Jens Mecklenburg

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Gigantisches Artensterben

Weltbiodiversitätsrat legt Bericht vor
4. Mai 2019

Nach 14 Jahren haben Experten wieder eine globale Bestandsaufnahme der Artenvielfalt vorgelegt. Dem Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES zufolge sind etwa eine Million von acht Millionen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Verantwortlich dafür ist der Mensch.

Feuerlibelle. Foto: Hauke Drews

Seitdem es Menschen auf der Erde gibt, sind noch nie so viele Tiere und Pflanzen ausgestorben wie jetzt. Der Bericht des Weltbiodiversitätsrats, der am 6. Mai in Paris vorgestellt wurde, lässt keinen Zweifel daran, dass sich auf der Erde gerade ein gigantisches Artensterben ereignet, vergleichbar mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren.

Die globale Studie untersucht, wie es den Tieren und Pflanzen auf der Erde geht und in welchem Zustand sich ihre Lebensräume befinden. Mehr als 150 Experten aus 50 Ländern haben für den Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) drei Jahre lang Tausende Studien ausgewertet. Ihr Fazit: Drei Viertel der Erdoberfläche habe der Mensch bereits „stark verändert“ – nicht eingerechnet die Ozeane.

Kiebitz mit Jungen. Foto: Thorsten Kruger

Biodiversität erhalten

Der IPBES ist das Pendant zum Weltklimarat IPCC, dessen Berichte Wegbereiter für das Pariser Klimaschutzabkommen waren. In dem wurde im Jahr 2015erstmals das Ziel formuliert, den Anstieg der Temperatur auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, um die Risiken des Klimawandels möglichst gering zu halten. „Der IPBES-Bericht hat genau diese Flughöhe und muss von den Politikern auch genauso ernst genommen werden“, sagt Günter Mitlacher von der Umweltschutzorganisation WWF, der die Verhandlungen in Paris verfolgt hat.

Die Unterschriften der 132 Mitgliedsstaaten unter den 1000 Seiten starken Bericht, in dem das gesammelte Wissen über den Zustand der Erde zusammengefasst ist, bedeuten zwar nicht, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, alle Empfehlungen der IPBES-Experten umzusetzen. Doch die Einigung auf einen wissenschaftlich fundierten Sachstand ist ein Anfang – eine Basis, auf der man in Zukunft gemeinsam nach Lösungen suchen kann. „Wir brauchen diesen Bericht, um die Diskussionen über die Biodiversität voranzutreiben und eine Strategie für die nächsten zehn Jahre zu erarbeiten“, sagt Mitlacher.

Das sechste Artensterben der Erdgeschichte

Schon lange ist unter Experten unstrittig, dass sich gerade das sechste große Artensterben der Erdgeschichte ereignet. Als fünftes Ereignis dieser Art führen Biologen das Aussterben der Dinosaurier. Ein Problem ist allerdings, dass man über viele Tiere und Pflanzen viel zu wenig weiß, um Ausmaß und Konsequenzen des Verlustes beurteilen zu können. Mit am besten erforscht sind die Amphibien. Bereits in den 1980er Jahren fiel Biologen auf, dass Frösche, Kröten, Molche und Lurche in vielen Regionen der Welt dezimiert wurden. Verlässliche Daten gibt es auch zu den Vögeln in Europa. Sie zeigen, dass besonders solche Arten, die in der Agrarlandschaft leben, unter Druck stehen. Deutlich dünner ist das Wissen über die Insekten. Die bekannteste Studie zum Insektenschwund stammt aus Deutschland und belegt, dass die Zahl der Insekten in den vergangenen 30 Jahren stark zurückgegangen ist.

„Vor allem die Landnutzung zeichnet sich seit langem als entscheidender Treiber des Biodiversitätsverlusts einschließlich des Insektenschwundes ab“, sagt Josef Settele, Agrarwissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und Co-Vorsitzender des IPBES.

Auch Umweltschützer weisen schon lange auf den Artenschwund hin, finden aber damit nicht halb so viel Aufmerksamkeit wie etwa die Erderhitzung. „Die Kurven gehen alle in die falsche Richtung.“ Umweltgruppen verlangen unter anderem eine Umkehr in der EU-Agrarpolitik. „Die immer intensivere Landwirtschaft ist der Haupttreiber für das Artensterben, nicht nur in Europa“, sagt Konstantin Kreiser, Artenschutz-Experte beim Naturschutzbund NABU. Auch brauche es eine internationale Verständigung auf mehr Schutzgebiete, in denen sich bedrohte Arten erholen können.

Während die Staaten zum Klimaschutz jedes Jahr auf Ministerebene zusammenkommen, tagt die Konvention zur biologischen Vielfalt nur alle zwei Jahre, das nächste Mal 2020 in Peking.

Marienkäfer der Gattung Adalia. Foto: NABU

Mehr Insektenforschung nötig

Etwa eine Million der geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten, die es auf der Welt gibt, seien vom Aussterben bedroht. Im Tierreich geht es dem Bericht zufolge den Amphibien, also etwa Kröten, Fröschen und Molchen, am schlechtesten. 40 Prozent dieser Unterart der Wirbeltiere drohen zu verschwinden. Nur geringfügig besser ist die Lage der Korallen, von denen fast ein Drittel mit dem Überleben kämpft.

Wie viele Insekten bedroht sind, ist den Autoren zufolge eine „Schlüssel-Unsicherheit“. Dies ist also nicht zu ermitteln, obwohl es wichtig wäre. Viele Kerbtiere bestäuben Pflanzen und spielen eine zentrale Rolle für das Leben auf der Erde. Schätzungen zufolge sind ungefähr zehn Prozent aller Insekten vom Aussterben bedroht – ein gewaltiges Ausmaß angesichts der Tatsache, dass fünfeinhalb Millionen der acht Millionen bekannten Tier- und Pflanzenarten zu dieser Tierklasse gehören.

Im Pflanzenreich steht es besonders schlecht um die Palmfarne, das sind lebende Fossilien, zu denen etwa die Sago-Palme gehört. Mehr als 60 Prozent sind dem Bericht zufolge bedroht; bei den Koniferen, also den Nadelhölzern, sind es gut 30 Prozent. Mehr als 500 000 Arten bezeichnen die Autoren als „dead species walking“. Gemeint sind Tiere und Pflanzen, deren Lebensräume so stark verändert oder zusammengeschrumpft sind, dass sie langfristig keine Chance haben zu überleben.

Der Mensch ist verantwortlich

Schuld an all diesen negativen Entwicklungen ist der Mensch, daran lässt der Weltbiodiversitätsrat keinen Zweifel. Vor allem deshalb, weil er immer mehr Fläche für sich beansprucht, die anderen Lebewesen dann fehlt. In den vergangenen 50 Jahren habe sich diese Entwicklung dramatisch beschleunigt. Beispiel Landwirtschaft: Allein in den Jahren zwischen 1980 und 2000 wurden dem Bericht zufolge 100 Millionen Hektar intakter Wald gerodet, das ist fast dreimal die Fläche Deutschlands, unter anderem, um dort Vieh weiden zu lassen (wie in Lateinamerika) oder Plantagen für Ölpalmen anzulegen (wie in Südostasien). Beispiel Städtebau: Die Fläche, die menschliche Behausungen auf der Erde einnehmen, hat sich nach Angaben der Studienautoren seit 1992 verdoppelt.

Steinhummel. Foto: NABU

Arten- und Klimaschutz gehören zusammen

Hauptgrund für den Artenschwund in den Ozeanen in den vergangenen 50Jahren ist die Überfischung. Es gibt immer weniger Gebiete, in denen nicht gefischt wird, der Mensch dringt in immer tiefere Gewässer vor und holt die Tiere schneller heraus, als sie sich vermehren können. So werden es immer weniger. Im Jahr 2015 waren dem Bericht zufolge 33 Prozent aller Spezies überfischt, darunter Aale, Dornhaie und alle anderen Haiarten, der Granatbarsch und der Rochen.

Neu an dem Bericht ist, dass er den Artenschwund nicht isoliert betrachtet, sondern im Zusammenhang mit der zweiten die Menschheit bedrohenden Krise beleuchtet, dem Klimawandel. Artenschutz und Klimaschutz gelten vielen nach wie vor als unvereinbar. Größter Streitpunkt sind Energiepflanzen wie Raps und Mais, die zwar dazu beitragen, den CO₂-Ausstoß zu verringern, aber auch große Flächen verbrauchen, was schlecht für die Artenvielfalt ist. „Der Weltbiodiversitätsrat und der Weltklimarat wollen in Zukunft stärker zusammenarbeiten“, sagt Josef Settele, Co-Vorsitzender des IPBES. Entscheidend sei, wie man in Zukunft den Energiesektor weiterentwickele. „Wind- und Wasserenergie beispielsweise könnten Druck von der Fläche nehmen“, sagt Settele.

Was zu tun wäre, um den Zustand der Erde zu verbessern, ist seit Langem bekannt. Schon 2010 haben sich 150 UN-Staaten zu den sogenannten Aichi-Zielen bekannt. Bis zum Jahr 2020 sollte demnach unter anderem der Verlust an natürlichen Lebensräumen halbiert, die Überfischung der Weltmeere gestoppt sowie 17 Prozent der Landfläche und zehn Prozent der Meere unter Schutz gestellt werden. Die Frist läuft nächstes Jahr ab, und die Formulierung der IPBES-Autoren, es sei „wahrscheinlich, dass die meisten Aichi-Biodiversitätsziele für das Jahr 2020 nicht erreicht werden“, ist noch optimistisch ausgedrückt.

Kommt es zum ökologischen Kollaps?

In dem Abschnitt des Berichts, in dem es um Details geht, bewerten die Experten die Fortschritte in vielen Punkten als armselig. Das gilt etwa für die Ziele, den Verlust von Lebensräumen zu halbieren und die Überfischung der Meere zu stoppen. Auch von einer nachhaltigen Landwirtschaft sind so gut wie alle Länder, die 2010 unterzeichnet haben, weit entfernt.

Der Bericht macht aber nicht nur die Misere deutlich, sondern er zeigt auch auf, was getan werden müsste. Schon bis zum Jahr 2030 könnte sich die Situation verbessern, schreiben die Autoren. „Die Zeit läuft uns aber davon“, sagt Günter Mitlacher, der bei der Umweltschutzorganisation WWF die Abteilung internationale Biodiversitätspolitik leitet. Der Weltbiodiversitätsrat kann nur Empfehlungen geben. Ob und was davon umgesetzt wird, entscheiden die Politiker in den einzelnen Ländern. Was geschieht, wenn sich nichts ändert, beschreiben die IPBES-Autoren klar und deutlich. Die Lage wird sich dann weiter verschärfen, bis hin zum ökologischen Kollaps.

Blütenmeer. Foto: Arnika B. Rickert

 

IPBES Infos und Bericht:

www.ipbes.net

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