Gabriele Haefs

Autorin

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Ist kein Eisbär zu Hand, nehme man einen Wal

Ein Polarkochbuch
26. Oktober 2019

„Man nehme keinen Pinguin.“ So lautet die Anweisung hinten auf einem Kochbuch, das jetzt in Norwegen erschienen ist. Es wird den meisten von uns sicher nicht schwerfallen, diesem Rat zu folgen, wer hat schon die Vorratskammer voller Pinguine? Besser als ein Pinguin ist für viele der im Buch vorgestellten Gerichte ein Eisbär geeignet. Wir sehen, es ist ein Kochbuch der besonderen Art, das der in Hammerfest beheimatete Finnmarksforlaget vorlegt. Es handelt sich nämlich um ein Polfahrerkochbuch, also ein unerlässliches Mitbringsel bei jeder Polexpedition. Getestet wurden für dieses Buch Rezepte des entdeckungsreisenden Kochs Adolf Henrik Lindstrøm aus Hammerfest (1866 – 1939), dem „unterschätztesten Polarhelden aller Zeiten“, wie das Vorwort mutmaßt. Wenn es so ist, wird ihm nun aber die verdiente Gerechtigkeit zuteil, wenn bald alle Welt nach seinen Rezepten kocht. Die er übrigens niemals selbst aufgeschrieben hat. Bjørg Alvestad, die die Rezepte zusammengetragen und nachgekocht hat, hat sie aus Notizzetteln, Frachtlisten und Briefen von anderen Polfahrern rekonstruiert. 

Ein Eisbär auf arktischem Meereis. © Alfred Wegener/ Institut S. Hendricks
Ein Eisbär auf arktischem Meereis. © Alfred Wegener/ Institut S. Hendricks

Der wichtigste Mann an Bord 

Lindstrøms Ruf als Koch muss ungeheuer gewesen sein, die Prominenz der Polfahrer, an der Spitze Roald Amundsen, boten hohe Summen, um ihn von dem Schiff abzuwerben, wo er gerade kochte. Kein Wunder, denn auf Lindstrøms Schiffen gab es keine Fälle von Skorbut. Dabei war zu seinen Lebzeiten noch nicht einmal bekannt, welcher Vitaminmangel diese gefürchtete Krankheit verursachte. Lindstrøm aber hatte beobachtet, dass das Fleisch bestimmter arktischer Vögel Schutz bot – und also kamen sie auf den Speisezettel. Die Expeditionsschiffe seiner Zeit boten wenig Stauraum, deshalb mussten er die Mannschaft, so lange es ging, mit dem bekochen, was unterwegs zu erlegen war, Fisch, Geflügel, Eisbären. In einer winzigen Kombüse musste er sogar ganze Weihnachtsmahlzeiten samt Nachtisch und Weihnachtsbier erstellen. Sein ohnehin großer Ruhm wuchs noch, als er ein Verfahren zum Bierbrauen an Bord entwickelte, von dem man viel schneller betrunken wurde als vom an Land üblichen in Flaschen abgefüllten Bier (Rezept ist im Buch enthalten). Nicht alles ist so einfach nachzukochen – falls man das überhaupt will. Ist kein Eisbär zur Hand, nehme man eben Wal, heißt es in einem Rezept. Schneehühner sind schon leichter zu beziehen, hier kommt allerdings der Verdacht auf, dass beim Rekonstruieren auch ein wenig veredelt wurde. Genug Portwein, um den Skorbut-verhütenden Schneehuhnbraten für die ganze Mannschaft herzustellen, hatten sie bestimmt nicht an Bord – und dass Lindstrøm auch seinen eigenen Portwein herstellte, steht hier jedenfalls nicht. Jede Menge Fischrezepte gibt es natürlich, dazu Seehundscarpaccio und Rentiersteak. Und Backpflaumengrütze, denn die von Lindstrøm gezauberten Mahlzeiten waren offenbar köstlich und gesund, aber leider gar schwer verdaulich. Andere Desserts, die die Polfahrer bei Laune hielten, waren eine Art Windbeutel und dicke Sahnetorten, garniert mit Beeren, die nur im allerhöchsten Norden wachsen. Lindstrøm, der immer erfinderische, war allerdings nicht zu jedem Experiment bereit. Als Amundsen einmal von inuitischen Fischern Polarfüchse eintauschte, weigerte Lindstrøm sich, diese zuzubereiten. Der jähzornige Amundsen trat selbst an den Herd – die halbe Mannschaft war danach zwei Tage sterbenskrank und erklärte, es habe geschmeckt wie „der Gestank in einem Raubtierkäfig“. Was den Ruhm des rechtmäßigen Küchenchefs nur mehrte. In Hammerfest steht ein Denkmal für den großen Sohn der Stadt, ein viel schöneres Denkmal aber ist das Kochbuch, das mit Fotos von in dicke Pelzanzüge gehüllten Mannsbilder im ewigen Eis wunderbar ausgestattet ist. Und die Bilder der Gerichte sind der pure Augenschmaus. 

 

Spis, før maten blir kald! En annerledes kokebok om Polarhelten og Kokken A. H. Lindstrøm fra Hammerfest.

Erschienen bei: Finnmarksforlaget, Hammerfest.

finnmarksforlaget@gmail.com

https://www.visithammerfest.net/lindstrom