Jens Mecklenburg

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An der Nordsee auf Entdeckertour 

Über unbekannte Strandfunde und kuriose Kreaturen
27. Mai 2023

Im Sylter Süden, vor Hörnum, es ist früh am Morgen und das Wasser hat sich weit zurückgezogen. So weit wie selten, denn es ist Springtide – durch eine besondere Stellung von Sonne, Mond und Erde fallen Ebbe und Flut besonders stark aus. Viel mehr Meeresboden als sonst fällt trocken; Sandbank um Sandbank taucht auf, der sachte Wind kräuselt die Oberfläche verbliebenen Wassers, das Licht der noch tiefstehenden Sonne modelliert die Sandrippel und setzt sie klar in Szene, die Farben von Sand und Wasser wirken kräftig. Auf geht es zu einer Schatzsuche der besonderen Art. Mal sehen, was wir finden. Die Fundstücke … das werden – hoffentlich – außergewöhnliche Kreaturen sein. Solche, die man hier und heute auf dem trockengefallenen Grund der Nordsee finden könnte. Der Gewinn ist das Entdecken, die Belohnung ist Erkenntnis. 

(c) Pedro Martinez

Die geführte Gruppe zieht los, manch ein Teilnehmer tippt ins Telefon und ruft die Applikation beachexplorer.org auf. Das ist eine Bestimmungshilfe und ein Fundmeldesystem gleichermaßen, ein Lexikon dazu, eine (Foto-)Datenbank. Eine gute, schöne und nützliche Sache, denn die gemeldeten Daten dienen auch der Wissenschaft. Wer am Strand Rätselhaftes oder Kurioses findet, ist hier richtig. Krass, was für Kreaturen es hier gibt! Wer ohne Smartphone unterwegs ist, freut sich trotzdem und lernen tut man auf einer solchen Tour immer etwas. Finden auch. Da! Was ist denn das? Die gebänderte Schale einer Muschel schimmert im nassen, dunklen Sand. Noch nie gesehen, so was. Die Wanderleitung sagt: Island-Muschel, der BeachExplorer bestätigt das. So selten nicht, aber alltäglich eben auch nicht. Das fängt doch schon mal gut an.

Heimat zehntausender Tier- und Pflanzenarten 

Der Nationalpark Wattenmeer ist Heimat von rund zehntausend Tier- und Pflanzenarten – von mikroskopisch Kleinem bis zum Wal. Dazwischen tummelt sich ein wahres Kuriositätenkabinett der Natur. Wer kennt die Tote-Manns-Hand, wer den Schlangenstern? Beides, eine Weichkoralle das erste, ein Verwandter des Seesterns das zweite, ist hier und heute theoretisch durchaus zu finden. Manche Besonderheiten sind völlig unspektakulär, und erfreuen vielleicht nur Fachleute, andere sehen aus wie der Werkstatt eines Fantasy-Films entflohen. Wer mit offenen Augen über den Meeresboden, am Strand, nach Sturm an der Nordsee unterwegs ist oder kurz nach der Flut, der wird was Schönes, Seltenes, Skurriles finden. (Dabei gilt natürlich – mit allen Sinnen genießen, aber auch bzgl. Mitnahmen/Betretungen die Regelungen und Rechtsvorschriften beachten.) 

Vielleicht hat man vorher schon im BeachExplorer geschaut, was andere Leute – von den Niederlanden bis rauf nach Dänemark – bereits gefunden haben. Sogar Seepferdchen. Jahrzehntelang waren die hier verschollen, nun tauchen sie häufiger auf. Ebenso wie diese seltenen Besucher, beziehungsweise ihre Behausungen: Neptunshörner (gefunden zum Beispiel auf der nördlich von Sylt gelegenen Insel Römö), Meermandeln (wie auf z.B. Amrum) oder Große Rossmuscheln (vor Eiderstedt z.B.). Wer sowas weiß, der schaut beim nächsten Gang am Meer gewiss genauer hin. Wattwanderungen, und die – eine dringende Empfehlung – am besten und sicher mit ortskundiger Führung, sind auch wegen der Fachkunde der Wanderleitung eine ziemlich gute Sache, nicht nur, was hübsche Funde angeht.

Seetierfangfahrten 

An der Küste werden mancherorts so genannte Seetierfangfahrten angeboten (dazu in den Veranstaltungskalender des jeweiligen Urlaubsortes nach Angeboten und Terminen schauen). Das sind Ausflüge mit dem Schiff, vor der Küste wird ein kleines Netz ins Wasser gelassen, nach kurzer Zeit wird dies an Bord geholt und der Fang auf einem Sortiertisch ausgebreitet, das fachkundige Personal erklärt die gefangenen Tiere und Pflanzen – und entlässt diese selbstverständlich unversehrt nach der Vorstellung wieder in die Nordsee. Diese Touren werden auch von Nationalpark-Partner Betrieben angeboten. Mit etwas Glück und in der Regel ist einiges dabei – zum Beispiel der Brotkrumenschwamm (der aussieht wie der Badeschwamm), Seenadeln (kleine, dünne und lange Fische mit pipettenartiger Schnauze), der Seeskorpion (ein bullig aussehender Fisch mit Stacheln). 

(c) Martin Stock LKN.SH

Die Schutzstation Wattenmeer zum Beispiel hat in ihren Stationen vor Ort oft Aquarien, in denen man solch skurriles Nordseegetier in Ruhe beobachten und bestaunen kann. Und wer denkt, Farbenprächtiges aus Unterwasser lebt nur in den Tropen allein, möge auch dort mal genau hinsehen – da sind die Blumentiere (die heißen wirklich so, hübsche Galerie im BeachExplorer). Wer Zeit und Muße mitbringt, und drinnen und draußen nur genau genug hinsieht, wird aus dem Staunen gewiss nicht mehr herauskommen.

Am Strand 

Vor allem nach Sturm und schwerer See lohnt es sich, am Strand genauer hinzusehen. Wie beispielsweise am Spülsaum des Kniepsandes vor Amrum. Gestern tobte das Meer, heute liegt alles ruhig, vor der müde schwappenden See. Und es liegt eine ganze Menge auf dem Sand: ein sandfarbenes Büschel Blätter beispielsweise. Aber Blätter im herkömmlichen Sinne sind es eben nicht. Auch, ob Tier oder Pflanze erschließt sich kaum. Das Fachpersonal spricht von einem Tierstock, einer Art Lebensgemeinschaft tausender kleiner Lebewesen, die sich zusammengetan haben – dieses Büschel ist ein Blättermoostierchen.  

Eine junge Frau ist hier und heute ebenfalls am Spülsaum unterwegs; ihr Blick nach unten verrät die Suche, ihre Kenntnis das Fachwissen. Sie zeigt, was sie da gefunden hat, und sie erzählt von Pelikanfüßen. Ein kurzes Staunen und dem neugierigen Gast ist vieles nicht mehr fremd. Und rechnet man nicht längst mit allem Möglichen und Unmöglichen? Aber Pelikanfüße! Natürlich seien das keine Vogelfüße, sagt die junge Frau und schmunzelt. Es ist, sie klärt den staunenden Gast auf, das Gehäuse einer Meeresschnecke, die eigentlich in tieferem Wasser lebt und ein solches Gehäuse am Strand zu finden, das sei schon ziemlich außergewöhnlich.

Aquarienwelt 

Die Aquarienwelt im Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum in Tönning gehört gewiss zu den schönsten und interessantesten ihrer Art: Was an den Strand gespült wird, stammt schließlich aus dem Meer – und hier kann man die Nordsee „von unten“ erleben. Den Raum entdecken, wo die Strandfunde herkommen. Es sind faszinierende Einblicke in die verschiedenen Meeres-Lebensräume an der Wattenmeerküste. Priel und Miesmuschelbank sind zum Beispiel dargestellt, mit samt ihrer Bewohner wie zum Beispiel Flunder und Wattwurm. Wie und warum das Wattenmeer als Kinderstube mancher Fischarten fungiert, lässt sich hier gut erkennen.  

Seegraswiesen sind, bei entsprechendem Lichteinfall, ein im wahren Wortsinn schillernder Lebensraum, sie sind Brutplatz und ein Ort des sicheren Aufwachsens. Hier leben zum Beispiel Seestichlinge, Schlangen- und Grasnadeln. Zu den absoluten Stars der Aquarienwelt, 37 Aquarien sind es insgesamt, gehören die Seepferdchen. Hin und wieder tauchen sie in der Nordsee auf, hier lassen sie sich gut beobachten: es sind ruhige Vertreter der Unterwasserwelt und sie scheinen in ihrer Welt zu schweben, die sich in der Regel mit ihrem Schwänzchen an Pflanzenstengeln festhalten. 

(c) Reederei Adler Eils

Und wieviel verschiedene Quallen es gibt, im Schwebezustand Ihres Meeres ist dieser vermeintliche Glibber sehr viel faszinierender, ja: von seltsamer Schönheit, als auf den Sand geworfen. Schließlich kann man einen Blick in eine Unterwasserwelt aus Fels und Geröll werfen. Hier lebt der Hummer (gehört auch zu den Stars), hier leben Weichkorallen und Blumentiere, Schlangensterne, Seenelken und auch die eine oder andere Seegurke. 

Wen wunderts dann am Strand, wenn man Engelsflügel in der Hand hält. Oder Nixentäschen – vielleicht sogar die von Frau Kuckucksrochen. Zu finden im BeachExplorer in der Rubrik „sonstige seltsame Dinge“.

Tipps                         

Bestimmungshilfe für Strandfunde mit Datenbank 

Seetierfangfahrten u.a. mit der Reederei Adler-Eils ab Büsum, mit dem ehemaligen Krabbenkutter Hauke, in der Saison mehrmals täglich, Dauer ca.  90 Minuten, weitere Informationen 

Mit der Reederei Adler-Schiffe z.B. ab List/Sylt mit dem Fischkutter Gret Palucca, in der Saison mehrmals täglich, Dauer ca. 90 Minuten, weitere Informationen 

Mit der MS Seeadler von Nationalpark Partner Hallig Reederei Heinrich von Holdt ab Schlüttsiel: seeadler-hooge.de 

Multimar Wattforum – interaktive Erlebnisausstellung zum Weltnaturerbe Wattenmeer mit Aquarien uvm., weitere Informationen 

Wattführungen im Nationalpark Wattenmeer und über die Schutzstation Wattenmeer

(c) Tanja Weinekötter