Jens Mecklenburg

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Nutztierhaltung kommt moralischer Bankrotterklärung gleich

Deutscher Ethikrat kritisiert Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner
18. Juni 2020

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat zum zweiten Mal in kurzer Zeit massive Kritik für ihre Position zur Schweinehaltung einstecken müssen. Eine jüngst veröffentlichte Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren wirft der Ministerin „nicht hinnehmbare“ Zustände vor. Erforderlich sei eine konsequentere Umsetzung des Tierschutzgesetzes in deutschen Schlachtbetrieben.


Eklatante Verstöße gegen das Tierwohl

„Ich kenne kein einziges Rechtsgebiet, in dem so heuchlerisch vorgegangen wird wie im Tierschutzrecht“, sagte der Sprecher der Arbeitsgruppe Tierwohl im Deutschen Ethikrat, Steffen Augsberg. Nach seinen Angaben ist es eher die Ausnahme, dass das, „was oben drinsteht, unten auch so ankommt“.  

Es gehe dem Ethikrat nicht darum, das Schnitzel zu verteufeln oder die Nutztierhaltung insgesamt zu verdammen, sagte die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Doch eklatante Tierwohlverletzungen seien keine Ausnahme, sondern kämen in der Praxis noch viel zu oft vor. „Gute Ernährung mag ein Menschenrecht sein. Täglich ein T-Bone-Steak ist es aber nicht.“

Als Beispiel für eine mangelhafte Umsetzung gesetzlicher Vorgaben nannte Buyx das sogenannte Kükenschreddern. In Deutschland ist das Kükentöten in der Legehennenzucht nur noch für eine Übergangszeit zulässig, wie das Bundesverwaltungsgericht 2019 entschieden hatte. Die Praxis darf aber vorerst weitergehen, bis den Brutbetrieben praxisreife Verfahren zur Geschlechtsbestimmung schon im Ei zur Verfügung stehen. Solche langen Übergangsphasen seien abzulehnen, sagte Buyx.

Kritik übte der Ethikrat auch am sogenannten Kastenstand, einem Metallrahmen, in dem die Sauen gehalten werden. Eine Verordnung soll die Zeit, in der Sauen so auf engem Raum gehalten werden dürfen, deutlich einschränken und ihnen mehr Platz garantieren. Ärger gab es unter anderem um die Übergangsfrist, die Bauern gewährt werden soll. Um die Neuregelung wird seit Jahren gestritten. 

Ministerin Klöckner ©BPA Steffen Kugler

Rein ökonomischer Blick

Anfang des Monats war Julia Klöckner mit dem Versuch gescheitert, einen Verordnungsentwurf durch den Bundesrat zu bekommen, der es den Bauern erlauben würde, Millionen Sauen viele weitere Jahre lang in engen Metallkäfigen, im sogenannten Kastenstand, zu halten. Im letzten Moment hatten sich die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung geweigert, einem Kompromiss zuzustimmen. Der hätte das Leid der zur Bewegungslosigkeit verurteilten Sauen für acht Jahre besiegelt und das Leben der Tiere auch danach nur unwesentlich verbessert. Die Abstimmung wurde erneut verschoben.

Was aber auch bedeutet: Die vom Oberverwaltungsgericht Magdeburg 2015 als illegal eingestufte Haltungsform wird weiterhin angewendet und von der Politik geduldet – und das nun schon seit Jahrzehnten, obwohl viele Sauenhalter fortlaufend gegen die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung von 1992 verstoßen. 

©Maqi/ Wiki Commons. Lizenz: CC-BY-SA 3.0

„Dabei ist der Kastenstand nichts anderes als eine Exportsubvention von Bund und Ländern für die deutsche Fleischindustrie, für welche die Sauen mit massiven körperlichen und psychischen Qualen bezahlen müssen“, sagte Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherschutzorganisation foodwatch.

„Wichtig ist die Feststellung, dass mehr Tierwohlachtung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht allein auf dem Rücken der Landwirtschaft ausgetragen werden kann“, sagte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken.

„Das Leiden der Tiere in der Massentierhaltung ist für unsere Gesellschaft eine moralische Bankrotterklärung“, findet hingegen die Grünenpolitikerin Renate Künast. Sie sprach ebenfalls von Zuständen, die längst abgeschafft gehörten und wegen massivster Lobbyarbeit der „alten Agrarpolitik“ verlängert würden.

Auch Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, wirft Klöckner vor, die ökonomischen Interessen bevorzugt zu bedienen, zulasten der Schweine: „Der Ethikrat gibt der Bundesregierung einen klaren Handlungsauftrag, endlich tiefgreifende Reformen in der Tierhaltung einzuleiten. Was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger längst weiß, wird in der Stellungnahme bestätigt: Der rein ökonomische Blick und die damit verbundenen intensiven Haltungssysteme in der landwirtschaftlichen Tierhaltung sind ethisch mindestens fragwürdig und nicht mehr tolerierbar.“