Gegen die Verschwendung

Intelligente Software aus Bremen unterstützt nachhaltige Kreislaufwirtschaft
19. Mai 2021

Ein Beitrag von Anne-Kathrin Wehrmann

Jeden Tag landen riesige Mengen Lebensmittelreste im Abfall. Dabei ließe sich vieles davon noch anders nutzen. Ein Team der Uni Bremen arbeitet an einer intelligenten Software, die dafür sorgen soll, Stoffströme zu vernetzen und so eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Gang zu setzen.

Carolin Johannsen und Thorsten Kluß wollen Ressourcen miteinander vernetzen. © Joerg Sarbach

Ein Blick in die eigene Mülltonne macht es deutlich: Nicht nur bei der Produktion von Lebensmitteln, sondern auch bei deren Verwertung fallen große Mengen an Abfall an. Nachhaltig ist das nicht, denn auf diese Weise werden auch viele wertvolle Stoffe achtlos entsorgt, die sich von anderen Verbrauchern noch sinnvoll weiternutzen ließen.

Thorsten Kluß (47) von der Universität Bremen und sein Team arbeiten an einer intelligenten Software, die genau das ermöglichen soll. „Momentan verläuft unsere Wirtschaft linear“, sagt der Wissenschaftler von der Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik. „Unsere Lebensmittel kommen wie auf einer Einbahnstraße in die Städte: Ein Produkt, das verbraucht ist, wird zu Müll. Was weg ist, ist weg – aber wie soll das ewig weitergehen?“ Nachhaltiges Wirtschaften sei letztlich nur dann möglich, wenn einzelne Stoffströme vernetzt und dadurch Ressourcen geschont würden.


Mit Künstlicher Intelligenz Ressourcen und Geld sparen

Um das zu erreichen, entwickelt Kluß derzeit zusammen mit seiner früheren Uni-Kollegin Carolin Johannsen (38) die Software „Loopsai – künstliche Intelligenz natürlich integriert“. Dabei steht „Loops“ für Kreisläufe und „ai“ für „artificial intelligence“, also künstliche Intelligenz (KI). Die selbstlernende Open-Source-Software soll später einmal im besten Fall Betriebe automatisch in Stoffkreisläufen anordnen und Vorschläge machen, wer den Müll von anderen als Rohstoff für sich verwenden kann.

So sollen nicht nur Ressourcen und Geld gespart, sondern auch die Müllentsorgung entlastet werden. „Für unsere tägliche Versorgung haben wir ganz viele Puzzlestücke, die unterschiedlich oft, zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten gebraucht werden“, erläutert Johannsen. „Wenn wir all diese Ressourcen optimal und in Kreisläufen nutzen wollen, ist das so komplex, dass es der menschliche Verstand nicht fassen kann. Deswegen brauchen wir ein Werkzeug, und das ist die KI.“

Das Loopsai-Team will die selbstlernende Software allen interessierten Unternehmen und Kommunen kostenlos zur Verfügung stellen.© Joerg Sarbach

Pilotprojekt: Auf Kaffeesatz Pilze züchten

Während der Entwicklungsphase will das Loopsai-Team die Software in einer urbanen Farm testen und optimieren. Die Farm arbeitet schon nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft. In einem ersten Pilotprojekt mit Partnern aus Hamburg ist geplant, Speisepilze auf einem Nährboden aus Kaffeesatz zu züchten, die dann in den regionalen Verkauf gehen. Reste sollen Insekten als Nahrungsgrundlage und Proteinquelle dienen. „Was die Insekten übrig lassen, kann in einer Biogasanlage zur Herstellung von Methan genutzt werden“, berichtet Thorsten Kluß. „Als Rest bleibt ein hochwertiger Dünger, der sich wiederum für den Anbau von Pflanzen nutzen lässt.“

Durch ein stetiges Wechselspiel zwischen der real existierenden, mit Sensoren ausgestatteten Farm und ihrem digitalen Zwilling, einer Computer-Simulation, lernt die KI permanent dazu. Durch diese Arbeit im Reallabor werde erkennbar, welche verarbeitenden Betriebe in einer Region noch fehlten, sagt der Neuroinformatiker. „Und wir erfahren, wo auf der behördlichen oder politischen Seite Änderungen erforderlich sind, um diese Art der Kreislaufwirtschaft zu vereinfachen.“


Globales Netz als Ziel

Projekte wie dieses sollen zeigen, welche Daten, Informationen und Prozesse sich verallgemeinern und auf andere Bereiche übertragen lassen. „Darum brauchen wir viel mehr als Kaffeesatz und Pilze“, macht Carolin Johannsen deutlich, „sonst könnten wir nur eine Kaffeesatz-Pilze-Software entwickeln.“ So sind sie und ihr Mitstreiter Thorsten Kluß zum Beispiel seit einiger Zeit mit Züchtern der als Futterinsekt genutzten Schwarzen Soldatenfliege im Gespräch. Aktuell sammeln die Züchter Daten, mit welchen Futtermitteln die Fliegen besonders gut wachsen. „Die KI könnte dann mitteilen, wo solche Futtermittel zu haben sind: Das erspart eine langwierige Suche nach möglichen Bezugsquellen“, erläutert die Systeminformatikerin, die inzwischen für die Bremer Handwerkprojekt GmbH arbeitet, wo Loopsai im Rahmen eines Projekts für nachhaltige Dienstleistungen ebenfalls zum Einsatz kommen könnte.


Daten lassen Software schlauer werden

Am Ende könne das Ganze nur funktionieren, wenn genügend Betriebe aus unterschiedlichen Bereichen mit im Boot seien, meint die 38-Jährige. Das Team denkt darum groß: „Unser Traum ist es, die Wirtschaft komplett zu verändern und ein globales Netz zu spannen.“ Wenn das gelänge, wäre es auch möglich, verschiedene Kreisläufe ökologisch wertvoll miteinander zu verknüpfen.

Wenig sinnvoll wäre es zum Beispiel, den im Hamburger Pilotprojekt entstandenen Dünger nach Mexiko zu transportieren, wo der Kaffee gewachsen ist. „Aber wenn ganz viele Unternehmen mitmachen, können wir für den Nährstoffstrom von Mexiko nach Hamburg vielleicht einen Rückfluss über hundert andere Kreisläufe schaffen“, erläutert Johannsen. „Für Menschen wäre das zu komplex zu organisieren, aber die KI kann das.“ Je mehr Daten die Software sammle, umso schlauer werde sie und umso mehr Lösungen könne sie anbieten.


Deutscher Nachhaltigkeitspreis für Loopsai

Dass die Initiatoren mit ihrer Entwicklung den Nerv der Zeit treffen, wird unter anderem daran deutlich, dass sie mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021 in der Kategorie Forschung ausgezeichnet worden sind. Eines der nächsten Ziele ist es jetzt, Loopsai in ein größeres Forschungsprojekt einzubetten. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Fest steht, dass die Software allen interessierten Unternehmen und Kommunen kostenlos zur Verfügung gestellt werden soll, damit sie eine möglichst weite Verbreitung findet. „Vor dem Hintergrund des Klimawandels müssen wir jetzt schnell handeln, wenn es noch einigermaßen glimpflich ausgehen soll“, betont Carolin Johannsen. „Alles andere wäre kontraproduktiv.“