Detlef Jens

Journalist & Autor

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Küssen kann man nicht alleine…

Über das Alleinsein an Bord
14. November 2021

Küssen kann man nicht alleine. Segeln schon. Und das kann dann auch noch sehr schön sein. Keine Fragen, keine Kommentare, keine gut gemeinten Ratschläge. Alleine an Bord und unterwegs, kann ich nur mir selber auf die Nerven gehen. Dafür muss ich aber auch nicht meinen miesen Charakter verstecken, kann mich also mal so richtig meinen Launen hingeben. Ohne Rücksicht auf andere und ohne Angst vor Peinlichkeit.

© Detlef Jens

Wesentlich schöner beim einsamen Segeln ist allerdings das beglückende Gefühl völliger Unabhängigkeit. Wenn Schiff und Mensch funktionieren, kann ich völlig frei und selbst bestimmt entscheiden. Wie ich segeln will, ob schnell oder gemütlich; wohin ich will oder ob ich überhaupt weiter segeln und nicht doch lieber in einen Hafen oder eine Ankerbucht möchte… und niemand gibt seinen Senf dazu. Der norwegische Segler (und YouTube Star) Erik Aanderaa ist gerne im Nordatlantik unterwegs, auch schon mal in der kalten und vor allem stürmischen Jahreszeit. Er sagt, er habe durchaus versucht, mit Freunden oder Familie zu segeln. Aber: „Das hat überhaupt nichts gebracht. Die wurden nur seekrank. Und wollten dann in den Hafen, wenn ich weiter segeln wollte. Nun segele ich alleine. Und ganz so, wie ich es möchte. Das ist perfekt!“

Beglückend ist das allerdings nur so lange, wie ich mit dem Alleinsein und mir selbst klarkomme, und wenn ich überhaupt dazu in der Lage bin, mein Schiff einhand zu fahren. Denn wenn nicht, kippt das Gefühl der völligen Unabhängigkeit ganz schnell in eine totale Hilflosigkeit. Das ist dann nicht mehr ganz so angenehm …

Aber das Einhandsegeln mit dem eigenen Schiff kann man lernen und es ist auch überhaupt nicht schwer. Solange es irgendeine funktionierende Form der Selbststeuerung gibt, kann man so ziemlich jedes Schiff alleine segeln. Jedenfalls wenn es nicht gerade die „Gorch Fock“ ist. Wie das im Detail geht, will ich hier nicht erläutern, denn das ist nicht das Thema dieser Kolumne. Ganze Bücher sind darüber bereits geschrieben worden, allerdings taugen nicht alle davon was. Sachdienliche Hinweise dazu gibt es wiederum auf Literaturbot.de, wo ja überhaupt sehr viele maritime und Segelbücher vorgestellt werden. An dieser Stelle reicht die Weisheit, dass ich als Alleinsegler wesentlich ruhiger, defensiver und vorausschauender agieren muss, als wenn ich mit fünf starken Menschen an Bord unterwegs bin. Und, klar, vorausschauend und defensiv kann man sehr gerne auch mit Crew segeln. So gesehen ist das Alleinsegeln ein gutes und wirkungsvolles Training in allen Fragen des Segelns und der Seemannschaft.

© Detlef Jens

Denn ja, es macht zufrieden und ist auch ein echter Sicherheitsfaktor, wenn ich mein Boot alleine und sicher segeln kann – selbst, wenn ich nicht alleine unterwegs bin. Bei einer Zweier-Crew kann immer mal die andere Person ausfallen. Und gerade beim Familiensegeln mit (kleinen) Kindern ist es wichtig, dass ein Teil der Eltern das Schiff segeln kann, falls die andere Hälfte sich um die Kinder kümmern muss. Und schließlich ist es ist natürlich schön zu wissen, dass ich mein Boot von A nach B verholen kann, auch wenn mal keine Crew zur Verfügung steht.

Ab und zu tut mir eine Alleintour also ganz gut, es muss auch nicht immer gleich eine Grenzerfahrung sein. Aber im Grunde segele ich schon lieber mit anderen Personen, nicht nur wegen des Küssens, denn sonst kann man schnell wunderlich werden. Neulich diskutierten zwei alte Alleinsegler darüber: „Mensch, ich spreche schon zu meinem Schiff!“, sagte der erste.  Meint der andere, offenbar erfahrenere der beiden: „Das machen wir doch alle. Ein Problem hast du erst, wenn dein Schiff dir antwortet!“

Oder vielleicht auch, wenn du es unbedingt küssen willst?

Detlef Jens war etwa sieben Jahre lang mit eigenem Boot unterwegs, bevor er eine Familie gründete und dann weitere sechs Jahre auf fahrenden Museumsschiffen lebte. Über seine Zeit als nomadisierender und, später, semisesshafter Liveaboard schrieb er die beiden Bücher „Land’s End“ und „Hafenjahre“. Außerdem schreibt er Romane um den segelnden Yachtdetektiv Fabian Timpe („Black Jack“, „Gefährliche Gezeiten“ und gerade erschienen: „Im Kielwasser des Geldes“). Mehr über diese und viele andere maritime Bücher auf www.literaturboot.de. Seit ein paar Monaten lebt er wieder an Bord.

Der neuste Roman von Detlef Jens:

Im Kielwasser des Geldes

KJM Verlag, 320 Seiten, PB, 16 Euro

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