Verena Weustenfeld

Freie Journalistin

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Steht die Ostsee vor dem Kollaps?

Studie zeigt Folgen von Klimawandel und Landwirtschaft auf
5. Dezember 2019

Tropische Temperaturen, ausgedehnte Teppiche giftiger oder stinkender Algen in Strandnähe – so könnte sich die Ostsee bald entwickeln. Prof. Markus Meier, Meeresphysiker vom IWO (Leibniz Institut für Ostseeforschung Warnemünde) hat jüngst eine Studie zum kombinierten Effekt von Klimawandel und Nährstoffeintrag veröffentlicht. Sein Fazit: Wenn wir der Ostsee helfen wollen, so müssen wir auch beim Klimaschutz ernst machen und das Paris-Abkommen konsequent umsetzen.

Blaualgenteppich auf der Ostsee. © IOW/ B. Sadkowiak

Ökologisches Meeresmanagement

Kann effektives Meeresmanagement Klimawandelfolgen so mildern, dass die Ostsee wieder einen guten ökologischen Zustand erreicht? Lassen sich zukünftige Beeinträchtigungen des Tourismus durch Rekord-Blaualgenblüten und andere Extremereignisse abwehren? Ein Team um Markus Meier untersuchte verschiedene Treibhausgas- und Nährstoffbelastungsszenarien bis 2100. Nur in dem optimistischsten Szenario – Nährstoffreduktion durch eine perfekte Umsetzung des Ostsee-Aktionsplans – kann ein guter Umweltzustand erreicht und Extrem-Algenblüten trotz gehäufter Hitzewetterlagen vermieden werden.

Tropische Ostsee

Als relativ kleines und flaches Meer, umgeben von viel landwirtschaftlich genutzter Landmasse, ist die Ostsee dem menschlichen (Gülle-)Einfluss besonders ausgesetzt. Ihre Todeszonen mit wenig bis ohne Sauerstoff haben sich in den vergangenen hundert Jahren auf gut 60.000 Quadratkilometer verzehnfacht. Das heißt: Auf einer Fläche zweimal so groß wie Belgien ist die normale Bodenflora und -fauna zerstört. In einer groß angelegten Modellrechnung haben Forscher aus mehreren Anrainerstaaten nun erstmals entwickelt, wie Klimawandel und Überdüngung zusammen auf das Ökosystem Meer wirken. Modernste Großrechner kamen zum Einsatz, um die gewaltigen Datenmengen zu bearbeiten.

© IOW

„Die Ostseeregion wird bei unterschiedlichen Szenarien bei hohen Treibhausgaskonzentrationen durch Hitzewellen gekennzeichnet sein“, so das Fazit von Markus Meier. Was auf den ersten Blick wie ein Plus für den Ostseebesuch aussieht – zahlreiche tropische Nächte, hohe Badetemperaturen über viele Wochen – gehört jedoch zu den Extremereignissen, die eine Beeinträchtigung des Tourismus zunehmend wahrscheinlich machen. Durch Blaualgen, besser gesagt Cyanobakterien, wird das Baden gefährlich. Der Hautkontakt kann bei empfindlichen Menschen Allergien auslösen. Infektionen von lebensbedrohlichen Vibrio-Bakterien häufen sich. Auch multiresistente Keime wurden nachgewiesen, die nur aus der Landwirtschaft stammen können. Der BUND Schleswig-Holstein meint, das Zusammenwirken von Erderwärmung und Überdüngung werde die Ausweitung extrem sauerstoffarmer Todeszonen noch verstärken.


Um die Ostsee vor dem Kollaps zu retten, haben Anrainerstaaten und EU 2008 den „Baltic Sea Action Plan“ (BSAP) gegründet. Ziel: Bis 2021 soll ein guter Umweltzustand der Ostsee erreicht sein. Die Akteure räumten in der Zwischenzeit ein, dieses Ziel zu verfehlen. Nun soll der Plan überarbeitet werden. „Gerade in Zeiten des Klimawandels ist es absolut notwendig, dass Deutschland seine Düngeverordnung drastisch verschärft und den Tierbestand reduziert“ fordert Manfred Santen, Chemieexperte von Greenpeace. „Nur so kann das massive Absterben der Bodenlebewelt in der Ostsee gestoppt werden.“

Blaualgenteppich auf der Ostsee. © IOW/ B. Sadkowiak


Während sich die Landwirte mit den Trecker-Demos gegen schärfere Umweltauflagen zur Wehr setzen, sehen sich Naturschützer in ihren Warnungen bestätigt. „Die Ostsee steht am Scheideweg. Das ist kritisch, bedeutet aber auch, dass wir es noch in der Hand haben, wohin sie steuert. Über ein stringentes Meeresmanagement und über verstärkte Klimaschutz-Anstrengungen können wir die Ostsee dauerhaft als Lebensraum und Reiseziel attraktiv halten“, kommentiert Meier.  



Die vollständige Studie ist nachzulesen unter: 

H.E. Markus Meier, Christian Dieterich, Kari Eilola, Matthias Gröger, Anders Höglund, Hagen Radtke, Sofia Saraiva, Iréne Wåhlström (2019). Future projections of record-breaking sea surface temperature and cyanobacteria bloom events in the Baltic Sea. Ambio,  https://doi.org/10.1007/s13280-019-01235-5

Prof. Markus Maier, Meeresphysiker. © IOW/ K. Beck