Ein Beitrag von Insa Lohmann
Drei Bremer Träger haben sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam benachteiligten Menschen die gesellschaftliche Teilhabe zu erleichtern. Durch Engagement in den „Sozialen Manufakturen“ sollen sich für sie die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern.
„Schmeckt das eher süß oder herb?“, fragt eine Kundin, die vor dem Wochenmarktstand der „Sozialen Manufakturen“ ein Produkt entdeckt hat, das ihre Aufmerksamkeit geweckt hat. Verkäufer Josua Rückels erzählt ihr alles, was er über die Trinkschokolade weiß. Seit anderthalb Jahren steht der 24-Jährige zusammen mit anderen Verkäufern auf Bremer Wochenmärkten. Er packt die Ware in den Transporter, hilft beim Auf- und Abbau des Standes und kümmert sich um den Verkauf der Produkte: Würziges Mango-Chutney, das aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremen stammt, Hopfen von der Bremer „Gemüsewerft“, der zu Essig verarbeitet wird, Salsa oder Pink Grapefruit-Orangen-Marmelade. Im Mittelpunkt des Projekts „Soziale Manufakturen“ stehen lokale, handgemachte und fair produzierte Produkte. Das Besondere daran: Hergestellt werden sie von benachteiligten Menschen, denen die gesellschaftliche Teilhabe erleichtert werden soll. Menschen wie Josua Rückels.
Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt
Angestoßen wurde das Modellprojekt vor zweieinhalb Jahren vom Verein Gröpelingen Marketing. Gemeinsam mit der Gesellschaft für integrative Beschäftigung (GiB), der JVA Bremen und der Werkstatt Bremen sind daraus die „Sozialen Manufakturen“ entstanden. Benachteiligte Menschen – ob mit Behinderung, psychischer Erkrankung oder krimineller Vergangenheit – sollen durch ihre Mitarbeit bei den Sozialen Manufakturen eine sinnvolle Beschäftigung geboten werden. „Durch die integrative Beschäftigung dient das Projekt für die Teilnehmenden als Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt“, erläutert Projektleiterin Svenja Weber. So werden im „Knastwerk No. 1“ der JVA, in der „Gemüsewerft“ der GiB, und dem Martinshof der Werkstatt Bremen in akribischer Handarbeit besondere, hochwertige und überwiegend bio-zertifizierte Produkte wie Tomaten-Salsa, Bremer Senats-Kaffee, Konfitüre oder Bremer Exportbier, aber auch Pflanzkästen und robuste Stahlgrills produziert.
Handgemacht von bösen Buben
Menschen mit Beeinträchtigungen, Langzeitarbeitslose, JVA-Insassen – die Teilnehmenden des Projekts sind so vielfältig wie die Produkte selbst. Und auch damit spielen die „Sozialen Manufakturen“ bewusst: „Handgemacht von bösen Buben“ steht auf den Produkten der „Knasteria“, die von Insassen der JVA Bremen hergestellt werden. Das Selbstwertgefühl der Teilnehmenden soll gestärkt werden, indem sie sehen, dass ihre Produkte gekauft werden und Anerkennung bekommen, sagt Svenja Weber: „Durch den Aufbau eines Onlineshops haben wir außerdem neue Vertriebswege geschaffen.“ Ziel sei es, dass die Insassen der JVA so langfristig eine Außenarbeitsstelle finden und nach ihrer Entlassung wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können. „Wir hatten schon Teilnehmer aus der JVA, die in den Arbeitsmarkt übergegangen sind“, berichtet die Projektleiterin von ersten Erfolgen.
Stärken der Teilnehmenden herausarbeiten
Neben der Produktion sollen die Teilnehmenden auf den Wochenmärkten die handgemachten Produkte unter dem Label „Soziale Manufakturen“ auch selber anbieten und verkaufen. Denn ein Ziel des Projekts ist es auch, sie nach außen sichtbar zu machen. In wöchentlichen Schulungen werden sie gründlich darauf vorbereitet. Dabei lernen sie, wie die Waren präsentiert und die Stände auf- und abgebaut werden oder wie die Kassensysteme an den Ständen funktionieren. Zurzeit gehören sieben Bremerinnen und Bremer zum festen Team, viele von ihnen bleiben über einen längeren Zeitraum. „So haben wir die Möglichkeit, jeden Einzelnen zu fördern und individuell zu unterstützen“, sagt Projektleiterin Svenja Weber.
Wie sich die Teilnehmenden mit der Zeit veränderten, sei spannend zu beobachten: „Sie entwickeln ein richtiges Selbstbewusstsein auf dem Markt und werden mutiger.“ Der stetige Austausch mit der Kundschaft bestärke sie, ist Svenja Weber überzeugt. Oft machten sich die Talente der Einzelnen erst bemerkbar, wenn sie ihre Komfortzone verlassen – zum Beispiel bei besonderen Aktionen wie kürzlich in der Bremer „Markthalle 8“, als die „Sozialen Manufakturen“ Pastagerichte kochten. „Da zeigt sich ganz wunderbar das Können einiger“, berichtet Svenja Weber. „Wenn wir die Stärken herausfinden, können wir diese weiter aufbauen.“
Ein Gewinn für beide Seiten
Auch deshalb ist die Arbeit an den Marktständen bei den Teilnehmenden begehrt: „Der Stand der Sozialen Manufakturen ist ein beliebter Einsatzort“, sagt Tim Lachmann, der sich seit Mai um die pädagogische Begleitung kümmert und lange nach einem Projekt wie den „Sozialen Manufakturen“ gesucht hat. „Das ist einfach eine runde Sache mit dem inklusiven Gedanken dahinter“, sagt der 34-Jährige.
Das bestätigt auch Josua Rückels, der bei der „Werkstatt Bremen“ beschäftigt ist und in der Arbeit auf dem Wochenmarkt seine Leidenschaft gefunden hat: „Mir macht die Arbeit richtig Spaß, weil ich einfach mal rauskomme“, erzählt der 24-Jährige. „Der Handel und die Gespräche mit den Kunden liegen mir.“ Besonders freut sich Josua Rückels, wenn Stammkunden zu ihm kämen und berichten, dass ihnen ein Produkt geschmeckt hat. Nicht zuletzt führt Teamleiter Lachmann den Erfolg des Projekts auch auf den Bewusstseinswandel der Kundschaft beim Thema Ernährung zurück: „Gerade bei jüngeren Leuten ist auf jeden Fall ein Trend zu verspüren, bewusster und nachhaltiger einzukaufen.“ Ein Gewinn für beide Seiten also.
„Ein Inklusionsbetrieb wäre ein Traum“
Das Modellprojekt, für das insgesamt 370.000 Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Bremen zur Verfügung stehen, läuft im kommenden Jahr aus. Projektleiterin Weber hofft, dass die „Sozialen Manufakturen“ auch über den Förderungszeitraum hinaus bestehen bleiben. „Es wäre toll, wenn man das Projekt verstetigen könnte“, sagt die Wahl-Bremerin. Ihr Wunsch: Ein Betrieb mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, der nicht nur der Vorbereitung für den ersten Arbeitsmarkt dient, sondern selbst wirtschaftet und mehr Beschäftigung für benachteiligte Menschen schafft. „Ein richtiger Inklusionsbetrieb wäre ein Traum. Denn davon gibt es immer noch viel zu wenig.“