Erstveröffentlicht am 29. August 2019
Tante Emma-Läden gibt es kaum noch. Doch wo kauft man auf dem Dorf ein? MarktTreffs sind inzwischen der Mittelpunkt in vielen ländlichen Gemeinden Schleswig-Holsteins. Mit viel Bürgerengagement lebt „Tante Emma“ wieder auf.
MarktTreffs sind inzwischen die Mittelpunkte in vielen ländlichen Gemeinden Schleswig-Holsteins. Nicht nur Lebensmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs werden hier angeboten, sondern auch Dienstleistungen wie Lotto- und Totoannahme, oder Post- und Paketversand. Ein Klönschnack ist natürlich auch inbegriffen. So sind mit viel Bürgerengagement und Ehrenamt mittlerweile 40 MarktTreffs zwischen Ost- und Nordsee entstanden.
Tante Emma geht, MarktTreff kommt
Früher ging die Dorfbevölkerung zu ihrem Tante Emma-Laden um alltägliche Dinge wie Lebensmittel, Schuhbänder und Seife zu erwerben. Es wurde eingekauft, ein bisschen geklönt, Kochrezepte wurden ausgetauscht und so ganz nebenbei der neueste Tratsch verbreitet. Die Tante Emma-Läden wurden mit den Jahrzehnten immer weniger, hatten doch mit der Zeit die meisten Menschen ein Auto, um im nächstgelegenen Ort oder der nächsten Stadt einkaufen fahren zu können.
Isoliert und aufgeschmissen
Gerade ältere und sehr junge Menschen haben es in ländlichen Gebieten nicht leicht. Auto fahren dürfen sie noch nicht oder können es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Mal so eben das Gemüse für das Mittagessen, ein neues Buch oder Schulheft kaufen, einen Brief aufgeben – all das geht nicht. Zumindest nicht ohne die Hilfe von Familie oder Freunden. Und genau hier kommen die MarktTreffs in Spiel.
Die Entstehung der MarktTreffs
Die Kieler Landesregierung entschloss sich Ende der 1990er Jahre, neue Impulse in der ländlichen Entwicklung zu setzen: mit einer innovativen Art von Dorfzentren, die jeweils maßgeschneidert für das Dorf unterschiedliche Aspekte sinnvoll bündeln.
Dabei geht es darum, die Grundversorgung in ländlichen Räumen zu sichern oder neu aufzubauen und die dörfliche Gemeinschaft zu stärken. Und so stehen gerade in kleinen Gemeinden meistens Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungsangebote im Fokus, in Kombination mit Treffmöglichkeiten für die Dorfbevölkerung.
Damit war die MarktTreff-Idee geboren, die auf einem Drei-Säulen-Modell beruht, bei dem Kerngeschäft (Einkaufen oder gastronomisches Angebot), Dienstleistungen und Treffpunkt in einem Konzept kombiniert werden, das für alle Beteiligten sinnvoll und praktikabel ist. So können sich Jung und Alt an einem Ort sowohl begegnen als auch einkaufen und Dienstleistungen wie Post- und Internetservice in Anspruch nehmen.
Für den Anschub eines MarktTreffs bietet das Land Schleswig-Holstein Gemeinden bis 2.500 Einwohnern eine Förderung, um so die entsprechende Infrastruktur im jeweiligen Dorf herzustellen, sei es durch einen Umbau einer historischen Immobilie oder den Neubau eines MarktTreffs. Das Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration des Landes Schleswig-Holstein (MILI) stellt EU-, Bundes- und Landesmittel bereit, aus denen eine Anschubförderung für MarktTreffs – nach erfolgreicher Prüfung – erfolgen kann.
Die Gemeinde als Fördergeldempfängerin muss dafür sorgen, dass zwölf Jahre lang der Förderzweck – der Betrieb eines MarktTreffs – erfüllt wird, ansonsten werden eventuell Fördergelder anteilig zurückverlangt. Die Gemeinde trägt aus ihrem Haushalt die Eigenleistung, also den Anteil der Investitionskosten, der nicht durch Fördergelder abgedeckt wird.
Das Drei-Säulen-Modell
Mögliche Kerngeschäfte:
- kleinflächiger Einzelhandel
- Direktvermarkter
- Gastronomisches Angebot
Dienstleistungen können sein:
- Servicepunkt für Geldinstitute, Post, Gemeinde
- Hol- und Bring-Dienste
- Tourismus-Information
- Gesundheitsdienstleistungen, z.B. Physiotherapie, Arzt-Zweigpraxis
- Bildungsangebote, z.B. Volkshochschulkurse und Workshops
- Computerplätze mit Internetzugang
Möglichkeiten für Treffbereiche sind:
- Kaffee- und Klön-Ecke
- Veranstaltungsraum für Vereine, Sitzungen, Kurse
- gemeinsamer Mittagstisch
- Bücherei
Betreuung und Förderung
Seit 2002 kümmert sich die Unternehmensberatung ews-group im Auftrag der Landesregierung gemeinsam mit der BBE Handelsberatung um das landesweite MarktTreff-Projekt: Beratung für Gemeinden, die sich grundsätzlich über das Modell informieren wollen und bietet Unterstützung in schwierigen Situationen während des Betriebs, Erfahrungsaustausch zwischen allen Beteiligten sowie Weiterentwicklung des Gesamtkonzeptes.
Die Entwicklung des einzelnen MarktTreff-Projektes im Dorf geschieht aber durch die Menschen vor Ort. Sie erarbeiten meist mit externer Unterstützung in einer Machbarkeitsstudie das endgültige Konzept für „ihren“ MarktTreff.
Verbände und Institutionen, die sich in den ländlichen Räumen engagieren und vertreten sind, unterstützen das Projekt der Landesregierung und sind zu Partnern geworden. Inzwischen ist ihre Zahl auf 23 angestiegen.
So zählen, um nur ein paar zu nennen, der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag, der Landessportverband Schleswig-Holstein, der Landjugendverband Schleswig-Holstein, die Akademie für die Ländlichen Räume Schleswig-Holstein, der Landesverband des Deutschen Roten Kreuzes, der Landfrauenverband Schleswig-Holstein, sowie einige andere zu den Projekt-Unterstützern. Sie alle gehören zum weitgespannten MarktTreff-Netzwerk, das sich immer wieder bei Problemstellungen und Herausforderungen bewährt.
Dank dieses Netzwerks konnte zum Beispiel die Frage nach dem Versicherungsschutz für ehrenamtliche Helfer verlässlich geklärt werden. Umgekehrt profitieren auch die Partner des landesweiten Projektes von den MarktTreffs. So lassen sich durch diese beispielsweise leichter Räumlichkeiten für eigene Veranstaltungen finden.
Zweimal im Jahr organisiert das MarktTreff-Projektmanagement für die Betreiberinnen und Betreiber der MarktTreffs einen Erfahrungsaustausch: Was funktioniert gut? Wo gibt es welche Probleme? Welche Lösungen lassen sich finden? Wer hat welchen Verbesserungsvorschlag? Für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Markt-Treff-Gemeinden aus dem nördlichsten Bundesland findet einmal im Jahr eine ähnliche Veranstaltung statt.
So positiv die Gesamtentwicklung des MarktTreff-Projekt über die vergangenen zwei Jahrzehnte bisher verlaufen ist, so hart können an einzelnen Standorten die Zeiten vorübergehend werden. Dies gilt auch für den allerersten MarktTreff, der 1999 in Steinfeld im Kreis Schleswig-Flensburg eröffnet wurde. So ist der Laden, nachdem der bisherige Pächter den Ort verlassen hat, zurzeit geschlossen. Die Gemeinde will die Immobilie verkaufen und hat noch keine neue MarktTreff-Lösung für sich gefunden.
Lösungen finden: Bürgergenossenschaft
Nichtsdestotrotz ist die MarktTreff-Idee widerstandsfähig. Andere Standorte haben dies bewiesen, indem sie sich aus vorübergehenden Krisen erfolgreich herausgearbeitet haben – mit neuer Energie und pfiffigen Lösungen.
Ein gutes Beispiel dafür: der MarktTreff in Kirchbarkau südlich von Kiel. Nachdem der dortige MarktTreff-Betreiber nach 13 Jahren in den Ruhestand gegangen war, begannen „stürmische Zeiten“, die endgültige Schließung drohte. Doch dann ging ein Ruck durch die Dorfgemeinschaft. Eine Bürgergenossenschaft wurde gegründet, die heute den MarktTreff selbst betreibt. Und das mit großem Erfolg im wirtschaftlichen und sozialen Bereich – getragen von vielen Menschen und mehreren Gemeinden im Barkauer Land des Kreises Plön.
Dank des starken Engagements werden zum Beispiel ältere Bewohnerinnen und Bewohner aus der Umgebung einmal pro Woche mit einem Bus zum MarktTreff in Kirchbakau gefahren. So bekommen auch die Bürger der umliegenden Dörfer nicht nur die Möglichkeit zum Einkaufen, sondern können sich auch an einem ausgiebigen Klönschnack erfreuen.
Laden für die Insel
Der 40. MarktTreff ist gerade auf der Hallig Hooge in einem neuen Gebäude auf der Hanswarft entstanden. Statt des verwinkelten, in die Jahre gekommenen Tante-Emma-Ladens steht hier nun ein kleiner richtiger Supermarkt mit gut 60 Quadratmetern mehr an Verkaufsfläche vor Ort. Filialleiter Lars Sönnichsen, als alter und neuer Kaufmann auf der Hallig, freut sich für seine Kunden und über die qualitative Verbesserung.
Zusätzlich zum Halligladen entstanden im MarktTreff ein (Kultur-)Treff mit Ausstellung über Geschichte und Natur der Hallig, sowie drei neue Wohnungen, die zum Teil als Schutzraum für die Halligbewohnerinnen und -bewohner bei schweren Sturmfluten dienen werden. Außerdem gibt es jetzt eine moderne Krankenstation von der aus Patienten via Telemedizin die Möglichkeit haben mit einem Arzt auf dem Festland zu sprechen. Der Arzt kann den Erkrankten per Video befragen und anschauen und den Sanitätern in der Krankenstation sagen, welche medizinischen Maßnahmen sie durchführen und welche Medikamente sie geben sollen.