Verena Weustenfeld

Freie Journalistin

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Jede Hand zählt

Die Ernte ist in Gefahr. Wer hilft auf dem Acker?
1. April 2020

Auf das ganze Jahr gerechnet, greift die Landwirtschaft auf 300.000 Saisonarbeitskräfte zurück – in mehr als 90 Prozent kommen sie aus Osteuropa wie Bulgarien, Polen und Rumänien. Durch das Einreiseverbot trifft es aktuell vor allem Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe. Die Arbeitskräfte fehlen und die Ernte ist somit in Gefahr. Außerdem bestehen Probleme in der Lieferkette, Äpfel beispielsweise kommen oft aus Norditalien, Paprika und Gurken aus Spanien. Der Import kann stocken. Damit die Versorgung aufrechterhalten werden kann, wurden verschiedene Plattformen ins Leben gerufen, die potenzielle Arbeitskräfte mit Betrieben vernetzen – laut schleswig-holsteinischen Wirtschaftsminister Dr. Bernd Buchholz soll so eine win-win Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber geschaffen werden. Gezielt sollen dabei Studenten, Arbeitslose und Asylbewerber angesprochen werden.

Die Ernte wartet nicht

„Eine Ernte wartet nicht, eine Ernte, die nicht eingeholt wird, kann man nicht nachholen“, beschreibt Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) die prekäre Situation. Ab 7., 8. April ist der Spargel erntereif und es fehlen noch helfende Hände. Doch es bestehen auch Probleme mit so mancher Arbeitskraft. „Wenn zehn aus dem Inland anfangen, hören neun gleich wieder auf. Es ist eine schwere Arbeit, es ist kalt, es ist draußen – für eine rumänische oder polnische Kraft braucht die Landwirtschaft fünf Deutsche“, so Jürgen Jakobs, Spargel- und Obstbauer aus Brandenburg. Das Stechen des Spargels will erlernt sein, sonst kann für die Kultur und auch für die Folgejahre Schäden angerichtet werden. „Die Landwirtschaft steht in der Corona-Krise vor neuen und großen Herausforderungen“, so der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Jan Philipp Albrecht. „Wir müssen gemeinsam sicherstellen, dass die Betriebsabläufe funktionieren und die Versorgungssicherheit mit heimischen Lebensmitteln gewährleistet wird. Dafür brauchen wir eine breite Unterstützung von Menschen, die sonst nicht in der Landwirtschaft tätig sind, jede helfende Hand auf dem Feld zählt“, so der Minister weiter. Das Landwirtschaftsministerium S.-H., der Bauernverband S.-H. und die Bundesagentur für Arbeit starteten deshalb die Initiative „Erntehilfe S.-H.“. Der Appell richtet sich dabei besonders an Fachkräfte aus dem Einzelhandel, der Gastronomie, die derzeit nicht arbeiten können, sowie an Studenten oder auch Asylbewerber. „Auch geflüchtete Menschen suchen häufig nach einer sinnvollen Beschäftigung“, so Dr. Matthias Heyder von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Ein anderes Beispiel ist das Portal „AgrarJobBoerse“ zur Vermittlung von Saisonkräften. Die Initiative ist ein gemeinsames Projekt aller Landwirtschaftskammern und enthält Angebote und Gesuche aus ganz Deutschland. Binnen weniger Tage haben sich bereits 1700 Menschen auf dem Portal gemeldet, die bereit sind, die Betriebe zu unterstützen. Auch unter www.daslandhilft.de werden Menschen in den Dialog gebracht. Urheber sind der Bundesverband der Maschinenringe gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium. „Wir brauchen Euch – schnell – denn auf den Feldern unserer Landwirte beginnt die Spargelernte und auch weitere Gemüsesorten müssen in den nächsten Tagen vom Feld. Gleichzeitig bieten unsere Landwirte so ein Einkommen für diejenigen, die durch die Schutzmaßnahmen in eine wirtschaftliche Notlage geraten“, so ein Zitat der Seite.

Weinernte. © Werner Brockmann

Gelockerte Grenzen

Andere Ansätze gehen davon aus, das Einreiseverbot zu lockern. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte, das Verbot treffe die Betriebe in der jetzigen Phase sehr hart. Der Stopp müsse so kurz wie möglich gehalten werden. Auch Politiker aus CDU und CSU appellieren an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Einreisebeschränkungen für Saisonarbeitskräfte aus Rumänien und anderen Ländern zu lockern. Die deutschen Landwirte müssten in den nächsten Tagen entscheiden, welche Obst- und Gemüsesorten noch angebaut und geerntet werden könnten, heißt es in dem Schreiben der Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft der Unionsfraktion. Daher sei keine Zeit zu verlieren. „Es beginnen jetzt wichtige Frühjahrsarbeiten, da kommt es bei einigen Betrieben schon zu Engpässen, wenn keine osteuropäischen Erntehelfer einreisen können. Vielen fehlt es aber, wie auch schon vor der Corona Krise, an qualifizierten Kräften.

„Die Arbeit als Erntehelfer gilt in unserer modernen Gesellschaft nicht als besonders sexy! Aber das galt bis zur Coronakrise auch für unsere Pflegekräfte und Krankenschwestern. Jetzt merkt man wie systemrelevant sie sind. Das Ist die Landwirtschaft auch. Wenn die Krise überwunden ist, hoffe ich, dass diese Arbeit für die Gesellschaft mehr Wertschätzung, auch in Form der Entlohnung, erfährt. Damit wir das können, müssten aber auch die Erlöse für unsere Produkte steigen“, ist das Fazit des Obstbauers und Vorsitzender der Nordbauern Ernst Schuster. 

Eröffnung Erdbeersaison. ©: LWK-SH

Hier findet man

Angebote und Jobs:

www.agrarjobboerse.de

www.saisonarbeit-in-deutschland.de

www.erntehelfer-gesucht.de

www.daslandhilft.de