Jens Mecklenburg

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Wie steht es um die Landwirte?

21. Januar 2024

Hintergründe zu den Bauernprotesten

Sind die Klagen der Landwirte in Deutschland berechtigt? Wirtschaftlich stand die Branche zuletzt gar nicht so schlecht da. Doch die Rahmenbedingungen für die Betriebe bleiben herausfordernd.

© Gut Wulksfelde

Wie ist die wirtschaftliche Lage der Bauern?

Insgesamt stand die Branche zuletzt nach mehreren schwierigen Jahren recht gut da. Laut dem Deutschen Bauernverband (DBV) haben die Betriebe im vergangenen Wirtschaftsjahr 2022/23 Rekordergebnisse erzielt. So hätten die Haupterwerbsbetriebe im Schnitt 115.400 Euro erwirtschaftet, ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Das ist mit Blick auf vergleichbare Wirtschaftsbereiche außerhalb der Landwirtschaft wie das Fleischer-, Bäcker- oder Konditorenhandwerk nicht übermäßig viel“, schränkte der DBV ein. Die Bauern profitierten vor allem von den hohen Preissteigerungen für Nahrungsmittel.

Für das laufende Wirtschaftsjahr 2023/24 ist der Bauernverband schon wieder pessimistischer. Die Betriebe hätten deutlich weniger investiert, sagte DBV-Präsident Joachim Rukwied. „Gerade in der Tierhaltung geht der starke Strukturwandel unvermindert weiter und führt zum Verlust von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung.“ Zudem sinken die Preise für Getreide, Ölsaaten und Milch bereits wieder.

Das deutet auf eine grundsätzliche Besonderheit der Branche hin, nämlich eine vergleichsweise hohe Unsicherheit des geschäftlichen Erfolgs. Dieser hängt einerseits stark von den Wetterbedingungen und der volatilen Preisentwicklung der Produkte wie Getreide, Milch oder Fleisch ab. Der jüngste Höhenflug der Nahrungsmittelpreise etwa hing großteils mit dem Ukraine-Krieg zusammen.

Außerdem bestehen erhebliche Unsicherheiten bezüglich der geltenden staatlichen Regeln. Ein umfassendes politisches Konzept zum Interessenausgleich zwischen Agrarproduzenten, Umwelt und Tierschutz, das Investitionsentscheidungen planbarer machen würde, zeichnet sich bisher weder auf europäischer noch auf Bundesebene ab. Stattdessen müssen Landwirte mit einem Flickenteppich häufig wechselnder Vorgaben und Förderungen umgehen.

Angesichts der großen Unterschiede in den Betriebstypen und Betriebsgrößen sind zudem Durchschnittswerte auf der Ebene der Einzelbetriebe kaum aussagefähig. Ein Ackerbaubetrieb etwa hat ganz andere Voraussetzungen als ein Obstbauer oder ein Viehhalter.

Was bedeutet die geplante Kürzung für Betriebe?

©AbL

Je nach Spritverbrauch und Größe werden die Betriebe durch die Kürzung der Agrardieselförderung unterschiedlich belastet. Ein Ackerbaubetrieb verbraucht im Schnitt mehr als dreimal so viel Sprit wie ein Obstbauer. Grundsätzlich werden kleinere Betriebe angesichts des tendenziell höheren Spritkostenanteils relativ stärker belastet. Laut Bundesagrarministerium büßt ein Durchschnittsbetrieb, der rund 13.000 Liter Diesel im Jahr tankt, 2024 gut 1.000 Euro an staatlicher Diesel-Hilfe ein. Die Absenkung des Steuernachlasses um 40 Prozent soll nun ab März 2024 greifen. Spürbar wird dies für Bauern überwiegend aber erst 2025, weil sie zunächst den vollen Steuersatz zahlen und die Erstattung erst im nächsten Jahr ausgezahlt wird.

In den Jahren 2025 und 2026 soll der Nachlass aber jeweils um weitere 30 Prozent reduziert werden, sodass es für im Jahr 2026 verbrauchte Mengen keine Subvention mehr gibt. Bisher bekam ein Durchschnittsbetrieb 2.780 Euro pro Jahr zurück.

Die Kürzung der Diesel-Beihilfen sei für die meisten Betriebe schmerzhaft, aber verschmerzbar, erklärte der Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Halle, Alfons Balmann. Sie bedeuteten Einkommenseinbußen von etwa ein bis drei Prozent. „Was allerdings tiefer steckt, ist die große gesamte Unsicherheit, die in der Landwirtschaft vorhanden ist.“

Welche Subventionen gibt es?

Insgesamt macht die nun diskutierte Agrardieselförderung laut Bundesregierung rund sechs Prozent der Gesamtsubventionen für die Landwirtschaft aus. Weitere Subventionen gibt es etwa für Junglandwirte, kleine Betriebe, freiwillige Brachen und ökologische Ausgleichsflächen sowie Prämien für bestimmte Nutztiere. Im Wirtschaftsjahr 2021/22 kamen für solche Zuschüsse rund 37 Prozent von Bund und Ländern. Der Löwenanteil kam mit rund 57 Prozent aus den Fördertöpfen der EU.

Im Wirtschaftsjahr 2021/22 flossen laut Bundesregierung fast 48.000 Euro an Direktsubventionen an einen Durchschnittsbetrieb. Die staatliche Förderung macht also einen erheblichen Anteil der Betriebseinkommen aus. Im Schnitt waren es 45 Prozent, bei den großen Betrieben in den ostdeutschen Ländern fast 50 Prozent.

Insgesamt flossen im vergangenen Jahr rund sechs Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt an deutsche Landwirte. Vom Bund kamen 2,4 Milliarden Euro. Bezogen auf die Gesamtsumme gibt es in Deutschland allein für energieeffiziente Gebäude mehr staatliche Förderung.

Wie wichtig ist die Landwirtschaft volkswirtschaftlich?

Laut dem Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung beschäftigten die 263.500 landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland im Jahr 2020 rund eine Million Menschen. Sie produzierten Waren im Wert von 50 Milliarden Euro. Insbesondere die Ernährungswirtschaft inklusive der vor- und nachgelagerten Bereiche habe eine große Bedeutung für den Arbeitsmarkt, so die Regierung. 2021 seien hier rund 4,4 Millionen Menschen beschäftigt gewesen. Etwa jeder zehnte Arbeitsplatz in Deutschland werde diesem Bereich zugerechnet.

Seit Jahren macht die Branche einen erheblichen Strukturwandel durch. In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Zahl der Betriebe in etwa halbiert. In weit geringerem Umfang ging die landwirtschaftlich genutzte Fläche zurück, auf zuletzt rund 16,6 Millionen Hektar. Damit hat sich der Trend zu größeren Betrieben und zu einer intensiveren Bewirtschaftung der Flächen fortgesetzt. Zugleich hat der Trend hin zu mehr nachhaltiger Produktion den Anteil des ökologischen Landbaus auf knapp zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche steigen lassen.

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Wie groß ist der Einfluss der Bauern auf die Politik?

Während viele Landwirte der Politik vorwerfen, sie entscheide über ihre Köpfe hinweg, sehen Wissenschaftler großen Einfluss von Bauernvertretern auf politische Entscheidungen. Widerspruch oder System?

Es klingt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Viele Landwirte fühlen sich seit Jahren nicht ausreichend gehört. Gleichzeitig sagen Experten, wie der Agrarpolitologe Peter H. Feindt, der Bauernverband und die Bauernschaft insgesamt haben einen großen Einfluss auf die Politik. Wie passt das zusammen?

Feindt forscht an der Humboldt-Universität in Berlin zur Agrar- und Ernährungspolitik und hat sich in mehreren Studien angeschaut, wie Reformen zum Tier- oder Umweltschutz politisch angegangen wurden – was für Ziele und Ideen am Anfang standen und was am Ende herauskam.

Immer, wenn der Bauernverband ein Vorhaben unterstützt hat, ist es nach Einschätzung von Feindt vorangegangen – und wenn der Bauernverband skeptisch gewesen ist, dann nicht. „Das politische Ergebnis ist oft sehr nah dran an der Position, die der Bauernverband vorher bezogen hat.“ Sprich, die Bauernschaft konnte ihre Interessen in diesen Reformprozessen gut durchsetzen, so Feindts Studien.

Als Beispiel nennt Peter Feindt einen Vorschlag der EU von 2013. Sie wollte der Natur mehr Raum geben und deshalb sogenannte ökologische Vorrangflächen einrichten. Auf denen sollten die Landwirte nur noch sehr eingeschränkt anbauen dürfen. Am Ende kamen deutlich abgeschwächte Regeln raus, Landwirte konnten eine Zeitlang zum Beispiel dort auch noch Pflanzenschutzmittel einsetzen.

Bauernverband mit viel Einfluss

Aus Sicht des Agrarexperten ist der Deutsche Bauernverband „nach wie vor eine der einflussreichsten Interessenorganisationen“ in Deutschland. Das Gefühl der Bäuerinnen und Bauern aber ist ein ganz anderes. Das liegt aus Sicht von Feindt daran, dass „die Bauern sich als machtlos erfahren, weil sie das schwächste Glied in der Kette sind“. Sie fühlen sich zerrieben, zwischen einerseits starken Dünge- und Pflanzenschutzfirmen, die Preise ihrer Produkte diktieren, und mächtigen Handelsverbänden andererseits, die die Lebensmittelpreise drücken.

Außerdem gebe es durchaus mehr bürokratische Lasten, die Mehrarbeit und Kosten verursachen. Die Landwirte könnten das aber nicht in höhere Preise für ihre Produkte ummünzen, sagt der Agrarwissenschaftler.

Richtungswechsel in der Agrarpolitik

Seit zehn bis 20 Jahren gibt es einen Richtungswechsel in der Agrarpolitik – hin zu einem stärkeren Fokus auf Tier- und Umweltschutzthemen. Auch befeuert durch die einflussreicher werdenden Stimmen von Natur- und Tierschützern. Gleichzeitig liefert die Wissenschaft neue Erkenntnisse zum Beispiel zum Artenschwund.

Die Landwirte stehen unter Druck, nachhaltiger zu wirtschaften. Also mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz, sagt der Agrarwissenschaftler Alfons Balmann bei NDR Info. Gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft, unter anderem durch die Digitalisierung und den demographischen Wandel. Die Politik schafft es aus Sicht Balmanns nicht, die eigentlichen Probleme anzusprechen, was zu Orientierungslosigkeit führt. Die Politik gibt den Bauern keine Planungssicherheit.

Aber auch der Bauernverband hat nach Einschätzung von Experten lange wenig Perspektiven entwickelt. Die Landwirtschaft hat „bei allen Problemen immer versucht zu blockieren, Veränderungen möglichst in die Länge zu ziehen“, statt Lösungen zu entwickeln, sagt Balmann.

Landwirte in den Parlamenten

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Und sie hatte damit durchaus Erfolg im Ringen um politische Reformen. Woher dieser Einfluss kommt, das hat Guido Nischwitz vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen erforscht, unter anderem mit einer Studie im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland. Ein Punkt ist, dass überdurchschnittlich viele Landwirte direkt in den Parlamenten sitzen. Teils sind sie gleichzeitig auch im Bauernverband aktiv, haben also mehrere Funktionen und Posten inne.

In Schleswig-Holstein ist der Präsident des Bauernverbands, Werner Schwarz (CDU) auf den Posten des Landwirtschaftsministers gewechselt. Im letzten Bundestag war der Abgeordnete Johannes Röring eine Zeitlang gleichzeitig auch Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands.

Im Bundestag, im EU-Parlament und den Landtagen finden sich dann in den entsprechenden Ausschüssen viele Landwirte wegen ihrer Expertise. Sie „bestimmen dann maßgeblich die Politik, die sie dann sehr eng mit ihren Verbänden abstimmen“, sagt Guido Nischwitz. Ihr Vorteil sei, „mittendrin im Prozess zu sitzen und die Entscheidungen da sehr stark zu beeinflussen“.

Bauernverband tief verwurzelt in Deutschland

Diese Vernetzung hat auch historische Gründe. Der Bauernverband ist tief verwurzelt im ländlichen Raum, mit vielen Orts- und Kreisverbänden. Außerdem engagieren sich viele Landwirte in ihren Gemeinden, sind in Vereinen aktiv, helfen bei den Dorffesten und sind dann oft auch im Gemeinderat und in Parteien – viele bei CDU und CSU, aber auch bei den Grünen und anderen Parteien.

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