Johanna Rädecke

Redakteurin

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Stadt der Dichter und Feinschmecker

Niedersachsen kulinarisch
27. Oktober 2021

Die alte, wunderschöne Stadt in Niedersachsen ist vor allem für ihre Universität bekannt. Auch große Literaten wie Heinrich Heine, Günther Grass, Lou Andreas-Salomé, Herbert Grönemeyer oder die Gebrüder Grimm verhalfen Göttingen zu Ruhm und Ehre. Doch nicht nur Akademiker*innen und Literaturfans haben allen Grund, der Stadt an der Leine einen Besuch abzustatten – hält sie doch auch für Feinschmecker Spannendes bereit. Ob außergewöhnliche Cocktails oder essbare Blüten aus dem eigenen Garten: Nordische Esskultur gibt Tipps für ein kulinarischen Kurztrip voller Abwechslung. Teil 1.

Altes Rathaus mit Restaurant „Bullerjahn“ © jodrexel, CC BY-Sa 3.0

Stärkung nach dem Prunk der Hanse

Hanse? Ist das nicht etwas für Städte am Wasser? Auch Göttingen war ein – zugegebenermaßen nicht besonders wichtiges – Mitglied der Hanse. Doch dieser Fakt dürfte den meisten Einwohner*innen Göttingens bekannt sein. Grund dafür ist die prunkvoll bemalte Halle des Alten Rathauses, deren Wände die Wappen aller 56 Hansestädte und das Leben in der Blüte des norddeutschen Handels zeigt. Das Alte Rathaus wurde 1270 erbaut, hier fanden Rats – und Gerichtssitzungen statt, außerdem wurde der Handel getrieben. Die so berühmten, mittelalterlich wirkenden Wandmalereien entstanden jedoch erst 1883-1886 und sind das Werk des Hannoveraner Künstler Hermann Schaper. Was den Besucher im Alten Rathaus beeindruckt, ist also nicht die glaubwürdige Spiegelung vergangener geschichtlicher Wirklichkeit, sondern deren nachträgliche romantische Verklärung im ausgehenden 19. Jahrhundert.

Dieser kleinen Schummelei zum Trotz lohnt sich ein Ausflug in das Alte Rathaus. Hier finden nicht nur regelmäßig interessante Kultur- und Politikveranstaltungen statt, auch im Haus selbst gibt es viel zu entdecken. Zum Beispiel die gotische Heizanlage im heutigen Trauzimmer: Hier tagte früher der Rat. Damit es die Ratsherren kuschelig warm hatten, stellte sich jedes Mitglied auf seine eigene Heizlüftung im Boden – durch die langen Gewänder blieb die Wärme dicht am Körper.  

Ebenfalls einen Ausflug lohnt das Restaurant „Bullerjahn“ im Keller des Alten Ratshauses. Hier sitzt man atmosphärisch unter hohem Gewölbe bei weichem Licht, großformatiger Kunst und exzellentem Bier. Ein berühmter Stammgast des Ratskellers war der Dichter Heinrich Heine zu seiner Göttinger Studienzeit. Einem Freund gegenüber bekannte er, dass ihn der Ratskeller und seine Leidenschaft für den Gerstensaft ruinieren würden… Ausgeschenkt wird das Göttinger edles Premium Pils und die Biere von Einbecker. Das gutbürgerliche Essen lässt sich im Sommer mit einem hervorragen Blick auf den Göttinger Marktplatz und die Gänseliesel verbinden. Mit Glück wird man hier Zeuge einer alten Tradition: frisch examinierte Doktoranden müssen nämlich mit bunt geschmückten Bollerwagen und anderen ungewöhnlichen Gefährten zum Marktplatz ziehen. Dort müssen sie den Gänseliesel-Brunnen besteigen und die Bronzefigur küssen. Ein nicht immer ganz leichtes Unterfangen, das zwischenzeitlich sogar verboten war.


Restaurant Bullerjahn

im Ratskeller Göttingen

Markt 9

37073 Göttingen

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Becken mit Salzkristallen in der Saline Luisenhall © Johanna Rädecke

Sole, Salz und Siedepfannen: Die Saline Luisenhall

© Johanna Rädecke

Besucht man die Saline Luisenhall in Göttingen, kann schnell das Gefühl aufkommen, man stehe vor einem alten Industrie-Museum, in dem nach modernen Standards nichts mehr produziert werden könnte. Tatsächlich wird in diesem Industriedenkmal und mittlerweile einziger noch existierenden Pfannensaline Europas noch täglich Salz produziert – und zwar wie vor 150 Jahren. Aus 450 Metern Tiefe wird die hochkonzentrierte Sole seit 1854 ans Tageslicht befördert und in großen Pfannen erhitzt, bis sich Salzkristalle bilden. Dieses Verfahren ist bereits über 1000 Jahre alt. Abgesehen davon, dass statt Wasserkraft nunmehr Elektrizität verwendet wird, hat sich am Verfahren nicht geändert. Beim Gang durch die Anlage riecht es nach altem Holz, nach Mineralien und ja – nach Salz. Es liegt als feiner Staub auf jedem Zentimeter Fläche im Reservoir und dem Sudhaus, haftet als große Zapfen an Rohren, Tanks, Holzbalken und Ventilen. Man bekommt fast den Eindruck, in einer menschengemachten Salzgrotte zu stehen. Salz ist hochaggressiv gegenüber Metall, deswegen wurde das Gebäude schon damals aus Holz gebaut.

Das Salz ist unverändert, nicht mit Jod oder Rieselhilfen versetzt und hat einen ganz eigenen Geschmack, der nicht mit gängigen Produkten aus dem Supermarkt vergleichbar ist: Weniger streng, mineralischer, fast ein wenig süßlich und mit einer wunderschönen Kristallstruktur. Im Gegensatz zu beispielsweise Meersalz hat das Salz der Saline keine Probleme mit Schadstoffen oder Mikroplastik: So, wie die Sole aus dem Untergrund gefördert wird, existiert sie schon seit Millionen von Jahren.

Doch nicht nur Feinschmecker freuen sich über das Qualitätssalz. In dem angeschlossenen Badehaus können Besucherinnen und Besucher die heilsame Kraft der Sole am eigenen Leib erfahren. Hier kann man in der Natursole (18% Salzgehalt) oder einem Soledampfbad entspannen und entschleunigen. Auch der bekannte Badesalzhersteller Kneipp ist überzeugt von dem Salz und bezieht die Kristalle für die Badesalze von der Saline Luisenhall: https://youtu.be/5g8CGHNqaCQ

Saline Luisenhall GmbH
Greitweg 48
37081 Göttingen

Telefon: +49 551 3 84 87 0

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FREIgeist Göttingen © Sebastian Böttcher


Ankommen und verwöhnen lassen: Das FREIgeist Hotel Göttingen

Nach einem ereignisreichen Tag freuen sich Besucher auf die Annehmlichkeiten eines schönen Hotels. Seit Sommer 2018 umsorgt nur ein Steinwurf vom Göttinger Bahnhof entfernt das FREIGeist Hotel seine Besucher mit Stil, Kreativität, Genuss und Fürsorge. Nicht nur die Lage ist praktisch, sondern auch die Tatsache, dass das Hotel mit exzellenter Gastronomie und Barkultur aufwarten kann. Egal, wo man sich als Gast im Hotel aufhält – in einem der 118 Zimmer, der loftartigen Lobby, dem gemütlichen Wellnessbereich oder der urbanen, coolen Bar – die Liebe zu Design wird offenbart. 

Ein Abendessen im INTUU eröffnet eine ganz neue, spannende Perspektive auf die japanische Küche, die so viel mehr kann als Sushi mit Gurke und Lachs. Hier vermählt Küchenchef Alexander Zinkes das Beste aus dem Land des Lächelns und der lateinamerikanischen Küche. Eine ungewöhnliche Kombination, die das Erlebnis umso spannender macht. Klassische Gangabfolgen gibt es nicht, genauso wenig, wie einzelne Gerichte für eine Person – sharing is caring. So empfielt sich vor allem das „Chef’s choice“, in dem Zinke einen Querschnitt der Küchen serviert, die einen hervorragenden Rundumschlag bilden. 


Hotel FREIgeist Göttingen
Berliner Str. 30
37073 Göttingen

https://www.freigeist-goettingen.de

Maxime Mirkin im Herbarium ©Johanna Rädecke

Die Cocktail-Revolutuion: Das Herbarium

„Wer auf der Suche ist nach einem Pina Colada oder einem Sex on the Beach, wird bei uns nicht fündig. Aber wir nehmen jeden an die Hand und versuchen durch genaues Nachfragen, jeder Person den individuellen Drink zu kreieren, der ihr schmeckt“, sagt Maxime Mirkin. Er ist einer der passionierten Barkeeper des Herbariums, das mit einem ungewöhnlichen Konzept besticht und mit seinem vertical Garden an der Bar ein absoluter Blickfang ist. Der Chef-Barkeeper Yannick Bertram wurde von fallstaff bereits zum „Barkeeper des Jahres“ gekürt: „Im einzigartigen Ambiente der sehenswerten Bar dreht sich alles um sämtliche Lebensphasen der Welt der Pflanzen. Die Kräuter für die innovativen Drinks und Cocktails werden direkt aus dem vertikalen Kräuterbeet an der Barrückwand geernetet und verarbeitet. Frischer geht nicht!“ Die Lebensphasen der Pflanzen finden sich, wunderschön illustriert, in der Getränkekarte. Sortiert sind die 16 Signature-Drinks, die zum Standardrepetoire der Bar gehören, nach den 6 Stadien der Pflanze vom Samenkorn bis zur Blüte. So findet sich unter „Blüte“ der „Haller‘s Fix“: Deutscher Gin – Bianco Vermouth – Holunderblüte – Löwenzahn. Die verwendeten Sirups und Aromaauszüge werden alle selbst aufgesetzt und gekocht – mit Pflanzen unter anderem aus dem Botanischen Garten Göttingen. „Das Team vom Alten Botanischen Garten in Göttingen hilft uns dabei, in der Natur neue Zutaten und Inspirationen für unsere Drinks zu entdecken. Umgekehrt engagieren wir uns für die Weiterentwicklung des Botanischen Gartens mit unserer Art freigeistiger Vernetzung.“ Zugegeben, das Preisniveau (16 Euro pro Cocktail) und die Tatsache, dass keine Drinks zu finden sind, die man sonst so kennt, kann abschreckend wirken. Doch spätestens beim ersten Schluck zeigt sich, wie lohnenswert der Besuch ist. Die Komplexität der Aromen im Zusammenspiel mit Qualitätsspirituosen ist phänomenal. Durch das hervorragend geschulte Barpersonal ist für jeden Geschmack etwas dabei. Und warum Fenchel, Kamille oder Sellerie hervorragend zu Wermut passen, weiß Barkeeper Maxim. Er führt auch Laien in die komplexe Welt der Aromen ein und schafft es, Begeisterung auch bei denen auszulösen, die normalerweise gerne Bourbon mit Cola trinken. Hier ist ein Ausklang einer Göttingenreise zu erwarten, wie man ihn nicht vergessen wird. 


Herbarium im FREIgeist Göttingen

Informationen unter freigeist-goettingen.de/herbarium-bar-goettingen

Das INTUU: Japanisch trifft südamerikanisch in Göttingen. ©Johanna Rädecke