Barbara Maier

Autorin

Zum Portrait

Kulturelle Nordseeerlebnisse – Fundstücke aus den Museen der Küste

15. Februar 2024
Das Öömrang Hüs auf Amrum mit Fliesenbild und „Schmackschiff“ (C) Archiv Jens Quedens 

Der Silberschatz von Morsum

Schmuck, Münzen und Silberbarren: dieser Schatz ist ein Sensationsfund – nahe Morsum im Osten von Sylt fanden Forscher mehr als 160 Exponate aus der Wikingerzeit. Das wohl spektakulärste Fundstück ist die Gewandspange, eine sogenannte Fibel, die bereits in den 1960er-Jahren von einem Bauern gefunden wurde, aber erst vor wenigen Jahren an die Öffentlichkeit gelangte. Daraufhin begannen Archäologen mit der Nachsuche. Und sie fanden den Silberschatz von Morsum.

Zu sehen in einer Dauerausstellung im Sylt Museum in Keitum. Wertvoll ist der Schatz nicht allein wegen seines Edelmetalls, sondern auch wegen der sehr präzisen Handwerkskunst, mit der die Ringfibel – gewiss das spektakulärste Fundstück – hergestellt worden ist. Die Gewandschließe ist ein etwa faustgroßer Ring mit drei Kugeln, damit wurde ein Umhang befestigt. Die Kugeln sind mit Reliefs aus Gold verziert: mit den Darstellungen mystischer Tierfiguren wie zum Beispiel einem vogelähnlichem Wesen. In der Vorstellung der Wikinger wehrten stilisierte Darstellungen kraftvoller und übernatürlicher Tiere Unheil ab. Mittels einer 3-D-Animation kann man sich das Stück, es liegt gut verwahrt in einer Glasvitrine, in seiner raffinerten Eleganz genau ansehen.

Wertvoll ist der Fund für die Forscher vor allem deshalb, weil mit den gefundenen Stücken wie zum Beispiel den Münzen Handelsbeziehungen oder Geldwirtschaft im 10. Jahrhundert im Raum Sylt betrachtet werden können. So dürfte der Besitzer der Gewandspange eine gesellschaftlich sehr hoch gestellte Person gewesen sein, die vermutlich in den obersten Kreisen des Königreiches Dänemark verkehrte, wie Museumsleiter Alexander Römer vermutet. Spekulation bleibt, ob diese Person möglicherweise in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts auf Sylt lebte und dort die Interessen des Königs vertreten haben könnte.      

(C) Sylt Museum

Sicher ist der Silberschatz von Morsum keine Opfergabe, sondern ein Hortfund: das heißt, dass die wertvollen Stücke einst vergraben wurden, um sie sicher zu verstecken. Und ob es die Wikinger waren? Nicht alle Menschen, die vor tausend Jahren hier unterwegs gewesen sind, gehörten dieser Ethnie an, Handwerkskunst der Nordleute aber war es sicher. Und die hatten Beziehungen: von Licht geschickt in Szene gesetzt funkeln Silbermünzen – arabische Dirhams oder Angelsächsisches Geld.

Von Piraten und Sklavenhändlern

Es ist der Eintritt in die Geschichte: das Öömrang Hüs in Nebel auf Amrum ist ein Friesenhaus aus dem 18. Jahrhundert, reetgedeckt, und es gehörte einst einem Kapitän. Gleich hinter der Eingangstür steht der alte Kachelofen, ein schmuckes Stück von 1681, die blau-weißen Kacheln niederländischer Herkunft bilden auch ein Tableau, das ein Schmackschiff darstellt – einen Zweimaster also, mit dem der küstennahe Handelsverkehr abgewickelt wurde. Eine mächtige Uhr tickt und Atlas trägt in ihrer Verzierung die Weltkugel, zu sehen ist im Öömrang Hüs auch der Festtagsschmuck Amrumer Frauen mit seinem filigranen Brustschmuck. Gemälde in der Stube zeigen Schiffe im Eis der Arktis. Hier, in dieser gediegenen Atmosphäre und mit ehrlicher Authentizität, zeigen sich Wohlstand und Seefahrtgeschichte der Insel Amrum.

Dargestellt ist hier auch die Geschichte des Amrumer Hark Nickelsen (1706 – 1770). Der fuhr schon im Alter von zwölf Jahren zur See, nichts Ungewöhnliches damals, aber eine gefährliche Sache – Eis und schwere See in der Arktis, Piraten, Menschenräuber! Auf Handelsfahrt 1724 fiel Hark Nickelsen vor den kornischen Scilly Islands Verbrechern zur See in Hände, wurde in die so genannten Barbaresken Staaten in Nordafrika verschleppt. Die gehörten zum Osmanischen Reich und auf den dortigen Märkten wurden Sklaven gehandelt, gewerbsmäßiger Menschenraub jeglicher Couleur war damals nicht unüblich. Für den Wohlstand, wie er sich in diesem schönen Amrumer Kapitänshaus präsentiert, wurde oft und auch im wahren Wortsinn ein hoher Preis bezahlt.

Drei Jahre nach seiner Verschleppung wurde Hark Nickelsen freigekauft und fuhr wieder zur See. Spätestens im Jahre 1740 wurde aus dem ehemaligen Sklaven selbst ein Sklavenhändler – denn zu der Zeit befehligte er ein Schiff der dänischen Westindisch-Guineischen Kompanie. Und damit verdiente Nickelsen am Dreieckshandel ein Vermögen: Guinea liegt in Afrika, dorthin segelten (nicht nur) die dänischen Schiffe und verkaufen Waffen und Branntwein. Im dänischen Fort Christiansborg kaufte man von Ertrag Menschen und schaffte sie auf die Zuckerrohrplantagen in die Karibik. Zuckerrohr wiederum wurde nach Europa verschifft, dort Branntwein daraus hergestellt. Für Reeder, Kaufleute und Kapitäne war dieser Handel ein ungemein einträgliches Geschäft.

Auf dem nahen Friedhof von St. Clemens befindet sich der Grabstein von Hark Nickelsen, kunstvolle Grabsteine stehen dort, die in Wort und Bild die Lebensgeschichte derer erzählen, die auf Amrum Rang hatten und Namen: „Ao 1724 erlitt er die Widerwärtigkeit, von den türckischen Seeräubern gefangen und an den Bay von Algier verkauft zu werden“ – das steht bei Hark Nickelsen unter dem Motiv eines Dreimasters.

 (C) Sylt Museum

In den Bunkern von Helgoland

Helgoland, auf dem Oberland, in einer Wohnsiedlung. Eine Laterne wirft schwaches Licht in die beginnende Dämmerung, hinter einem Geländer führt eine Treppe in den Untergrund. Würde sich hier nicht eine Gruppe Leute für eine geführte Tour treffen, man ginge daran vorbei. Weitere Treppen führen tiefer in den Untergrund der Insel, Leuchtstoffröhren werfen hartes Licht ins Treppenhaus und die Stollen – es ist der Luftschutzbunker der einstigen Inselfestung, 14 Kilometer Gänge gab es gegen Endes des Zweiten Weltkriegs. Im Rahmen einer geführten Tour kann man einen Teil davon besichtigen. An der Wand hängt ein roter Feuerlöscheimer und eine Bekanntmachung des Reichskriegsministers von 1936 verbietet das Fotografieren und Skizzieren.

An manchen Stellen bröckelt der Putz, die Wände sind mitunter fleckig, grau, braun, schwarz, grün bewachsen von Algen – es ist beklemmend und faszinierend zugleich, hat den Charakter eines lost-place. Aber: Verloren wirkt es einerseits, konservierte Geschichte ist es andererseits. Was dem Gast heute neben den Erklärungen und Anschauungen zusätzlich vielleicht ein schauriges Empfinden beschert, war für die Menschen vor 80 Jahren bisweilen blanker Horror: die See-Festung Helgoland war Ziel massiver, alliierter Bombardierungen. Wie oft werden die Menschen auf den langen Holzbänken, sie stehen noch heute im Stollen, gesessen haben und um ihr Leben gebangt haben? Fotos an den Wänden zeigen die Zerstörungen, Plakate aus der Kriegszeit die Propaganda. Geschosse und Stahlhelme sind ausgestellt.

An der Wand hängt ein altertümliches Telefon mit eingehängtem Hörer, „… 0 wählen bis Amtszeichen ertönt“, dazu die Durchwahlnummern von Ärzten, Krankenhaus und Polizei – es ist ein Grubentelefon aus den 1960er Jahren, als die verbliebenen Anlagen für den Kalten Krieg hergerichtet wurden. In die langen Gänge werfen Lampen weißes und bläuliches Licht, in einer Kammer die Latrine (auch aus dem Kalten Krieg), später ein Hinweisschild auf die Luftschutz Hausapotheke in großen roten Lettern. Geheimnisvoll und verborgen: Denn welch einsamer Mann griff einst hier unten im Stollen zu den Buntstiften und malte ein Graffiti an die Wand? Schnell skizziert offenbar, aber recht gelungen ist die Darstellung eines Frauenkopfes mit rotem, gelbem Haar.

Damit auch Tagesgäste (die oft nicht die Zeit für eine Exkursion durch die Anlagen im Fels des Oberlandes mitbringen) eine Möglichkeit haben, sich ohne Führung Bunker-Geschichte zu vermitteln, gibt es im Unterland einen Bunkermuseum. In einem restaurierten Original-Standort, und eindrücklich auch dies.

Schönes aus Rungholt

Im Mai 2023 konnten Forscher den Standort einer größeren Kirche, eines kleinen Hafenortes, und damit den als Rungholt bekannten Handelsplatz, im Watt vor der Hallig Südfall lokalisieren – nach einer mehr als 100 Jahre langen Suche nach dem sagenhaften Ort. Schönes und Spektakuläres aus Rungholt aber kann man im Nordfriesland Museum Nissenhaus in Husum besichtigen, dort sind Funde aus dem Rungholtgebiet ausgestellt und Informationen führen in die verlorene Zeit dieser Landschaft der Legenden, die im 14. Jahrhundert während einer mörderischen Orkanflut in der Nordsee unterging.

Eine Pilgerrassel aus Zinn ist zu sehen und ein spanischer Dolch, vergoldet leuchtet diese Waffe im Licht der Vitrine. Ohnehin wurde einiges an Waffen ebenso gefunden wie Schmuck oder Alltagsgegenstände, Haushaltswaren zum Beispiel – nicht allein einfache Krüge, sondern auch eine besonders schöne maurische Vase. Diese zeige einerseits die Bedeutung, den gewissen Wohlstand, von Rungholt, andererseits aber auch die weit über die Region herausgehenden (Handels)-Beziehungen. 1362 holte sich die „Grote Mandränke“, das Große Ertrinken, diesen Ort, der daraufhin in den Sagen und Legenden immer größer wurde.

Relikte wie Bodenstrukturen von Brunnen, künstlichen Wohnhügel im Watt oder Gräben kann selbst der Laie während einer Wattwanderung erkennen, immer wieder bekommen oder entdecken Wissenschaftler Artefakte, die wie Puzzlestück für Puzzlestück das Bild langsam vervollständigen – die Entdeckung vom Frühjahr 2023 brachte die Rungholtforscher einen großen Schritt weiter. Alte Landkarten und Info-Tafeln im Museum bringen dem Besucher Rungholt Schritt für Schritt näher, die ausgewählten und schön in Szene gestellten Stücke setzen Schlaglichter. Sei es ein Totenschädel, gefunden draußen im Watt oder der rekonstruierte Kopf eines Mannes aus Rungholt – hier bekommt die Sage ein Gesicht und Legende wirkt plötzlich lebendig.  

Bilder entstehen im Kopf, man geht in der Phantasie auf eine Reise nach, durch Rungholt. Denn da ist zum Beispiel eine Flöte aus Ton. Auch sie gelangte vermutlich im 14. Jahrhundert über den Fernhandel in das Rungholtgebiet. Auch hier bleibt die genaue Herkunft im Dunklen der Zeit und die Fundgeschichte lässt Raum für Phantasie: der Infotafel im Museum zufolge berichtet die Erzählung „Diana und der Flötenspieler“ davon, dass ein im Krieg notgelandeter englischer Pilot im Watt diese Flöte findet und auf ihr zu spielen beginnt. Er wäre ertrunken, hätte nicht die nahebei auf der Hallig Südfall lebende Gräfin Diana Reventlow-Criminil sein Flötenspiel gehört und ihn vor der Flut gerettet. Alles nur Phantasie? Wer weiß.

Noch mehr Informationen rund um kulturelle Erlebnisse an der Nordsee finden Sie auf www.nordseetourismus.de