Jens Mecklenburg

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Filmtipp: ALLES, WAS MAN BRAUCHT

Was braucht man für ein gutes Leben?
7. Mai 2022

„Das Dorf braucht einen Treffpunkt, um es am Leben zu halten, denn wenn es gar keinen Treffpunkt mehr gibt in einer Gemeinde, dann ist so ein Dorf.“ verloren.  

Bürgermeister Tiessen, Christiansholm. 

© mairafilm

Was brauchen wir für ein gutes Leben? Nicht viel, meint ein Dorfladenbesitzer aus Dithmarschen. Etwas zum Essen, zum Trinken, und die Freiheit, sich Zeit zu nehmen für das, was man gerade tut. Zusammen mit seiner Frau hat er einen Dorfladen aufgemacht – ein 40 qm großes, lebensfrohes Universum aus regionalem Gemüse, sorgfältig arrangierten Regalen, Klönschnack und Zusammenhalt. Und eine Insel in einem Meer aus Discountern, die die kleinen Läden auf dem Land schon lange verdrängt haben. 

Zwei Jahre lang reisen die Dokumentarfilmerin Antje Hubert durch norddeutsche Dörfer und erzählt von Menschen, die im Vakuum fast verloren gegangener Traditionen etwas Neues wagen: Eine ehemalige Verkaufsstellenleiterin rettet ihren alten Konsum durch die Zeit, ein weitgereister Koch wird Leiter eines kleinen Lebensmittelmarktes, eine Höfegemeinschaft mit Bioladen sucht auf einer alten LPG nach Lösungen für eine nachhaltige und gerechte Welt, ein Bürgermeister baut an einer vielbefahrenen Bundesstraße einen Verkaufsautomaten und ein Supermarktbesitzer übernimmt die aufwändige Versorgung der Halligleute im Wattenmeer. Selbst als die Corona-Pandemie das gewohnte Leben zum Erliegen bringt, schaffen sie es, das Wesentliche ihrer Arbeit zu erhalten: die Wertschätzung der Dinge und die gelebte Zuwendung zu anderen Menschen.

Antje Hubert über ihren Film  

„Ich denke, die Dorfläden sind in der ländlichen Welt nicht nur kostbare Inseln, sondern auch Wegweiser in eine bessere Zukunft.“ 

Antje Hubert © mairafilm

„Ich bin auf einem Dorf in Westdeutschland aufgewachsen und habe erlebt, wie die kleinen Läden seit den 1970er Jahren von den großen Supermärkten und Discountern verdrängt wurden. In Ostdeutschland lerne ich auf meiner Filmreise durch Norddeutschland, trafen die vielen Läden der Konsumgenossenschaften nach der Wende auf ein ähnliches Schicksal. Unsere Reise beginnt im Sommer 2018, wir sind in kleinem Team unterwegs, der Kameramann Henning Brümmer und ich. Das Land ist ausgetrocknet – nicht nur wegen der Dürre, die viele Landstriche, die wir durchqueren, zu staubigen Wüsten macht. Ausgestorbene Dorfstraßen, verwaiste Plätze, Discounter mit riesigen Parkplätzen, tote Schaufensterscheiben, einsame Briefkästen, all das sind die stummen Zeugen einer sich extrem wandelnden Landgesellschaft. Mich interessiert dieser Wandel und wie er sich anders- besser – gestalten ließe. Nach und nach entdecken wir Läden, wie kleine Inseln, übriggeblieben, neu aufgemacht. Und wir fangen an, dort Geschichten zu erzählen. Es sind Miniaturen rund um das Einkaufen und Verkaufen, direkt, wie beiläufig, mitten aus dem Leben. Sie entstehen selbst an so schlichten Orten wie an einem Regiomaten oder an einer Nordseefähre, wenn man nur lange genug auf sie wartet. Wenn wir eines können, dann: warten, auf den richtigen, guten Moment. Kurz vor Ende der Dreharbeiten, im Frühjahr 2020 zwingt uns die Pandemie zum Daheimbleiben, und mit Hilfe von Telefonaten mit meinen Protagonist*innen und den Animationen aus der Feder von Rainer Ludwigs gelingt es uns, am Film weiterzuarbeiten. Im Oktober 2021 sind wir schließlich fertig und können den Film auf den ersten Festivals präsentieren. Ich denke, die Dorfläden sind in der ländlichen Welt nicht nur kostbare Inseln, sondern auch Wegweiser in eine bessere Zukunft. Hier findet jeden Tag aufs Neue etwas statt, was durch die Corona-Pandemie noch einmal mehr seine Selbstverständlichkeit zu verlieren droht: das Glück, sich zufällig zu begegnen und die Chance, sich anderen Menschen zuzuwenden. Beim Small Talk an der Ladentheke, beim Klönschnack im Foyer des Ladens mit einer Tasse Kaffee in der Hand kommen wir ins Gespräch – über Gott und die Welt. Das ist nicht nur Dorfleben, sondern auch Herzstück meiner Art, Filme zu machen. Ich mache alle meine Filme mit einem Becher Kaffee in der Hand. Das zweite, was ich an den kleinen Läden schätzen gelernt habe, ist die Art, wie Lebensmittel präsentiert werden. Die Dorfläden haben natürlich nicht „alles“ und schon gar nicht die große Angebotspalette, die ein großer Supermarkt zu bieten hat. Und trotzdem haben wir erstaunlich gute Sortimente gefunden: von extrem nützlich und preiswert bis zu regional und bio. Backpulver und Grieß neben Kurkumatee und Mangolassi, Spülmittel, Klopapier, regionaler Käse und Kekse aus dem Dorf. Das Arrangement der Dinge trägt die Handschrift der jeweiligen Marktleiter:innen. Der Kameramann Henning Brümmer hat sie in seinen Bildern eingefangen, in der Filmmontage nehmen diese ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten einen besonderen Platz ein. Nur durch das Engagement von Menschen, die so „verrückt“ sind, einen Dorfladen aufzumachen, und sich mit Mut, Ideen und -norddeutscher- Gelassenheit gegen die Macht der Discounter und des Überkonsums stellen, können solche ländlichen Inseln existieren. Ohne die Kundschaft, die das zu schätzen weiß, werden sie den Kampf verlieren. Auf allen Ebenen des Films von der Kamera über die Animationen bis zur Musik haben wir an einem möglichst genauen Blick auf das Landleben gearbeitet, der es nicht idealisiert, sondern das stille Potential der Provinz zur Sprache bringt. Wir werden durch den Klimawandel mehr und mehr herausgefordert, unser Konsumverhalten und unsere Bedürfnisse neu auszurichten. Die kleinen Läden könnten ein guter Kompass dafür sein. Nicht nur, weil man schnell merkt, was überflüssig ist. Die freundliche Zuwendung zu anderen Menschen und die Wertschätzung der täglichen Dinge sind ganz einfache Fähigkeiten, die dort gelebt und geübt werden, und sie scheinen mir gute Grundlagen für diese dringliche Aufgabe zu sein.“

© mairafilm

VORSCHAU Sonderveranstaltungen ab 13.05. 

Sondervorführungen mit Filmgespräch mit der Regisseurin und Protagonist*innen oder mit lokalen Gruppen.  

Cuxhaven, 13.05.22 Bali Kinocenter  

Kiel,16.05.22, 20:15 Uhr im Kino in der Pumpe  

Hamburg, 19.05.22. um 20:00 Uhr, Lichtmess 

Walsrode, 21.05.22, 20 Uhr, Capitol Theater Walsrode  

Salzwedel, 22.05.22. Filmpalast Salzwedel 

Uelzen, 22.05.22 Central Theater  

Celle, 23.05.22, um 19 Uhr Kino achteinhalb  

Hamburg, 25.05.22 WhiteCubeKino Bergedorf

© mairafilm