Jens Mecklenburg

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Die große Schmelze

Beringstraße und Grönland bald eisfrei?
20. März 2019

Die Temperaturen in der Arktis werden laut Uno bis 2050 um mindestens drei Grad Celsius steigen. Selbst wenn die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens umgesetzt werden. Bleibt die Beringstraße bald eisfrei?


Die Beringstraße ist eine schmale Meerenge, die Russland von Alaska trennt. Normalerweise ist sie im Frühjahr mit Eis bedeckt – nicht so in diesem Frühjahr, wie Aufnahmen des europäischen Erdbeobachtungssatelliten „Sentinel 1″ vom 7. März zeigen. Die rund 80 Kilometer, die den Pazifik und den Arktischen Ozean verbinden, sind nahezu eisfrei. Die wenigen Eisflächen sind in einem hellen Blau zu sehen.

Laut Uno könnte das in Zukunft häufiger passieren. Demnach werden die Temperaturen in der Arktis im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bis 2050 um mindestens drei bis fünf Grad Celsius im Jahresmittel steigen – selbst wenn die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erfüllt und der globale Ausstoß an Treibhausgasen massiv gesenkt werden würde. Bis 2080 seien sogar Temperaturanstiege von bis zu neun Grad Celsius möglich, heißt es in dem Bericht, der während der Uno-Umweltkonferenz vorgestellt wurde.

Das Klimaabkommen wurde Ende 2015 in Paris beschlossen. Es sieht vor, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren und die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Ob die vereinbarten Klimaschutzziele tatsächlich erreicht werden, ist fraglich.

Satellitenaufnahme der Behringstraße

Kipppunkt durch Tauen der Permafrostböden

Die Folge: Die Eismassen schmelzen, und der Permafrostboden taut. „Die Veränderungen in der Arktis schreiten schnell voran, und sie werden globale Auswirkungen haben, die uns alle betreffen“, schreiben die Forscher. In den teilweise Hunderte Meter dicken Permafrostschichten der Arktis sind seit der letzten Eiszeit riesige Mengen Biomasse aus abgestorbenen Pflanzen konserviert. Sobald sie tauen, beginnt die Zersetzung durch Mikroorganismen – und zusätzliche Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan werden frei.

Das Tauen der Permafrostböden gilt daher als möglicher sogenannter Kipppunkt im globalen Klimasystem. Damit sind Effekte gemeint, die die Erderwärmung bei Überschreiten bestimmter Schwellen trotz aller von Menschen unternommenen Gegenmaßnahmen unumkehrbar machen könnten.

Laut der Europäischen Weltraumorganisation Esa gibt es derzeit im Beringmeer so wenig Eis wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1850. Normalerweise wächst der Eisschild bis April, je nach der Wind- und Wellenbewegung. Auch im vergangenen Jahr war es in der Arktis ungewöhnlich warm. Doch die Ausbreitung des Meereises hat laut Esa im März 2019 ein neues Rekordtief erreicht.

Folgen der Erwärmung: Regen löst vermehrt Eisschmelze aus

Der grönländische Eisschild schrumpft. Messungen zeigen, dass er rund 270 Milliarden Tonnen Eis jährlich verliert. Ein großer Teil davon fließt als Schmelzwasser von den Gletscheroberflächen ab. Auf der Suche nach den genauen Ursachen dieser Schmelzvorgänge ist eine deutsch-amerikanische Arbeitsgruppe unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel darauf gestoßen, dass zunehmende Regenfälle über Grönland den Eispanzer langfristig schädigen können. Die Studie erschien jetzt in der Fachzeitschrift „The Cryosphere“.

NYTCREDIT: Tony Cenicola

Jährlich 270 Milliarden Tonnen Eis weniger

Das Grönländische Inlandeis ist nach der Antarktis die größte dauerhaft vereiste Fläche der Erde. Doch der Eispanzer schrumpft. Seit etwa 1990 sind die Durchschnittstemperaturen über dem Inlandeis im Sommer um bis zu 1,8 Grad Celsius und im Winter um bis zu 3 Grad Celsius gestiegen. Infolgedessen verliert der Eisschild jährlich etwa 270 Milliarden Tonnen Eis. Lange wurde angenommen, dass Eisberge, die von Gletscherzungen abbrechen und in den Ozean treiben, den größten Teil davon ausmachen. Doch neuere Studien zeigen, dass direkter Schmelzwasserabfluss bis zu 70 Prozent zum Verlust beiträgt.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und den USA haben jetzt in der internationalen Fachzeitschrift „The Cryosphere“ eine Studie veröffentlicht, nach der Niederschlagsereignisse über dem grönländischen Eis zunehmend zu den Auslösern der Schmelzwasserbildung gehören. „Regenwetter kommt in Teilen des grönländischen Eisschildes immer häufiger vor, was auch im Winter zu kurzzeitigen Schmelzereignissen führt“, fasst die Erstautorin Dr. Marilena Oltmanns vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel die Studie zusammen.

Um den genauen Ursachen für die Schmelzwasserbildung auf der Oberfläche der grönländischen Gletscher auf die Spur zu kommen, kombinierten die Forscherinnen und Forscher Satellitenbilder mit Wetterbeobachtungen vor Ort aus den Jahren 1979 bis 2012. Satelliten können das Schmelzen des Eises in Echtzeit abbilden, da ihre Bilder Schnee und flüssiges Wasser unterscheiden können. Mehrere über das Eis verteilte automatisierte Wetterstationen liefern gleichzeitig Daten über Temperatur, Wind und Niederschlag.
Durch die Kombination der beiden Datensätze konnten die Forschenden mehr als 300 Ereignisse erkennen, bei denen Regenwetter der erste Auslöser für einen Schmelzvorgang war. „Das war eine Überraschung“, sagt Dr. Oltmanns. Im Verlauf des untersuchten Zeitraums habe sich das Schmelzen im Zusammenhang mit Regen und seinen Folgewirkungen im Sommer sogar verdoppelt und in den anderen Jahreszeiten insgesamt verdreifacht, erklärt sie weiter. Der Gesamtniederschlag über dem Eisschild änderte sich allerdings nicht. Was sich änderte, war die Form des Niederschlags.

Regen führt zu Eisverlust

Niederschlagsereignisse sind mit verstärkten Südwinden verbunden, die warme, feuchte Luft vom Ozean über den Eisschild bringen. Durch die langzeitige Erwärmung kommt es dabei immer häufiger vor, dass die atmosphärischen Bedingungen die Schwelle überschreiten, an der Niederschlag als Regen und nicht als Schnee eintritt. Zusätzlich zu der warmen Luft transportiert flüssiges Wasser viel Wärme. Unterdessen bilden die warmen Winde, die den Regen brachten, Wolken, die die Wärme über den Gletschern einfangen.
Teilweise gefriert der auf das Eis fallende Regen zwar wieder, doch er verwandelt hellen, reflektierenden Schnee in dunklere, dichtere Eismassen. Scheint dann später die Sonne wieder, wärmt sich das Eis schneller auf und schmilzt auch schneller. „So kann ein Niederschlagsereignis im Sommer oder Frühjahr auch noch Wochen später zum Schmelzen beitragen“, erklärt Marilena Oltmanns.

Bisher ging man davon aus, dass die grönländischen Gletscher schrumpfen, weil im Sommer mehr Eismasse abschmilzt, als im ganzen Jahr durch Niederschläge neu hinzukommt. Durch die räumliche und zeitliche Verschiebung der Schnee-Regen-Grenze tragen Niederschlagsereignisse selbst immer mehr auch zum Eisverlust bei. „Diese Wetterereignisse und ihre vielfältigen Folgeerscheinungen sollten auch in Klima- und Ozeanmodellen berücksichtigt werden. Schließlich ist der Eisverlust in Grönland auch ein wichtiger Faktor beim globalen Meeresspiegelanstieg“, betont Marilena Oltmanns.

Originalarbeit:
Oltmanns, M., F. Straneo, F, M. Tedesco (2019): Increased Greenland melt triggered by large-scale, year-round cyclonic moisture intrusions. The Cryosphere, 13, 815-825, https://doi.org/10.5194/tc-13-815-2019

Gletscherkante in Grönland

 

GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

www.geomar.de

 

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