. Ursprünglich wurden im Süden Bremerhavens zunächst etwa 400 Hektar wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt. Dann kamen immer mehr Bereiche des Areals dazu, die die Stadt Bremen von privaten Eigentümern und vom Land Niedersachsen kaufte. Bis Ende der 1990er Jahre wurde das Gelände landwirtschaftlich genutzt: „Zu 60 Prozent war es Acker, das übrige Land wurde als Weide genutzt“, weiß Wieland. Für Laien wirkte die Gegend auch damals idyllisch. Unter biologischen Aspekten war es aber nicht besonders wertvoll: „Wenn wir hier nicht unsere Ausgleichsflächen angelegt hätten, würde hier wahrscheinlich nichts anderes als Mais wachsen“, vermutet der bremenports-Umweltexperte.

Im Naturschutzgebiet Luneplate teilen sich Gänse die Weide mit Kühen. © WFB/Jörg Sarbach

Ein Rastvogelgebiet von nationaler Bedeutung

Für die Menschen, die die Idylle auf der Luneplate heutzutage genießen, wäre diese Nutzung eher langweilig und für die Natur wohl fatal gewesen. Insbesondere im Tidenbereich der Weser sowie auf den wieder in einen naturnahen Zustand gebrachten Grün- und Wasserflächen leben zahlreiche seltene Pflanzen- und Tierarten. Durch die Maßnahmen hat sich zum Beispiel eine gute Kiebitz-Population im Grünlandbereich entwickelt: „Insgesamt ist die Population an Wiesenvögeln hier von nationaler Bedeutung“, freut sich Wieland. Zudem ist das Gelände ein wichtiges Rastvogelgebiet – es hat internationale Bedeutung: „Es wurden mehrfach mehr als 20.000 Gastvögel wie zum Beispiel Nonnengänse, Pfeifenten, Goldregenpfeifer und Alpenstrandläufer auf der Luneplate gezählt“, berichtet Wieland.


Mutige Entscheidung schon bei der Planung

Voraussetzung dieser Entwicklung war eine mutige Entscheidung bei der Planung der Ausgleichsflächen, die zu Beginn des Projektes kontroverse Diskussionen auslöste. Die so genannte Tegeler Plate – ein Bereich zwischen der Weser und dem Hochwasserschutzdeich – wurde komplett wieder zum Tidenbereich zurückgebaut. Sowohl die beiden dort bis dahin ansässigen Bauernhöfe als auch die durch Sommerdeiche gesicherten Viehweiden und Ackerflächen wurden aufgegeben. Nach und nach eroberte sich das Röhrricht das Gelände zurück. „Auch wenn die Luneplate weiterhin keine Insel mehr ist, hat das Gelände der Tegeler Plate jetzt wieder seinen Charakter wie vor 200 Jahren“, ist Wieland überzeugt.

Eine Herde Wasserbüffel weidet auf der Luneplate. © WFB/Jörg Sarbach


Hochtechnisiertes Bauwerk ermöglicht einzigartige Naturlandschaft

Letztlich ist sogar die Luneplate auch hinter dem Hochwasserschutzdeich wieder zum Tidenbereich geworden. Möglich macht dies ein hochtechnisiertes Bauwerk – das Tidensperrwerk. Grundsätzlich ist es ganzjährig geöffnet. Damit kann die Weser bei auflaufendem Wasser in den Tidepolder auf der Landseite des Deiches fließen; läuft das Wasser wieder ab, fällt das Gelände in weiten Teilen trocken. „Ebbe und Flut finden dadurch auch hinter dem Deich statt. So ist wieder die typische Landschaft der großen Flussmündungen mit Tide, Watt, Röhricht und viel Weite entstanden“, freut sich Wieland. Die Menschen im Süden Bremerhavens sowie in den Marschdörfern im niedersächsischen Umland müssen dennoch bei Sturmfluten nicht um ihr Leben oder ihre Häuser fürchten: „Sobald sich so etwas abzeichnet, kann das Sperrwerk in kürzester Zeit geschlossen werden“, betont Wieland.

Robuste Truppe als ganzjährige Bewohner der Luneplate

Das Beispiel des Tidenpolders zeigt, dass die Planer mit der Neugestaltung der Luneplate einen guten Kompromiss zwischen den Belangen der Natur und den Interessen der in der Region lebenden Menschen gefunden haben. Sogar die Landwirtschaft hat ihren Raum in dem Gebiet behalten – allerdings in einer extensiven Form. Die vielfach bewunderten Stars der Luneplate sind die etwa 40 Tiere einer Herde Wasserbüffel. Die robuste Truppe lässt sich weder durch Kälte noch durch Sturm oder Platzregen erschüttern. Auch von den Wanderern, Skatern und Fahrradfahrern auf der Luneplate lassen sich die schwarzen Zotteltiere nicht stören.

Die übrige Tierwelt könnte etwas empfindlicher auf Menschen reagieren, deswegen haben die Planer bewusst natürliche Grenzen zwischen den Besucherinnen und den tierischen Besuchern und den Bewohnern gezogen. Gut in das Gebiet integrierte Aussichtspunkte erlauben dennoch tiefe Einblicke in die einzigartige Naturwelt. Mit ein bisschen Glück ist von dort sogar zu beobachten, wie sich Fuchs und Hase in der Dämmerung gute Nacht sagen.