Was macht eigentlich ein Böttcher?

Alfred Krogemann sorgt in Bremen für die richtigen Aromen in Weinen und Schnäpsen
13. März 2022

Ein Beitrag von Christian Beneker

Christoph Krogemann (links) mit Vater Alfred Krogemann (rechts) im Fasslager. Die Fassfabrik Krogemann ist die einzige Manufaktur in Bremen, die Fässer herstellt. © WFB/Jörg Sarbach

Alfred Krogemann ist Fassmacher – einer der letzten seiner Art. Seine Fassfabrik in Bremen übernahm er vor über 50 Jahren von seinem Vater. Vor zwei Jahren übergab er den Betrieb an seinen Sohn Christoph. Aber ans Aufhören denkt der 78-Jährige trotzdem nicht.

Eiche für Rotwein, Esche für Korn, Akazie für Weißwein. Die meisten Fässer hier sind jedoch aus Eichenholz gemacht. Alfred Krogemann bleibt bei einem gebrauchten 50-Liter-Fass stehen. „Riechen Sie das?“, fragt der Seniorchef der Bremer Böttcher-Werkstatt gleichen Namens seinen Besucher und beugt sich über das Spund-Loch. Tatsächlich verströmt das leere Fässlein durch die Öffnung einen verführerischen Duft, mild und cremig. Der Besucher tippt auf Portwein. „Whiskey“, korrigiert Krogemann, „ganz klar.“ In dem Holzfass lagerte die Spirituose für lange Zeit, um sie zu veredeln. Jetzt ist das äußerlich abgenutzte Gefäß in dem Handwerksbetrieb, um wieder auf Vordermann gebracht zu werden.


Alte Fässer werden aufgekauft und instandgesetzt

Zu Dutzenden stapeln sich alte Fässer auf dem Hof von Bremens letztem Böttcher: dunkel, angelaufen, gehalten von schwarz gewordenen, verzinkten Reifen. Drei Etagen hoch, Fass auf Fass, mit einem Fassungsvermögen von 20, 50 oder 225 Litern. „Das hier sind unsere größten“, sagt Krogemann und klopft auf einen bauchigen Koloss. „500 Liter!“ Dazwischen liegen Stapel verzinkter Reifen und Bretter. Krogemanns siebenköpfiges Team repariert alte Fässer, die er von Winzern und Destillen aus ganz Europa ankauft. Als instand gesetzten „Umarbeiter“ werden sie wieder an Produzenten von Wein und Co. zurückverkauft. An einer anderen Stelle stehen hell leuchtende, frisch gefertigte Eichenfässer, die in Plastikfolie eingewickelt auf ihre Auslieferung warten.


Traditionshandwerk gab historischer Böttcherstraße einst den Namen

Küfer, Fassbinder, Böttcher: Je nach Landstrich nennt man die Fassmacher anders. Gemeinsam haben sie ihre lange Tradition – und in Bremen trägt sogar die berühmteste Straße der Hansestadt das Traditionshandwerk im Namen: die historische Böttcherstraße. Sie führt vom Marktplatz hinunter zur Weser, wo früher die Schiffe lagen und wo die Fässer der Handwerker für den Transport von Bier, Wein und Heringen gebraucht wurden. „Dutzende von Werkstätten lieferten früher die Fässer zu“, sagt Krogemann. Inzwischen ist nur sein Betrieb übriggeblieben.

Ein Mitarbeiter passt Ringe an Fässern an. Das alte Handwerk steht heute unter Druck: der Nachwuchs fehlt, auch in Bremen. © WFB/Jörg Sarbach

Holzfässer werden zum Reifen von Wein und Whiskey gebraucht

Noch in den 1960er Jahren nutzte das Bremer Spirituosen-Handelshaus Reidemeister & Ulrich die „Vinum“, ein Tankschiff für Millionen von Litern Wein, berichtet Krogemann. Der Wein wurde in Bremen per Schiff angeliefert und hier zum Weitertransport in Fässer gefüllt, auch in solche der Firma Krogemann. „Heute wird der Wein vor Ort in Flaschen gefüllt und dann transportiert“, sagt Krogemann. Fässer werden trotzdem noch gebraucht: zum Lagern und Reifen hochwertiger Tropfen. Viele kleinere und größere Brennereien für Whiskey oder Rum sind in den letzten Jahren gegründet worden.


Geschichte des Unternehmens reicht bis ins Mittelalter zurück

Krogemanns Fassfabrik ist eine echte „Bremensie“. Ihre Geschichte reicht nach Erzählungen von Krogemann zurück bis ins Mittelalter. Belegt ist sie allerdings erst ab Beginn des 20. Jahrhunderts: 1902 übernahm der Lehrherr von Krogemanns Vater, Hinrich Hoppe, das Geschäft von dessen Vorgänger. 1949 wurde Alfred Krogemanns Vater Teilhaber. Zur „Fassfabrik Krogemann“ wurde sie zehn Jahre später. Ab 1972 leitete Sohn Alfred die Geschicke – bis zum Generationenwechsel im Januar 2019. Da übernahm Sohn Christoph (37) das kleine Familienunternehmen. Krogemann Senior ist immerhin inzwischen 77 – ganz zurückziehen mag er sich aber nicht. Offiziell gelernt hat er seinen Beruf nie, wie er sagt. „Ich bin ja schon als Kind mitgelaufen und habe von Anfang an alles mitbekommen.“ Heute ist Böttcher ein dreijähriger Lehrberuf.


Fass-Sauna macht die Hölzer weich und formbar

Bei Krogemann werden die Fässer hergestellt, wie seit Jahrhunderten: Zuerst die Dauben, das sind die hölzernen Wangen, aus denen das Fass gefertigt wird. Ihren Zuschnitt erledigt eine der uralten Maschinen, die Krogemann noch in seiner Werkstatt hat. Schließlich müssen die Seiten der Dauben exakt gewinkelt und die Mitte breiter als die Enden sein. Nur so wird später ein Fass draus. Die Maschinen sind so alt wie manche Fässer hier: 100 Jahre.

Nun fügt der Böttcher die unteren Enden der 30 Dauben etwa eines 225-Liter-Fasses in einen ersten Fassreifen ein, so entsteht die „Rose“. Ihr Leben ist kurz. Denn rasch verschwindet sie in einem Dampfbad. Diese Fass-Sauna ist in Krogemanns Werkstatt ein blecherner Schrank, die Hitze und Feuchte darin machen die Hölzer weich und formbar. Ein Drahtseil zwingt dann die oberen Enden der Dauben sachte aber unnachgiebig Stück für Stück in die Fass-Form. „Das Ganze kocht so eine halbe Stunde“, sagt Krogemann. „Dann holen wir das Fass raus und legen auch um das obere Ende einen Reifen, und das Seil kann abgenommen werden.“

Im Januar 2019 übernahm Christoph Krogemann die Fassfabrik von seinem Vater Alfred. © WFB/Joerg Sarbach

Fass wird von innen mit einem Feuer „getoastet“

Die festen Hammerschläge, die durch die Werkstatt hallen, lassen ahnen, mit welcher Wucht die Reifen aufgeschlagen werden müssen. Dann ist erstmal Ruhe – für einen Tag. Sind die Fässer ausgekühlt, werden sie mit Hilfe eines Eichenholz-Feuers, das der Böttcher in das Fass hineinstellt, „getoastet“. So entsteht das Barrique-Fass, dessen angekohlte Innenseite den Weinen, Cognacs und Sherrys zusammen mit den Gerbstoffen des Holzes einen feinen Vanille-Ton verleiht. Außerdem bleibt das Fass nach dem Ausbrennen in Form, sodass Krogemann die Reifen abnehmen kann, um Deckel und Boden einzusetzen. Dann wird das Fass in eine Rotier-Maschine gespannt, um es rund zu hobeln und zu schleifen. Am Schluss wird das Spund-Loch gebohrt. Fertig.


5.000 gebrauchte Fässer pro Jahr

Im Jahr rollen 5.000 gebrauchte Fässer über Krogemanns Hof. Nur die besten werden aufgearbeitet. Rund tausend kleinere Fässer gehen an Schnapsbrennereien und Whiskey-Destillen – und größere an Privatleute, die ihr Regenwasser in den Fässern sammeln oder Blumen hineinpflanzen. Und 150 bis 300 neue 225-Liter Fässer schickt Krogemann an Winzer überall in Europa. Das alte Handwerk steht allerdings unter Druck. Nach Angaben des Verbands des Deutschen Fass- und Weinküfer-Handwerks gibt es deutschlandweit nur noch 59 Betriebe, vor allem in den Weinanbau-Gebieten. Tendenz: leicht sinkend. Denn der Nachwuchs fehlt, das ist auch in Bremen so. Derzeit arbeiten nur noch zehn Böttcher-Lehrlinge in ganz Deutschland. „Unsere Kunden müssen zwei bis drei Monate warten, manchmal sogar länger“, sagt Krogemann. Seine Auftragsbücher sind gut gefüllt, Winzer und Destillerien sind auf seine Fässer angewiesen. „Ein frischer Whiskey kratzt im Hals. Nach zehn Jahren im Stahltank schmeckt er immer noch wie am ersten Tag. Aber nach zehn Jahren im Holzfass ist er weich und köstlich.“