Schokolade mit Kaviar

Lebensmitteltechnologin experimentiert mit geschmacklichen Überraschungen
15. Januar 2021

Ein Beitrag von Wolfgang Heumer

Cheddar und Mango: Food Pairing nennt sich das Kombinieren sehr unterschiedlicher Lebensmittel. An der Hochschule Bremerhaven wird im Studiengang Lebensmitteltechnologie damit experimentiert, wie Algorithmen das Abschmecken (fast) ersetzen können.

In der ersten Überlegung des Besuchers harmonisieren würziger Cheddar und Mango nur farblich miteinander. Kirsten Buchecker lächelt wissend, als sie ihrem Gast ein kleines Stück des britischen Käses zusammen mit einem Fruchtstück zum Probieren reicht. Und in der Tat passiert, was die Lehrbeauftragte an der Hochschule Bremerhaven und erfahrene Lebensmitteltechnologin im Gegensatz zu ihrem Besucher erwartet hat: In Sekundenbruchteilen verschmelzen die Aromen der beiden Zutaten zu einem neuen Geschmackserlebnis. 

Cheddar, Fisch und Mango: Food Pairing nennt sich das Kombinieren sehr unterschiedlicher Lebensmittel. An der Hochschule Bremerhaven wird damit im Studiengang Lebensmitteltechnologie experimentiert. © WFB/Jörg Sarbach


Aus würzig wird mild

 Der scharfe Cheddar und die süße Mango schaffen in der Kombination einen buttrig-nussartigen Eindruck mit einer leicht fruchtigen Note, so wie ihn ein sehr milder Butterkäse mit einem Hauch von Aprikosenmarmelade als Aufstrich haben würde. „Das ist das Ergebnis von Food Pairing“, sagt Kirsten Buchecker – also vom Kombinieren sehr unterschiedlicher Lebensmittel. An der Hochschule Bremerhaven vermittelt Buchecker das Wissen um diesen jungen Trend in der Spitzengastronomie an die nächste Generation von Food-Experten. 


Food Pairing spielt in der Spitzengastronomie und bei Bio-Produkten wichtige Rolle

 Im Studiengang Lebensmitteltechnologie forscht sie zudem nach Anwendungen der neuen Aromen-Vielfalt für die Nahrungsmittelindustrie und insbesondere für die Produzenten von Bio-Produkten. „Neue Entwicklungen aus der gezielten Kombination von natürlichen Aromen sind sowohl für die Spitzengastronomie als auch für die Hersteller von Bio-Lebensmitteln ein wichtiges Thema“, weiß Kirsten Buchecker. In Trend-, Entwicklungs- und Geschmacksfragen ist sie eine ausgewiesene Expertin – jahrelang hat sie das Sensoriklabor am Technologie-Transferzentrum (ttz) der Hochschule Bremerhaven geleitet, in dem viele große und namenhafte Hersteller ihre neuesten Produktentwicklungen vor der Markteinführung testen lassen.


Weiße Schokolade mit Kaviar schmeckt wie Lakritz

 Das Food-Pairing, das Kirsten Buchecker nun an der Hochschule beschäftigt, hat seinen Ursprung in der Spitzengastronomie. Auf der Suche nach ungewöhnlichen Kreationen für sein Drei-Sterne-Restaurant „The Fat Duck“ kombinierte der experimentierfreudige britische Koch Heston Blumenthal weiße Schokolade mit Kaviar – und staunte anschließend über den lakritzartigen Geschmack dieser Kreation. Um das Phänomen zu ergründen, wandte er sich an einen befreundeten Lebensmitteltechnologen. 


Aromengruppen bilden kombiniert plötzlich ein neues Aroma

 Mit Hilfe von Analysen in speziellen Apparaturen fand der Wissenschaftler heraus, dass weiße Schokolade und Kaviar bestimmte Aromengruppen enthalten, die kombiniert ein neues Aroma bilden. Zum Hintergrund: Das, was landläufig als Geschmack bezeichnet wird, ist eher ein „Geruch“. Mit der Zunge kann der Mensch nur süß, sauer, salzig, bitter und „umami“ – das japanische Wort für würzig – erkennen. „Alle anderen Nuancen nehmen wir über Rezeptoren in der Nase wahr“, erläutert Kirsten Buchecker. 

„Food Pairing ist ein hervorragendes Mittel, die sensorischen Fähigkeiten der Studierenden auszubilden“, sagt Lebensmittel-Expertin Kirsten Buchecker. © WFB/Jörg Sarbach © Joerg Sarbach


„Algorithmen ersetzen gewissermaßen das Abschmecken“

Diese „Sensoren“ erkennen die unterschiedlichen Aromen, die nichts anderes sind als eine Kombination bestimmter chemischer Verbindungen. Bei den von Heston Blumenthal angestoßenen Untersuchungen stellte sich heraus, dass bestimmte Verbindungen besonders gut mit anderen harmonieren oder im Gegenteil gar nicht zusammenpassen. Im Fall des Food Pairings ergeben bestimmte Kombinationen auch ein ganz neues Sinneserlebnis – so wie würziger Cheddar durch die Zugabe von Mango plötzlich einen milden Geschmack bekommt. „Dahinter steckt eine Systematik, die sich mathematisch beschreiben lässt“, sagt Kirsten Buchecker. „Beim Food Pairing ersetzen Algorithmen gewissermaßen das Abschmecken.“


Food Pairing ermöglicht Fett- und Zuckerreduzierung ohne Geschmacksverlust

 Seit kurzem bekommt die Entdeckung aus der Spitzengastronomie auch eine Bedeutung mit Breitenwirkung. Immer mehr Hersteller drucken eine Nährwertkennzeichnung auf ihre Verpackungen. So können Verbraucher leichter erkennen, wie viel Salz, Zucker oder Fett ein Produkt enthält. Vor allem Hersteller von Bio-Produkten oder zusatzstofffreien Nahrungsmitteln stehen dadurch vor neuen Herausforderungen, wenn sie diese Zusätze verringern wollen. Wer Geschmacksträger wie Fett oder Zucker reduziert, um einen besseren Wert auf der Skala zu erhalten, muss den gewohnten Geschmack auf andere Weise erzeugen. „Der Hersteller einer koffeinhaltigen Limonade hat es relativ einfach“, sagt Kirsten Buchecker, „er kann den Zucker durch Süßstoff austauschen.“ 
Die Hersteller von Bio-Artikeln oder zusatzstofffreien Produkten können solche Ersatzstoffe jedoch nicht verwenden – sie würden ihre Bio-Zertifizierung oder das Produktversprechen und damit ihr Marktmerkmal verlieren. Wenn beispielsweise Bio-Himbeer-Joghurt mit weniger Zucker auskommen und dennoch gewohnt süß bleiben soll, „kann Food Pairing eine Lösung für dieses Problem sein“, ist Kirsten Buchecker überzeugt: „Es muss nur gelingen, die notwendigen Aromen durch natürliche Zutatenkombinationen zu ersetzen.“  


Mit Cheddar-Mango-Mix entwickeln Studenten sensorische Fähigkeiten

Ob und wie das im industriellen Maßstab auch für die Herstellung von Bio-Produkten funktioniert, möchte sie demnächst in einem von der Bundesregierung geförderten Forschungsvorhaben ergründen. Das Antragsverfahren läuft, die Entscheidung soll in Kürze fallen. Bis dahin bringt Kirsten Buchecker die Studierenden des Fachs Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Bremerhaven buchstäblich auf den Geschmack: „Food Pairing ist ein hervorragendes Mittel, die sensorischen Fähigkeiten der Studierenden auszubilden.“
Das Cheddar-Mango-Experiment ist dabei nur der Einstieg für spätere eigene Produktentwicklungen. Zuletzt präsentierten die Studierenden eine Entwicklung, die für Fachleute ähnlich überraschend war wie der Cheddar-Mango-Mix für Laien: „Das Avocado-Kokos-Eis war so perfekt, dass man es sofort auf den Markt bringen könnte.“

Lehrbeauftragte Kirsten Buchecker hat lange das Sensoriklabor am Technologie-Transferzentrum geleitet, in dem Hersteller ihre neuesten Produktentwicklungen vor der Markteinführung testen lassen. © WFB/Jörg Sarbach