Jens Mecklenburg

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Wer bestimmt die Preise für Lebensmittel?

Supermarktgipfel im Kanzleramt
3. Februar 2020

Supermärkte locken oft mit Billigangeboten. Gerade beim Thema Fleisch ärgert das nicht nur Landwirte. Kanzlerin Merkel lud deshalb zum Gipfel ins Kanzleramt.


Angesichts umstrittener Preisaktionen für Lebensmittel kam Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag mit dem Einzelhandel und der Ernährungsindustrie zusammen. Das Treffen im Kanzleramt mit Verbänden und Supermarktketten war bereits nach einem „Agrargipfel“ bei Merkel mit Vertretern der Landwirtschaft im Dezember angekündigt worden. Hintergrund sind auch die anhaltenden Proteste von Bauern, die sich nicht nur gegen neue Umweltauflagen, sondern auch gegen Billigangebote für Fleisch und andere Lebensmittel richten.


Auskömmliche Preise


Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil und der ehemalige schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister und Grünenchef Robert Habeck finden Lebensmittel zu billig und setzen sich für auskömmliche Preise für die Landwirtschaft ein. „Viele Nahrungsmittel sind in Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern erstaunlich billig“, sagte Weil den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Ihm zufolge müssten wegen der zunehmenden Anforderungen an die Landwirte auch die Preise von Lebensmitteln im Supermarkt steigen. „Mehr Leistung muss auch besser bezahlt werden. Anders bekommen die Bauern das nicht hin“, sagte Weil. Der Einzelhandel dürfe nicht das „Prinzip des niedrigsten Preises“ hochhalten.


Auch Grünenchef Robert Habeck forderte von der Bundesregierung ein Verbot vom Ramschpreisen bei Lebensmitteln. „Dieses Preisdumping im Supermarkt macht mich wütend. Das muss die Bundesregierung untersagen“, sagte er der Bild am Sonntag. Er schlägt einen Tierschutzcent auf tierische Produkte vor. „Damit wird der Umbau von Ställen finanziert und Tiere bekommen mehr Platz“, sagte Habeck. Diesen kleinen Preisaufschlag würde der Verbraucher an der Kasse kaum merken.


Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hatte angekündigt, rechtliche Schritte gegen Preisdumping einzuleiten. „Um unlautere Handelsbedingungen abzustellen, werden wir auch ordnungsrechtliche Regelungen ergreifen“, sagte Klöckner. Mit dauerhaften Dumpingangeboten für Nahrungsmittel setze der Handel ein falsches, auch gefährliches Signal. So könne keine Wertschätzung für die Produkte und deren Erzeuger entstehen. Der Leidtragende sei am Ende der Kette der Landwirt. „Es muss fair zugehen“, sagte Klöckner. „Wir brauchen Preise, die für den Verbraucher bezahlbar und den Erzeuger auskömmlich sind.“


Schon vor einigen Wochen hatte Klöckner dem Tagesspiegel gesagt: „Hähnchenschenkel für 20 Cent pro 100 Gramm, das ist unanständig.“ Sie fragte, wie ein Bauer davon leben und höchste Tierwohlstandards einhalten könne.


Auch Kartellamtschef Andreas Mundt fordert die großen Supermarktketten auf, ihren Einfluss nicht auszunutzen. Die Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels dürfen ihre Macht nicht dazu missbrauchen, die Konditionen einseitig zulasten der Erzeuger und Produzenten festzusetzen, sagte er dem Tagesspiegel.


Die großen Supermärkte Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland haben einen Marktanteil von mehr als 85 Prozent.

Greenpeace-Landwirtschaftsexpertin Stephanie Töwe sagte im Tagesspiegel, dass der Handel „auf Werbung für Fleisch zu Dumpingpreisen zu verzichten“ soll, um das Tierwohl zu verbessern. Der Lebensmittelhandelsverband ist jedoch dagegen. „Sonderangebote gehören zur Preispolitik und damit zum 1×1 der Betriebswirtschaft“, sagte Verbandspräsident Friedhelm Dornseifer der Zeitung.


Handelsverband gegen Änderungen


Am Freitag ging der Handelsverband Deutschland (HDE) bei seiner Jahrespressekonferenz auf solche Vorwürfe ein. „Lebensmittel werden hier nicht verschleudert“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Gent. Deutschland liege bei Lebensmittelpreisen rund zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt der 28 EU-Mitgliedstaaten (noch mit Großbritannien).


Noch deutlicher wurde HDE-Präsident Sanktjohanser: „Mit ihren Forderungen nach Mindestpreisen für Lebensmittel im Einzelhandel überschreiten Vertreter der Bundesregierung und der Parteien eine rote Linie“, teilte er mit. „Offensichtlich ist einigen Politikern der ordnungspolitische Kompass verloren gegangen, der die Vorteile der sozialen Marktwirtschaft und das Ziel, Wohlstand für alle zu schaffen, in den Mittelpunkt stellt.“


Die von Niedrigpreisen betroffenen Bauern, waren übrigens nicht zum Gipfel geladen. Bauernpräsident Walter Heidl tat seine Meinung deswegen im Vorfeld schon kund: „Es muss endlich Schluss sein mit dem gnadenlosen Preiskampf auf dem Rücken der Bauern und den rücksichtslosen Rabattaktionen. Um unsere Landwirtschaft und unsere Umwelt zu schützen, dürfen Lebensmittel nicht länger zum Schnäppchenpreis verramscht werden“, sagte er.


Auch die Agrarkonzerne, die den Bauern ihre Erzeugnisse abkaufen und an die Händler weiterreichen, saßen nicht mit am Tisch. Dabei ging es laut offizieller Einladung um die „Stellung der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette“.


Dass der Handel nun allein am Pranger steht, hat er auch selbst verschuldet. In der Außendarstellung geht es bei Supermärkten und Discountern meist um den günstigsten Preis. Erst vor einer Woche machte Edeka wieder mit einer umstrittenen „Niedrigpreis“-Werbung von sich reden. Ein norddeutscher Händler hatte mit seinem Plakatmotiv „Essen hat einen Preis verdient: den niedrigsten“ massive Bauernproteste und Schlagzeilen verursacht. Die negativen Schlagzeilen ließen in den Hintergrund treten, worum es bei dem Treffen eigentlich gehen sollte: die Umsetzung einer EU-Richtlinie gegen „unfaire Handelspraktiken in der Lebensmittellieferkette“ (UTP).


Insgesamt zehn „unfaire Handelspraktiken“ verbietet das Brüsseler Regelwerk kategorisch, sechs weitere Praktiken kommen hinzu, für den Fall, dass sie nicht klar schriftlich fixiert wurden, etwa Listungsgebühren oder Werbekostenzuschüsse – Standard in deutschen Supermärkten.



Preise unterhalb der Produktionskosten

Im Frühjahr soll die Kabinettsfassung stehen, im Herbst der Gesetzentwurf umgesetzt werden. Konkret geht es um ein Verbot des Verkaufs unterhalb der Produktionskosten, was etwa für Bananen aus Ecuador gilt. Lidl und Aldi fochten über Monate Preisschlachten um die billigste Banane aus. Verboten werden sollen auch Auktionen, bei denen Lieferanten jederzeit den Verkaufspreis der Konkurrenz online einsehen und diesen im Laufe der Auktion unterbieten können. Unbotmäßige Lieferanten sollen auch nicht einfach ausgelistet werden können und nicht verkaufte Ware nicht einfach an sie zurückgegeben werden können.

Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), wies auf die enorme Marktkonzentration der Handelskonzerne hin und die daraus resultierende Abhängigkeit der Lieferanten sowie unfaire Handelspraktiken. Zeitler wies darauf hin, dass Listungsgebühren und Regalmieten im Lebensmitteleinzelhandel gang und gäbe sind. Um zusätzliche Marktanteile zu gewinnen, müssten Lieferanten und Produzenten ihre Preise senken und unfaire Konditionen akzeptieren. Das „Billig-Prinzip“ des Handels drücke auch auf Tarifverträge und Arbeitsbedingungen, so der NGG-Vorsitzende. „Lebensmittel müssen wertgeschätzt werden und dürfen keine Ramschware sein. Zur Wertschätzung und zum fairen Miteinander gehört auch die Wertschätzung der Arbeit der Beschäftigten, die diese Lebensmittel produzieren. Die Beschäftigten der Ernährungsindustrie bezahlen Dumping-Lebensmittel mit Druck auf ihre Löhne und Jobabbau.“