Unverpackt-Truck in Bremerhaven

15. Juni 2021

Ein Beitrag von Wolfgang Heumer 

Annemarie Bink und Fiona Brinker verkaufen in ihrem Bremerhavener Laden „Glückswinkel“ Lebensmittel, die eins gemeinsam haben: Sie sind unverpackt. Mit ihrem neuen „Unverpackt-Truck“ wollen Annemarie und ihr Mann Mario Bink jetzt das Glück in jeden Winkel des Umlands bringen.

Im Unverpackt-Truck verkauft Ehepaar Bink lose Lebensmittel und Küchenutensilien ©WFB/Jörg Sarbach

Ob vier Scheiben Käse, drei Paprika, eine Spülbürste, 24 Wäscheklammern oder Seife: Wer diese Waren im Supermarkt kauft, erwirbt den Abfall gleich mit. Denn aus vielerlei Gründen sind die meisten Produkte in Plastik verpackt. Zuhause wird so die Gelbe Tonne für Verpackungsmüll ruckzuck zum Überquellen gebracht. Dabei geht es auch anders: „Wenn man etwas aufmerksamer hinschaut, findet man schnell Produkte, die bei gleicher Qualität und Preislage nachhaltiger sind als andere“, betont Fiona Brinker, die vor drei Jahren gemeinsam mit Annemarie Bink mit dem „Glückswinkel“ den ersten Bremerhavener Gemischtwarenladen für Nachhaltiges eröffnete. Inzwischen gehören unverpackte Lebensmittel und andere Produkte dort zum Renner im Sortiment. Nun bringt Annemarie Bink mit dem „Unverpackt-Truck“Bewegung ins Geschäft: Ihr Mann Mario fährt mit dem Verkaufswagen auf Wochenmärkte im Bremerhavener Umland.


„Der ganze Verpackungsmüll ist überflüssig“

Unverpackte Ware liegt im Trend und geht von der Idee her viel weiter als das seit Jahren boomende Bio-Angebot im Einzelhandel. Denn während sich die Öko-Lebensmittel in friedlicher Koexistenz die Regale mit herkömmlichen Artikeln teilen, gilt für den Verzicht auf (Plastik-)Verpackungen der Anspruch der Ausschließlichkeit. Wer unverpackte Ware verkauft, will ein deutliches Zeichen setzen: „Dieser ganze Verpackungsmüll ist ja nicht nur ärgerlich, weil er überflüssig ist, sondern auch umweltschädlich“, sagt Mario Bink.

Dass ein Verzicht auf Verpackung im Trend liegt, belegt eine Studie der Wirtschaftsberatung PwC aus dem Jahr 2018. In einer repräsentativen Befragungunter 1000 Konsumenten stellte PwC fest, dass knapp neun von zehn Supermarktkunden bereit wären, auf Umverpackungen bei Lebensmitteln zu verzichten. Bei vielen Produkten würde weniger Verpackungsmaterial ausreichen, sagen 94 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher. Besonders bei Drogerie- und Hygieneartikeln ärgern sich die meisten über zu viel Verpackungsmaterial. Immerhin zehn Prozent haben demnach bereits in einem verpackungsfreien Supermarkt eingekauft oder tun dies regelmäßig.


Wissenschaftliche Erkenntnisse aus Bremerhaven unterstreichen Handlungsdruck

Auslöser für den Trend zu weniger Verpackung sind auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die gravierenden Folgen der Plastikflut. Forschende des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) sprechen inzwischen von einem Müllproblem in der Arktis. Sie fanden zum Beispiel an einem Messpunkt im „Hausgarten“ genannten AWI-Dauerforschungsgebiet in der arktischen Tiefsee zwischen Grönland und Spitzbergen im Jahr 2014 über 8000 Müllteile in einem einzigen Quadratkilometer. Zehn Jahre zuvor waren es in der Eisrandzone nur 346 mit dem bloßen Auge sichtbare Müllstücke auf einem Quadratkilometer gewesen.

Aber: „Auf dem Land und in kleineren Gemeinden gibt es bisher kaum Unverpackt-Geschäfte wie den Glückswinkel“, hat Mario Bink beobachtet. Die Nachfrage ist aber da: „Unsere Kunden kommen auch aus dem Landkreis und von der anderen Weserseite“, berichtet seine Frau über den Alltag im Geschäft. Die Konsequenz: die Binks kauften einen so genannten Mobi-Shop – einen zum rollenden Verkaufsstand umgebauten Lieferwagen – und versorgen so die Landbevölkerung über die Wochenmärkte in den kleinen Nachbargemeinden Bremerhavens.

Ehepaar Bink konnte mithilfe eines Crowdfundings den Verkaufswagen erwerben ©WFB/Jörg Sarbach

Marktgänger in der Region entwickeln Interesse für Unverpacktes

Die Idee der Binks birgt ein gewisses „Zurück zu den Wurzeln“. Denn die Wochenmärkte waren einst das Zentrum des unverpackten Einkaufs, bis immer weniger Kundinnen und Kunden den Verkäuferinnen und Verkäufern Stoffbeutel reichten. „Aber die grundsätzliche Bereitschaft ist immer noch deutlich zu erkennen“, weiß Mario Bink aus seinen ersten Monaten im Markteinsatz. „Anfangs haben die Kunden vorsichtig von weitem geschaut, was wir denn da so machen“, berichtet er, „dann kamen sie an den Stand, um sich näher zu informieren, jetzt kaufen immer mehr bei uns.“ Der Unterschied zu den umliegenden Marktständen steckt im Detail: „Wer bei uns kauft, muss die eigene Verpackung mitbringen“, betont Annemarie Bink.

Das Lebensmittelsortiment umfasst lose, trockene Ware; daneben gibt es vieles für den Haushalt, was sonst nicht so leicht ohne Plastikhülle zu finden ist: lose Duschseife statt Shampoo in der Plastikflasche, die Spülbürste aus Holz und Draht mit Naturborsten statt Kunststoff, kleine Mitbringsel aus Papier und Pappe. „Immer mehr Kunden sehen, dass unser Angebot das klassische Marktsortiment erweitert und ergänzt“, so Mario Bink.


Projekt „Wissen schafft Raum“ für neue Ideen im Zentrum der Lebensmittelproduktion

Neue Unternehmerwege mit frischen Ideen für eine neue Geschäftswelt erfordern neue Formen der Kapitalbeschaffung. Selbst ein gebrauchter Mobi-Shop ist nicht gerade ein Schnäppchen; und herkömmliche Finanzdienstleister zeigen sich immer noch zurückhaltend, wenn es um alternative Geschäftsangebote geht. Die Binks warben auf der Crowdfunding-Plattform Startnext um Unterstützer; ihre Eigeninitiative bekam Rückenwind durch die Wirtschaftsförderungsgesellschaft BIS Bremerhaven; die Bremer Aufbaubank rundete die Finanzierung als Förderbank des Landes Bremen ab.

Das Engagement der BIS hat auch einen strategischen Hintergrund. Bremerhaven ist einer der führenden Standorte der Lebensmittelindustrie inmitten einer landwirtschaftlich geprägten Region. Gemeinsam mit der Hochschule Bremerhaven und dem Technologietransfernzentrum ttz Bremerhaven leitet die BIS das regionale Projekt „Wissen schafft Lebensraum“, das mit Aspekten einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion den ökonomischen Schwerpunkt der Region weiter stärken soll. Unverpackte Lebensmittel gehören zum Themenspektrum des Projektes.

Für die Initiatoren des Unverpackt-Trucks hat sich dieser Aspekt der Wirtschaftsförderung bereits ausgezahlt. „Letztlich haben wir dadurch unsere Unternehmensidee realisieren können“, freuen sich Annemarie und Mario Bink. Wohin die Reise des Unverpackt-Trucks über die Wochenmärkte führen kann, zeigt das kanadische Geschäft „Bulk Barn“. 1982 verbannte der Kaufmannsladen aus Aurora in der Provinz Ontario als erster Laden weltweit unnötige Plastiktüten und -verpackungen aus dem Geschäft. Mittlerweile betreibt das Unternehmen 275 Filialen, aus denen die Kunden ihre Ware in wiederverwendbaren Behältnissen abtransportieren. „Ganz so weit wollen wir ja gar nicht“, lacht Annemarie Bink, „wir sind schon mit unserem Glückswinkel und dem Truck glücklich.“

©WFB/Jörg Sarbach

Annemarie und Mario Bink, Unverpackt-Truck, E-Mail: moin@unverpackttruck.de