Fotografin unter Extrembedingungen

Esther Horvath dokumentiert für das Alfred-Wegener-Institut Expeditionen in die Arktis
9. März 2023

Ein Beitrag von Insa Lohmann

Esther Horvath hat schon mehrfach die Polarregionen bereist. © E. Horvath

Monatelang kein Sonnenlicht und arktische Kälte: Die Bremer Fotografin Esther Horvath hat die größte Arktis-Forschungsexpedition aller Zeiten begleitet und dokumentiert. Für eine ganz besondere Aufnahme wurde sie mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet.

Esther Horvath kann sich noch gut an den Moment erinnern, der ihren späteren Werdegang beeinflussen sollte: Sie war etwa sechs Jahre alt, als sie im Fernsehen eine Reportage über Polarexpeditionen sah. „Das hat mich extrem fasziniert“, sagt die Wahl-Bremerin. „Ab diesem Zeitpunkt habe ich davon geträumt, das zu erleben.“ Heute arbeitet die gebürtige Ungarin am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) als Fotografin und begleitet unter Extrembedingungen wissenschaftliche Forschungen und Expeditionen. Bei Temperaturen von bis zu minus 35 Grad Celsius nahm Esther Horvath 2019 an der größten Arktis-Expedition aller Zeiten mit dem Namen MOSAiC teil, um die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 20 Nationen in der Arktis zu dokumentieren. „Ich habe damit mein Lebensziel gefunden“, sagt die 42-Jährige.


„Es war Liebe auf den ersten Blick“

Doch bis sich Esther Horvaths Kindheitstraum, die Arktis mit eigenen Augen zu sehen, erfüllen sollte, war es ein weiter Weg für sie. Sie träumte zunächst davon, Buch-Illustratorin zu werden. Sie studierte aber Wirtschaftswissenschaften – aus Vernunftsgründen, wie sie sagt. „Aber ich war immer eine kreative Person.“ Mit 25 bekam Esther Horvath, mittlerweile in Wien lebend, ihre erste Kamera geschenkt. Es sollte der Anfang einer großen Leidenschaft sein: „Es war Liebe auf den ersten Blick“, erzählt sie.

Bei einem New York-Besuch lernte sie das International Center of Photography kennen, eine renommierte Fotografie-Schule. „Plötzlich wusste ich: Das ist der Weg, den ich gehen möchte.“ Sie bewarb sich und wurde tatsächlich angenommen. Mit nur zwei Koffern zog sie von Wien in die US-Metropole, um dort Dokumentation und Fotojournalismus zu studieren. Eines ihrer ersten Projekte war eine Reportage über die Arbeit der Feuerwehrmänner des NY City Fire Departments, das in der „New York Times“ veröffentlicht wurde.


Ihr großer Traum: die Polarforschung

Doch das Leben in den USA war teuer. Um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, arbeitete sie nebenbei für eine internationale Logistikfirma aus Wien, für die sie bereits zuvor in Österreich tätig gewesen war. Ihr Ziel war es, irgendwann von ihren Bildern leben zu können. Also nutzte sie jede freie Minute für die Fotografie und reiste durch Amerika. Und sie hatte nach wie vor einen großen Traum vor Augen: die Polarforschung. 2015 bekam sie schließlich die Möglichkeit, für das US-Magazin „Audubon“ an einer Arktis-Expedition teilzunehmen: „Einer der größten Meilensteine meiner Arbeit“, sagt Esther Horvath rückblickend. Zwei Wochen lang begleitete sie Forschende in eisiger Kälte bei ihrer Arbeit. Zurück blieb die Faszination. „Dort hat meine Liebe zur Polarlandschaft angefangen“, sagt sie.


Seit 2018 arbeitet sie als Fotografin am AWI

Ihre Wege mit dem Bremerhavener AWI kreuzten sich erstmals 2015 in Norwegen, wo die damalige AWI-Leiterin Karin Lochte einen Vortrag hielt. Esther Horvath sprach sie an und erfuhr von den nächsten geplanten Expeditionen. Die Fotografin war begeistert, 2018 wurde sie am AWI fest angestellt. Seitdem bereiste sie gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehrere Male beide Polarregionen.

Auf dem deutschen Forschungsschiff Polarstern erforschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Veränderungen der Arktis. © E. Horvath

Von New York nach Bremen

Kurz nach ihrem Umzug von New York nach Bremen, hatten bereits die Vorbereitungen für die einjährige internationale MOSAiC-Expedition in der Arktis unter Federführung des AWI begonnen. Der Eisbrecher „Polarstern“ startete im September 2019 von Bremerhaven aus Richtung Nordpol. Rund zehn Monate lang driftete das Bremerhavener Forschungsschiff angedockt an eine riesige Eisscholle durch das Nordpolarmeer. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Nationen konnten so den gesamten Eiszyklus vom Gefrieren bis zur Schmelze messen und dokumentieren. Im Oktober 2020 kehrte das Schiff nach Bremerhaven zurück. Esther Horvath war dreieinhalb Monate mit an Bord.

Zur Vorbereitung hatte sie mehrere Überlebenstrainings absolviert: Sie lernte, wie man Feuer löscht oder sich gegen Eisbären zur Wehr setzt – und ließ sich sogar im norwegischen Spitzbergen aussetzen. Eine Extremerfahrung: Fünf Schlafsäcke für 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ausgestattet mit lediglich einer schwimmenden Rettungsinsel, bei arktischen Temperaturen. „Das war sehr wichtig für mich, durch das Training habe ich mich sicher gefühlt“, sagt die Fotografin.


„Am meisten hat mich die Dunkelheit fasziniert“

In der Arktis, angedockt an der riesigen Eisscholle, habe sie das Gefühl gehabt, auf einem anderen Planten zu sein. „Am meisten hat mich die Dunkelheit fasziniert.“ Die Besonderheit der Polarregion möchte die AWI-Fotografin auch in ihren Bildern transportieren. „Ich bin jedes Mal vom Eis fasziniert, das durch die Sonne täglich seine Farbe verändert.“ Die Arktis beobachtet die Wahl-Bremerin aber auch mit Sorge: „Ich habe erlebt, wie zerbrechlich die Landschaft dort ist“, sagt sie. Durch ihre Fotos könne sie eine breite Öffentlichkeit auf die rasanten Klimaveränderungen aufmerksam machen, die sich in der Arktis abspielten. „Ich möchte meine Fotografie dieser Landschaft widmen“, betont die 42-Jährige.

Für diese Aufnahme von einer Eisbärenmutter mit ihrem Nachwuchs im Forschungscamp in der Arktis erhielt Esther Hovarth den World Press Photo Award. © E. Horvath

Fotografieren bei bis zu minus 35 Grad Celsius

Für Horvath ist jede Expedition eine Extremerfahrung: Bei Wetterbedingungen wie in der Arktis zu fotografieren, sei alles andere als einfach. Bis zu minus 35 Grad Celsius herrschten während der MOSAiC-Expedition auf dem Meereis, Kopflampen und Scheinwerfer waren Esther Horvaths einzige Lichtquellen in der Dunkelheit. Die metallische Kamera leite die Kälte besonders schnell in die Hände, die Gefahr von Erfrierungen bestand. Und dann sind es aber besondere Momente wie diese, in denen die Fotografin genau weiß, warum sie sich den herausfordernden Arbeitsbedingungen immer wieder aussetzt: Zwei Eisbären – eine Mutter und ihr Junges –, die im Licht der „Polarstern“ auf der Eisscholle die Ausrüstung der Expedition inspizieren. Festgehalten hat Horvath diesen Moment mit einem beeindruckenden Foto.

Für die AWI-Fotografin war das Motiv ein absoluter Glücksfall, denn hätte sie sich zu dem Zeitpunkt nicht in sicherer Umgebung auf dem Forschungsschiff befunden, hätte sie das Bild gar nicht machen können – auf dem Eis wäre die Gefahr viel zu groß gewesen. „Ich wusste sofort: Da passiert gerade etwas sehr Besonderes“, sagt sie. Sie sollte Recht behalten: Für ihre Aufnahme erhielt die AWI-Mitarbeiterin den World Press Photo Award in der Kategorie Umwelt. „Damit ist ein Traum wahrgeworden“, freut sie sich.

Für Esther Horvath war es ein großer Schritt, von New York nach Bremerhaven zu gehen – bereut hat sie ihn nie: „Mir gefällt die Vielfalt am AWI, es ist jeden Tag etwas anderes. Ich kann mich kreativ ausleben und an verschiedensten Projekten mitwirken.“ Auch die Nähe zum Wasser genießt sie, in ihrer Freizeit geht sie gerne an der Weser spazieren oder fährt mit dem Kajak durch Lilienthal. „Immer ohne Kamera“, sagt sie, denn Fotografieren bedeute Arbeit. Zum Mittagessen ist die gebürtige Ungarin oft in Bremen in der Markthalle Acht anzutreffen – wenn sie nicht auf Reisen ist. Jetzt zur Weihnachtszeit freut sie sich vor allem auf den Bremer Weihnachtsmarkt und den Schlachtezauber: „Ich war das allererste Mal um Weihnachten herum in Bremen. Den mittelalterlichen Markt am Wasser fand ich unglaublich schön.“