Story der Woche- Beruf mit Biss

Bremerhavener Fischpräparatorin schafft bleibende Anglererlebnisse
7. Februar 2024

Ein Beitrag von Astrid Labbert

Den besonderen Fang für die Ewigkeit konservieren: Das ist das Metier der Bremerhavener Fischpräparatorin Anja Kempf. Seit 28 Jahren macht sie das für Museen, vor allem aber für Freizeitangler. 85 Kilo wog bislang der dickste Fisch auf ihrem Tisch.

Ob Hecht, Meerforelle oder Nagelrochen: „Ich habe so ziemlich alles auf dem Tisch gehabt, was erlaubt und angelbar ist“, sagt die Bremerhavener Fischpräparatorin Anja Kempf. © WFB/Carmen Jaspersen

Vor einer Tür schwebt ein imposanter Nagelrochen, an der Wand daneben reiht sich Fisch an Fisch: Ein Karpfen schaut grimmig, gegenüber ragt der Kopf eines Steinbeißers in den Raum, sein geöffnetes Maul gibt den Blick auf viele Zähne frei, sogar im Gaumen. Auch Hecht, Meerforelle, Bachforelle und Co. präsentieren sich in Anja Kempfs Schauraum prachtvoll: mal von vorn im „Kopfporträt“, mal von der Seite und in Gänze – in Szene gesetzt auf Steinplatte, Holzwurzel oder blauem Glas. „Ich habe so ziemlich alles auf dem Tisch gehabt, was erlaubt und angelbar ist“, sagt die Bremerhavener Fischpräparatorin. Und nicht nur das: Aus Neugier hat sie sogar einmal eine Packung Fischstäbchen präpariert. „Ich wollte sehen, ob es geht“, sagt die 51-Jährige und lacht. Der Beweis hängt hinter ihr an der Wand.


Ungewöhnliche Fanggeschichten begeistern sie

Für die Fischpräparatorin kommt in ihrem Beruf vieles zusammen: Leidenschaft für Tiere und Meer, Neugier und der Drang zu experimentieren. Auch nach 28 Jahren sind es aber immer noch die Fanggeschichten ihrer Auftraggeber, die sie vor allem liebt – und die Möglichkeit, den Anglern (es sind vor allem Männer) mit ihrer Arbeit ein bleibendes Andenken zu schaffen. Da gibt es Kunden, die beim Fang eines kleinen Fisches selbst fast untergegangen sind und sich diese Erinnerung konservieren lassen wollen. Oder Anfänger, „deren erster Fisch gleich ein Monster ist“, erzählt die Präparatorin. Manchmal sind es auch die Wege, wie der Fisch zur ihr kommt, die ungewöhnlich sind. Die Frau eines Anglers hatte beispielsweise vorgetäuscht, die Gefriertruhe abtauen zu müssen. 

Angeblich wechselte der Fang daher in die Truhe eines Freundes, er wurde aber tatsächlich per Paketdienst nach Bremerhaven transportiert. Beim Geburtstagsausflug bekam der verdutzte Angler dann im Schauraum von Anja Kempf seinen präparierten Fisch überreicht. Teil solcher Überraschungen zu sein, mache „richtig Spaß“, sagt Anja Kempf. 


Bis zu anderthalb Jahre dauert die Gefriertrocknung

Als staatlich geprüfte Präparatorin hatte sie sich zu Beginn der 1990er-Jahre selbstständig gemacht. Fische zu präparieren sei damals in Deutschland noch nicht so populär gewesen. Sie modifizierte Herstellung und Art der Inszenierung. „Ich wollte auch Pepp in die Branche bringen“, erzählt sie. Zusätzlich investierte sie in eine größere Gefriertrockungsanlage. Die Trocknung ist für Beständigkeit und Optik des Präparats elementar: Damit die Fischhaut nicht wie bei einer Rosine schrumpelt, wird ihr bei der Gefriertrocknung sehr langsam die Feuchtigkeit entzogen. Täglich wird das gefrorene Wasser abgetaut. Das schonende Verfahren dauert je nach Fisch allerdings auch sechs Monate bis anderthalb Jahre. „Ich kann diese Zeit nicht beschleunigen“, sagt Anja Kempf. Sie weiß: Es ist eine Geduldsprobe für Angler. 

Nach der Gefriertrocknung wird das Fischpräparat geairbrusht. Farbe und Musterung werden so nachempfunden, wie sie zum Zeitpunkt des Fangs waren. © WFB/Carmen Jaspersen


Haut abziehen: fünf bis sieben Stunden

Auch vor und nach der Trocknung ist das Metier von Anja Kempf Handarbeit. Am Geruch stört sich die Präparatorin nicht: „Der Fisch kommt ja fangfrisch und eiskalt auf den Tisch.“ Zuerst wird der Umriss im Längs- und Querschnitt skizziert, auf dieser Basis schnitzt sie dann einen Kunststoffkörper. Anschließend wird die Haut vorsichtig vom Fleisch gelöst – mit Skalpell, Schere und Pinzette, ohne Schuppen abzuknicken. Das dauere je nach Fisch zwischen fünf und sieben Stunden. „Die Kunst ist, ranzukommen und dabei nirgends die Haut durchzuschneiden“, sagt Anja Kempf. „Es ist kein schnelles Arbeiten, man braucht vor allem eine ruhige Hand und einmal angefangen, muss man es konzentriert durchziehen.“ Anschließend wird die Haut mit verschiedenen Flüssigkeiten bearbeitet, auf den Kunststoffkörper gezogen und zugenäht. So wandert das Präparat in die Gefriertrocknung. 


„Der Fisch muss authentisch aussehen“

Danach tauscht Anja Kempf Skalpell gegen Pinsel und Airbrushpistole, um den Fisch zu lackieren und zu bemalen. Farbe und Musterung werden so nachempfunden, wie sie zum Zeitpunkt des Fangs waren. „Es ist wichtig, dass ich vom frischen Fang ein Foto habe“, betont die Präparatorin. Denn beim Fisch verändern sich nach dem Tod die Hautpigmente, auch Gewässer und Jahreszeit verändern Farbe und Form des Fisches. „Der Fisch muss authentisch aussehen“, sagt Kempf. „Ich versuche, das Optimum herauszuholen, sodass man gerne hinguckt. Der Fisch soll dynamisch wirken.“ Ihre Auftraggeber bezahlen im Schnitt zwischen 500 und 1.000 Euro für ihren Rekordfisch. 


Mit Heuschrecken fing alles an

Wie kommt man zu diesem Beruf? Bei Anja Kempf fing alles mit Heuschrecken an. Die hatte sie als Kind selbst gezogen. Als diese starben, „hat meine Mutter geistesgegenwärtig eine Tupperdose genommen und sie erst einmal eingefroren.“ Mit der Dose wurde sie beim damaligen Nordsee-Museum vorstellig, die Präparatoren nahmen sich die kleinen Tiere tatsächlich vor und ließen die 14-Jährige zuschauen. Nachdem sie auch bei der Arbeit an einem Pottwalskelett, das heute im Deutschen Schifffahrtsmuseum hängt, dabeisein durfte, stand Anja Kempfs Berufswunsch fest. In Bochum ließ sie sich später an der einzigen Ausbildungsstätte in Deutschland, der Berufsfachschule für präparationstechnische Assistenten, ausbilden. 


Corona: Angler blieben zu Hause

Zehn Gefriertruhen stehen heute in ihrer Werkstatt. Während der Corona-Pandemie und den damit verbundenen längeren Reiseverboten trudelten in dieser Zeit deutlich weniger Pakete bei ihr ein. „Die Angler fangen ihren Fisch überwiegend im Ausland“, erklärt die Präparatorin. „Es fehlte mir, mitzuerleben, wovon die Angler erzählen.“ Doch die Zeit nutzte sie zum Experimentieren: Schon während des Oderhochwassers Ende der 1990er-Jahre hatte sie Dokumente aus überschwemmten Archiven gefriergetrocknet. Sie testet in ihrer Anlage andere Materialien, „die nass sind, es aber nicht sein sollen.“ 
Nun melden sich wieder die Angler mit Biss aus dem Urlaub und fragen aufgeregt:  „Was muss ich jetzt tun?“ Nicht ausnehmen, ganz lassen – und wenn es nur der Kopf sein soll, nicht zu kurz abschneiden. Ausgepackt hat sie schon vieles, auch Fische, „die quasi schon auf dem Grill lagen.” Damit lässt sich nicht mehr ganz so viel machen.