Seemannsmission – „Da ist man einfach da“ 

Philipp Manthey hat ein offenes Ohr für die Sorgen an Bord
17. September 2024

Ein Beitrag von Wolfgang Heumer

©  WFB Björn Hake

Seefahrt steht für Fernweh, Romantik und fremde Länder. Seeleute haben aber häufig andere Begleiter: Heimweh, Einsamkeit, kaum Kontakt zur Familie, die sie mit ihrer Heuer finanziell tragen. Philipp Manthey bietet als Leiter der Bordbetreuung der Deutschen Seemannsmission Bremerhaven Seeleuten seine Unterstützung und ein offenes Ohr an.

Keine Romantik, dafür Heimweh und Einsamkeit

Gelegentlich fühlt sich Philipp Manthey wie ein Verkäufer von SIM-Karten. Nahezu täglich geht er in den Überseehäfen von Bremerhaven an Bord von Containerfrachtern, Autotransportern oder Kreuzfahrtschiffen. Dort arbeiten Besatzungsmitglieder aus aller Welt – für sie sind die Chipkarten die entscheidende Voraussetzung, um per Smartphone oder Tablet den Kontakt zur Familie in der weit entfernten Heimat zu halten. Natürlich freut sich Manthey, wenn er einem Seemann mit dem kleinen Chip eine große Freude machen kann. Aber die eigentliche Wirkung dieses Service geht viel tiefer: „Es ist ein guter Weg, mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen“, sagt Philipp Manthey. Der 28-Jährige sucht den Kontakt mit gutem Grund: Als Leiter der Bordbetreuung in der Seemannsmission Bremerhaven ist es sein Beruf und seine Berufung zugleich, Seeleuten zur Seite zu stehen, wenn sie Hilfe suchen. 

Der Alltag an Bord von Fracht- und Passagierschiffen ist weit entfernt von den an Land gepflegten romantischen Bildern. „Viele der Seeleute tragen Sorgen und Probleme mit sich, über die sie aber an Bord kaum sprechen können“, weiß Philipp Manthey. Ihnen zu helfen ist nur möglich, wenn sie sich öffnen. Manthey und seine acht ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen haben deswegen ein unverrückbares Prinzip: „Wir drängen uns nicht auf, wir sind einfach nur da und bieten unsere Hilfe an.“

Über Umwegen zur Seemannsmission 

Auch wenn die Seefahrt und das Leben im Hafen nicht von Fernweh, Freiheit und Abenteuer geprägt sind, hat beides doch eine gewisse Faszination. Auch Philipp Manthey konnte sich dem nicht verschließen. Aufgewachsen in der Nähe der internationalen Häfen von Bremerhaven und Bremen stand für ihn zum Ende der Schulzeit fest: „Im Umfeld der Häfen möchte ich gerne arbeiten.“ Doch das Studium in der Fachrichtung Seeverkehr und Hafenwirtschaft erwies sich für ihn als Einstieg in einen Irrweg: „Im Berufsalltag stellte sich heraus, dass es in erster Linie um Zahlen, Daten und Fakten, aber kaum um Menschen geht.“ 

Die lagen und liegen Philipp Manthey aus seinem Grundverständnis und seinem christlichen Glauben heraus aber am Herzen. Weil er bereits gute Erfahrungen im Engagement für die aufsuchende Drogenarbeit in Hannover gesammelt hatte, entschied er sich zu einem neuen Anlauf mit dem Studium der Sozialarbeit und der Religionspädagogik. Es war für ihn die richtige Entscheidung: „Sie hat mir den Weg geöffnet, in der Arbeit bei der Seemannsmission meine beiden großen Interessen miteinander zu

verknüpfen.“

©  WFB Björn Hake

Anlaufstelle für Seeleute

Seemannsmission? Nein – mit Missionieren hat das nichts zu tun. Ähnlich wie die „Stella Maris“ der katholischen Kirche ist die evangelische Deutsche Seemannsmission eine Sozialeinrichtung, die unabhängig von Glauben und Konfession Seeleuten als Anlaufstation während des Hafenaufenthaltes zur Verfügung steht. Solche Einrichtungen gibt es in nahezu allen Häfen der Welt: Sie sind Aufenthaltsort, Übernachtungsmöglichkeit und Treffpunkt für Menschen fern ihrer Heimat. Für den einen Seefahrer – es sind fast ausschließlich Männer – reicht es, dass er mit dem Seemannsclub einen einfach erreichbaren Anlaufpunkt im Hafen findet, wo er Billard oder Basketball spielen kann. Ein anderer braucht vielleicht praktische Hilfe zum Beispiel bei Visa-Angelegenheiten, der dritte sucht einen Platz zum Ausruhen auf dem Weg zurück in die Heimat. 

Philipp Manthey und sein Team sind gewissermaßen Ohr, Auge und Herz der Seemannsmission: „Wir sind da, wenn jemand Sorgen und Nöte oder zum Beispiel ein konkretes Problem mit der Familie oder der übrigen Crew an Bord hat“, erläutert er. Während sie die beliebten SIM-Karten verkaufen, haben die Bordbetreuer etwas Kostenloses und doch Unbezahlbares immer dabei: Sie schenken den Menschen Aufmerksamkeit.

Die Schiffsbesatzungen sind wochen-, wenn nicht sogar monatelang von ihrem Zuhause und ihren Familien getrennt. Das Leben an Bord ist meist monoton, die Zeiten in den Häfen sind kurz, so dass nur selten Gelegenheit zum Landgang besteht. Wie überall, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben und arbeiten, kann es zu Konflikten kommen. Gerade wenn sie nicht offen ausgetragen werden, stellen sie eine enorme seelische Belastung dar. Die Arbeit kann zudem körperlich anstrengend sein, immer wieder kommt es auch zu Unfällen an Bord. 

„Wir zeigen, dass wir jederzeit ansprechbar sind“

Spätestens wenn es in der Familie zu Problemen, zu Krankheiten oder ähnlichem kommt, wächst der Druck auf die Seefahrer. „Nicht jeder mag in einer solchen Situation mit einem Fremden reden“, weiß Philipp Manthey. Deswegen ist es für ihn und sein Team das Wichtigste, Vertrauen zu wecken und Gesprächsbereitschaft zu signalisieren: „Ob sich jemand öffnen möchte oder nicht, ist allein seine Sache“, betont der Bordbetreuer, „wir können nur zeigen, dass man uns jederzeit ansprechen kann.“ Wenn sie allerdings offensichtliche Missstände oder Probleme an Bord erkennen, sucht sich das Team wiederum selbst Hilfe: „Dann kommt die gute Vernetzung mit Reedereien, Hafenagenturen und der Gewerkschaft zum Tragen.“ 

©  WFB Björn Hake

Es gibt Momente, „da ist man einfach da“

Philipp Manthey kommen seine Erfahrungen aus der aufsuchenden Drogenarbeit zugute. Er weiß, wie man Vertrauen aufbaut und hat ein ausgeprägtes Gefühl dafür, wenn jemand Hilfe möchte, es aber nicht artikulieren kann. Aber er weiß auch, dass Hilfe an Grenzen stoßen kann. Im einfachsten Fall zieht der Seemann eine Grenze; es gibt aber auch Situationen, in denen die Helferinnen und Helfer an die ihre kommen. 

Philipp Manthey gehört auch zum Notfall-Interventionsteam des Havariekommandos in Cuxhaven. Wenn es zu einem schweren Unglück auf See oder an Bord kommt, wird das Team zur Betreuung der Besatzung gerufen. Noch immer hat Manthey jenes Unglück im Oktober 2023 vor Augen, als zwei Frachter in der Deutschen Bucht kollidierten und der Kapitän sowie vier Seeleute des Schiffes „Verity“ starben. Das Notfallteam betreute die beiden überlebenden Seeleute und stand auch der Crew auf dem zweiten Schiff zur Seite: „Das sind Momente, in denen man nicht mehr viel sagen kann, da ist man einfach da“, sagt Manthey. „Wir sind für dich da“ – das will das Team der Seemannsmission auch mit seinem Angebot der SIM-Karten signalisieren. Zumeist springen die Abgesprochenen nicht beim ersten Mal darauf an. „Aber viele Seeleute kommen regelmäßig nach Bremerhaven“, weiß Philipp Manthey. Und irgendwann sei das Vertrauen so groß, dass sich aus ersten Kontakten sehr persönliche Gespräche entwickelten. Das ist dann spätestens der Moment, in dem Philipp Manthey sich sicher ist, dass es richtig war, seine Faszination für Hafen und Schifffahrt mit seiner Bereitschaft zur Seelsorge zum Beruf des Bordbetreuers zu verbinden.

 

©  WFB Björn Hake