Die bürgerliche Esskultur setzt sich durch

So kochte Kiel 1820 – 1870 – Teil 2
20. Januar 2020

Ein Gastbeitrag von Dr. Doris Tillmann, erstveröffentlicht am 02.02.2019.


Die Ernährungsweise: die Lebensmittel, ihre Verwendung und ihre Zubereitung

Traditionelle Hauptnahrungsmittel in Norddeutschland waren bis Ende des 18. Jahrhunderts Brei und Grütze, die vor allem als Alltagskost im ländlichen Raum noch lange verbreitet waren, etwa aus grob zerkleinerten Getreidekörnern wie Hafer, Gerste, Hirse, Roggen oder Weizen. Das Mahlgut wurde mit Wasser, manchmal auch unter Zugabe von Milch oder Sauermilch, zu Brei oder Suppe gekocht. Als Brei wurde die Grütze zusammen mit einer Beilage – getrockneter oder geräucherter Fisch oder Dörrfleisch – oder mit einer flüssigen Stippe – Milch, Sirup, ausgelassenem Speck – gegessen, dazu oder danach gab es ein Stück Brot zur Sättigung. Die Brei- und Grütznahrung hatte je nach Zutaten verschiedene Geschmacksrichtungen, darunter auch heute ungewohnte Kombinationen von süß-sauer, aber auch salzig und süß zusammen. Das ist zurückzuführen auf die Konservierungsarten der Lebensmittel mithilfe von Salz, Zucker oder Säuerung. Der Brei wurde mit Löffeln aus einer Schüssel gegessen; es gab hierfür auch spezielle Teller wie die sogenannten Probsteier Doppelteller, in deren Mitte eine kleine Schüssel für die Stippe eingelassen war. Bei festerer Konsistenz eigneten sich Grützklöße auch als Suppeneinlagen.

Auch aus Graupen, einem Nährmittel aus geschälten, polierten Gersten- oder Weizenkörnern, wurde Grütze bereitet. Preiswerter und etwas weniger nahrhaft war Grütze aus Buchweizen, einem Knöterichgewächs, das auf kargen Böden gedeiht und dessen Bedeutung als Nahrungslieferant mit dem zunehmenden Anbau von Kartoffeln verloren ging. Wie Grütze wurden auch getrocknete Hülsenfrüchte, etwa Bohnen oder Erbsen, lange gegart und ergaben dann – gerne mit Speck angereichert – nahrhafte Brei- und Eintopfgerichte. All diese Sättigungsgerichte wurden auf der offenen Feuerstelle im Grapen zubereitet, was ständiges Rühren über dem rauchenden Feuer erforderlich machte. Die Verbreitung des Kartoffelanbaus und der Kartoffelgerichte war regional verschieden und in Schleswig-Holstein etwas später als in anderen Ländern Deutschlands. Die aus Südamerika eingeführte Pflanze war seit Mitte des 18. Jahrhunderts massiv in deutschen Ländern propagiert worden und setzte sich erst Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Schleswig-Holstein durch.

Anfänge dieser Ernährungsweise lassen sich in alten Kochbüchern nachvollziehen: So findet sich im »Niedersächsischen Kochbuch« von 1781 des Stadtkochs in Itzehoe Marcus Loofft unter 710 verschiedenen Kochrezepten nur eine einzige Anleitung zur Zubereitung der »Erdäpfel«, und in Friedrich Bechtholds »Neuem niedersächsischen Kochbuch …« der »jetzt üblichen Gerichte« von 1807 waren unter den angegebenen 790 Rezepten nur knapp zehn Kochanleitungen unter Verwendung von Kartoffeln. Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie bereits weit verbreitet. Galt die Kartoffel anfangs als exotische Luxusspeise, entwickelte sich die Knolle, die auf kargen Böden gut gedieh, mit zu nehmendem Massenanbau zur »Arme-Leute-Speise«, da sie preiswert und sättigend war. Sie wurde wie Gemüse mit Wasser oder Brühe gekocht oder als Brei gegessen. Es gab sie auch als Bratkartoffeln in Speck oder gesäuert und mit Öl als Salat. Die Zubereitung von Kartoffeln als Sättigungsbeilage zu Fleischgerichten mit Soße erfolgte erst mit der Speisendiversifizierung der bürgerlichen Küche in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.

© Ingo Wandmacher

Wichtig für die Kartoffelernährung war eine fachgerechte Einlagerung der Ernte im Winter, waren die Knollen doch wesentlich empfindlicher als Körner oder Mahlgut für die Grützen. Der Ernährungswandel mit der Ablösung der als bäuerlich und hinterwäldlerisch geltenden Grütz- und Breikost beeinflusste auch den Verbrauch von Brot: Wurde es im 18. Jahrhundert in Norddeutschland noch vorwiegend als Beikost gegessen, kamen ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den Städten kalte Brotmahlzeiten insbesondere am Morgen – und zwar in Verbindung mit dem sich verbreitenden Kaffee oder Ersatzkaffee als Morgengetränk – sowie am Abend auf, während mittags ein warmes Essen üblich wurde. Das Brot war ein Nahrungsmittel, das schnell und ohne weitere Zubereitung in der Küche verzehrt werden konnte. Es setzte sich vielfach dort durch, wo wenig Geld und Zeit für aufwendige Küchenarbeit vorhanden war.

Und es war mobil, wer außer Haus arbeitete und dort keine weitere Verpflegung erhielt, aß Brot. Die Güte der Brotmahlzeiten hing weitgehend vom Belag ab, der etwa aus Fett wie Butter, Schmalz und später Margarine sowie Käse, Wurst und anderen Auflagen bestand. Wichtigste Quelle für die Einführung der bürgerlichen Esskultur auch in Kiel sind entsprechende Kochbücher, die nicht belegen, was wirklich gegessen wurde, sondern nur was gegessen werden sollte und was zum Trend wurde. Für die Hausfrau wurden darin Menüabfolgen oder Beispiele wöchentlicher Speisepläne angegeben. Die in den Kochbüchern aufgeführte Reichhaltigkeit der Speisen entsprach selbst in den bürgerlichen Küchen nur selten der Realität und war weit von dem entfernt, was in einfachen Haushalten gekocht wurde, wo weder Geldbeutel noch Kücheneinrichtung aufwendige Zubereitungen zuließen.

Die Kochbücher orientierten sich in der Mitte des Jahrhunderts noch weitgehend an der höfisch französischen Küche, auch wenn sie vermeintlich »einfache Speisen« propagierten. Die Krönung der Kochkunst war die Zubereitung des Fleisches, auf das viel Aufmerksamkeit gerichtet wurde: Rind, Schwein, Lamm, Wild und Geflügel gebraten in der Pfanne oder im Ofen oder lange geschmort im Kessel.

Unzählige Fleischgerichte wurden in den Kochbüchern angeboten. Der Fleischkonsum wurde bald zum Gradmesser des Wohlstandes; seiner Bedeutung entsprechend wurde er vor allem sonntags als Braten zelebriert, an den Folgetagen gab es Reste als Ragout. Einfache Fleischstücke, Fett oder auch nur Knochen bildeten die Grundlage von Brühe oder Suppe. Kaltes Fleisch als Aufschnitt, etwa Schinken oder Wurst, kamen erst gegen Ende des Jahrhunderts stark in Mode, ebenfalls Brüh- oder Bratwurst.

Eiweißreiche fleischhaltige Ernährung galt als besonders wichtig bei harter körperlicher Arbeit. So wurde Männern oft ein höherer Fleischkonsum zugestanden; entsprechend bildete der Fleischverzehr die Familienhierarchie bei Tisch ab, wo der Hausherr das beste Stück bekam. Der hohe Prestigewert der Fleischernährung hielt sich bis weit ins 20. Jahrhundert und verstärkte sich immer besonders in der Folge von Notzeiten wie im Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Fleischkonsum galt zu allen Zeiten als Wohlstandsmarker. Fisch wurde allgemein viel seltener gegessen als Fleisch, das galt auch für Kiel, obwohl die Ellerbeker Fischfrauen täglich ihre Ware am Bootshafen feilboten. Er war ein schnell verderbliches Lebensmittel und wurde oft nur aus religiösen Gründen, z. B. als Fastenspeise, gegessen – so war traditionell freitags Fischtag. Gerichte aus Frischfisch wurden in der bürgerlichen Küche zumeist aus Süßwasserfisch – Hecht, Karpfen, Schleie, manchmal auch Aal – bereitet, an den Küsten wurden gelegentlich auch Dorsch, Makrele, Hering und anderer Seefisch der Saison aus der ortsansässigen Fischerei verzehrt.

Im Binnenland dagegen kannte man frischen Seefisch kaum, gegessen wurde allenfalls konservierter Fisch: geräuchert, getrocknet, gesalzen oder gesäuert bzw. mariniert. Stockfisch oder die lange haltbaren Salzheringe waren schon im Mittelalter wichtige Handelsprodukte und galten noch lange als Arme-Leute-Speise. Auch andere »Meeresfrüchte« sind gelegentlich in historischen Kochbüchern aufgeführt, etwa Muscheln. Sie wurden in Kiel oft gegessen, ließen sie sich doch einfach von den Brücken und Dalben im Hafen sammeln.

Wo sich allmählich die bürgerliche Küche durchsetzte, wurden größere Mahlzeiten bestehend aus Fleisch (selten auch Fisch) mit einer Beilage – in der Regel Kartoffeln, selten Reis oder Nudeln – und Gemüse oder in Form von Eintöpfen und Suppen gegessen. Dabei war die Kombination aus Fleisch mit Kohl und anderem Dauergemüse oder Hülsenfrüchten noch lange Zeit viel häufiger in den Rezeptbüchern zu finden als frisches Gemüse und die sogenannten Feingemüse, denn sie waren nicht lagerfähig und wurden nur saisonabhängig gegessen. Die Speise zutaten der aufkommenden bürgerlichen Küche waren ansonsten ausgesprochen vielfältig: Eier, Milch, Mehl, Butter, Schmalz sorgten für eine sehr nahrhafte Zubereitung von Soßen sowie von Mehl- und Süßspeisen, bei denen oftmals auch Dörrobst und Rosinen zum Einsatz kamen, während frisches Obst nur selten auf dem Speiseplan stand. Breite Bevölkerungskreise kannten jedoch nur eine sehr einfache, aus den bürgerlichen Speiseplänen ab gewandelte Kost. Das gesellschaftliche Gefälle bildete sich stark in der Ernährung ab, insbesondere in Phasen hoher Lebensmittelpreise; diese waren im 19. Jahrhundert auf Grund von Konjunkturen und Erntemengen immer stark schwankend. So blieb die bürgerliche Küche für viele nur ein Ideal, allerdings eines mit starker mentaler Wirkung.

© Ingo Wandmacher


Küche und Küchengerät: Techniken der Nahrungszubereitung


Wichtigstes Gerät für die häusliche Speisenzubereitung ist der Küchenherd. Er ist zugleich zentrales Element jeder Wohnbehausung; in Steuer- und Abgabelisten wurde ein Haushalt über das Vorhandensein einer eigenen Herdstelle definiert. In den städtischen Häusern handelte es sich im ausgehenden 18. Jahrhundert in der Regel noch um auf dem gewachsenen Boden aufgemauerte Feuer stellen im Keller oder Erdgeschoss mit einem darüber befindlichen Rauchabzug durch den Kamin. Ge feuert wurde mit Holz, das stets in der Küche bereit lag. Trotz des Abzugs durch den Kamin war die Küche immer mit Rauch erfüllt und vom Ruß des Feuers geschwärzt. Küchenhygiene war hier kaum möglich, zumal es in der Regel kein fließendes Wasser gab.


Solche Kücheneinrichtungen und Herde waren jedoch in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits veraltet und wurden allmählich von den modernen »Kochmaschinen« abgelöst. Für Kiel ist eine solche Herdstelle im Warleberger Hof aus der Zeit, als hier noch adelige Familien lebten, überliefert – ein seltenes Zeugnis norddeutscher Küchengeschichte. Allerdings verraten ältere Grundrisse, dass die Küche zeitweilig in einem anderen Kellerraum untergebracht war. Eine Besonderheit der Küche im Warleberger Hof ist der Brunnen, der mit hölzernen sogenannten Pfeifenrohren an die Wasserleitung vom Schreventeich zum Schloss angeschlossen ist.


Gekocht wurde auf solchen alten Herden mit offenem Feuer, über dem an einem Haken ein Kessel zum Erwärmen von Wasser oder ein eiserner Grapen für Suppe oder Brei hing. Für kleinere Gerichte wurden Töpfe oder Pfannen auf einem schmiedeeisernen Dreibein über das Feuer gestellt, rundbödige Tongefäße mit drei Standfüßen stellte man auch direkt in die Glut. Breigerichte oder Eintöpfe mussten wegen der schlecht zu regulierenden Hitze ständig gerührt werden. Das seltene Braten von Fleisch erfolgte an drehbar gelagerten Bratspießen über dem Feuer. Die Ausstattung an Kochgeschirr umfasste eiserne oder kupferne Pfannen, Kessel, Kannen und Töpfe sowie Grapen und Stieltöpfe aus Irdenware. Die Möglichkeiten des Backens im Privathaushalt beschränkten sich weitgehend auf Fettgesottenes in der Pfanne oder Waffeln mit Hilfe von langstieligen geschmiedeten Waffeleisen, die in die Glut gelegt wurden.


Bereits Anfang des Jahrhunderts wurden in den Städten zunehmend – zumindest in großen Küchen – die Herde zur besseren und gezielten Brennstoffausnutzung technisch aufgerüstet, etwa Züge eingebaut und der Feuerungsraum mit Rosten abgetrennt. Seit den 1870er Jahren wurde in Kochanleitungen und Haushaltsbüchern die Benutzung von geschlossenen eisernen Herden empfohlen. Sie wurden wegen ihrer Feuerungsluken und der eisernen Herdplatte auch als »Kochmaschinen« bezeichnet. Mit diesem Gerät war erstmals verhältnismäßig sauberes, rauchfreies Arbeiten in der Küche möglich sowie ein gezielteres Garen der Speisen in extra dafür geeigneten Töpfen.

Auf der eisernen Herdplatte mit mehreren Kochstellen war es nun möglich, zugleich mehrere Speisen oder Beilagen separat zu garen – eine Grundvoraussetzung für die moderne bürgerliche Küche. Eine besondere und noch lange Zeit seltene Neuerung war das Kochen mit Gas: 1856 war in Kiel eine Gasanstalt eingerichtet worden, doch bis Anfang des 20. Jahrhunderts blieb diese Technik in der Küche weitgehend unbedeutend.


Je nach sozialer Stellung waren die Küchen teilweise sehr dürftig oder eher großzügig ausgestattet: In wohlhabenden Haushaltungen waren umfangreiche Kochgeschirre aus Kupfer, manchmal auch aus Messing, üblich. Zur Vorbereitung und Verarbeitung der Lebensmittel nutzte man traditionell Holzbretter sowie irdene Schüsseln zum Einlegen, außerdem als Kochbesteck hölzerne Löffel, Messer, Hackbeile, Gabeln, Spieße, Reiben und Hobel, Quirle, Mörser. Sie wurden griffbereit in Wandborden aufbewahrt. Schüsseln und Teller standen in Tellerborden. Gearbeitet wurde an Holztischen, zur weiteren Küchenausstattung zählte in der Regel eine Wasserbank zum Abstellen der Eimer mit Wasser aus dem Brunnen, eine Kleinholzkiste mit Brennmaterial zum Anfeuern des Herdes sowie gelegentlich andere Spezialgeräte etwa ein Haublock für Fleisch oder ein Trockenreck zum Abtropfen des Abwaschs.


Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts kamen mit der besseren Eisengusstechnik allmählich auch neue mechanische Küchengeräte auf den Markt, etwa Fleisch- und Brotschneidemaschinen oder Waagen. Solche Waren lieferte in Schleswig-Holstein vornehmlich die Carlshütte in Rendsburg, zu deren Sortiment auch Herde, Töpfe und anderes gusseisernes Geschirr zählten ebenso wie zahlreiche kleinere Guss- und Eisenwarenfabriken in den Herzogtümern.


Zur Lebensmittelverarbeitung in der Küche gehörte neben der Zubereitung der Speisen auch die Konservierung der Nahrungsmittel, die oft in unbehandeltem Zustand aus dem Handel kamen und so nicht lagerfähig waren. Ihre Konservierfähigkeit war von den Inhaltsstoffen und der Konsistenz abhängig: Milch- und Milchprodukte wurden meist gesäuert und entsprechend angedickt oder manchmal auch mit Salz konserviert; auch Fleisch und Fisch wurden eingesalzen, dies geschah jedoch meist nicht im Haushalt, sondern im professionellen Gewerbe. Gemüse wie Kohl wurde sauer vergoren, feineres Gemüse und Obst konnten gedörrt werden, selten wurden sie auch mit Zucker konserviert, süße Früchte ggf. auch eingekocht, etwa Pflaumenmus oder Sirup aus süßen Birnen. Körner und Hülsenfrüchte lagerten trocken in irdenen Gefäßen. Geräuchertes Fleisch und Wurst wurden ebenfalls trocken und fern von Ungeziefer aufgehängt.

Fleischgerichte ließen sich auch in mit Talg luftdicht verschlossenen Krügen für kürzere Zeit konservieren. Zucker, Salz und Gewürze wurden in der Küche weniger für die geschmackliche Abrundung der Speisen gebraucht, sondern vor allem zur Konservierung. Zur Lagerung der Lebensmittel war der Küche in der Regel eine separate Speisekammer angegliedert, die möglichst kühl und belüftet sein sollte.


Außerdem wurden Kartoffeln und Wurzelgemüse im Keller gelagert. Die Baulichkeiten und die Küchentechnik Anfang des 19. Jahrhunderts erlaubten nur eine sehr begrenzte Sauberkeit und Hygiene, die Verderblichkeit der Lebensmittel war hoch, Ungezieferplagen von Insekten bis zu Mäusen und Ratten an der Tagesordnung. Sie konnten nur durch ständiges Reinhalten der Küche eingedämmt werden. Grundsätzliche Abhilfe schafften erst die neuen, sauberen Herde und die modernen Kücheneinrichtungen, die sich Mitte des Jahrhunderts allmählich durchsetzten. Haus- und Küchenarbeit war die Domäne der Hausfrauen und ihrer im Haus lebenden Töchter sowie der Dienstmädchen. Lediglich in großen höfischen Haushaltungen oder in gewerblichen Küchen der Gastronomie arbeiteten ausgebildete Männer in Küchenberufen. Hausfrauliche Kenntnisse und Erfahrungen in der Speisenzubereitung wurden traditionell von Generation zu Generation weitergegeben, doch mit der Verfeinerung des bürgerlichen Lebensstils stieg der Anspruch an die private Küchenarbeit, und sie wurde zunehmend professionalisiert. Mit den neuen Lebensmitteln musste stets auch das Wissen um ihre Zubereitung erweitert werden. Daher kamen seit Mitte des 19. Jahrhunderts für das bürgerliche Publikum verfasste Kochbücher und Anleitungen für die Küchenarbeit auf.


Der dort dargelegte Kanon an hausfraulichen Aufgaben und Zubereitungsarten der Speisen war stark schematisiert und sorgte nicht zuletzt für eine Standardisierung der Küchenarbeit auf einem überregional gültigen Niveau. Die Kochbücher, die bald zum Aussteuergut bürgerlicher Mädchen gehörten, wirkten auch moralisierend in Hinblick auf die Wertschätzung der Hausfrauenarbeit: Im Vorwort des Kochbuchs für die Holsteinische Küche von 1842 schrieb die anonyme Autorin, »dass die Küche die Seele jeder wohlgeordneten Wirtschaft ist …, dass es auch ein Ruhm ist, die Kochkunst zu verstehen und sich ihr mit Fleiß zu widmen«. Und weiter heißt es, »dass die Küche der Spiegel des ganzen Hauses ist, dass, wenn hier Ordnung, Reinlichkeit und weise Sparsamkeit herrschen, diese schönen weiblichen Tugenden auch fast unbewusst in allen übrigen

Räumen ihrer Wohnung heimisch werden.« In den Ratgebern wurde stets auch der Zusammenhang zwischen Kochen und Familienglück formuliert und beschworen. Die Fähigkeit der Frau, dem Wunsch des Mannes beim Mittagstisch entgegenzukommen, wurde zum Garanten einer glücklichen Ehe erklärt.

© MMF Stadt Kiel


Tischkultur


Mit dem Wandel der Ernährung setzten sich auch neue Tischsitten und Speisekonventionen durch. Auch hierfür sind die Industrialisierung mit ihren neuen Produkten und die aufblühende bürgerliche Kultur mit ihrem auf die Familie bezogenen Wertekanon die Voraussetzungen und die treibenden Faktoren. Die neue Küchentechnik mit den eisernen Herden, die die Zubereitung einer vielfältigen Kost ermöglichte, brachte auch neue Verzehrgewohnheiten und eine aufwendige Tischkultur mit sich. Die traditionelle Art, die Speisen mit dem Löffel aus irdenen Schüsseln am Küchentisch zu essen, wurde abgelöst von bürgerlichen Gepflogenheiten: Zumindest sonntags wurde der Tisch in einer separaten Stube mit Platztellern und Besteck eingedeckt und die Speisen in Schüsseln aufgetragen. Dieser Wandel ging bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam und in den sozialen Gruppen sehr unterschiedlich vonstatten; er war nicht zuletzt vom Innovationsbedürfnis und den finanziellen Möglichkeiten Einzelner ab hängig.

Neue Geschirrformen kamen zunächst für die modischen Kolonialwaren und ihre speziellen Zubereitungsweisen auf, allen voran die Heißgetränke Kaffee, Tee und Kakao. Für ihren Genuss gab es spezielle Kannen und Tassen. Aber auch Alkoholisches mit kolonialem Ursprung war seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch im bürgerlichen Milieu sehr beliebt, etwa Bowlen, die aus exotischen Früchten bereitet wurden. Für all diese Luxuswaren wurden Gefäße und Geschirre gern aus edlen Materialien gefertigt; erst mit ihrer massenhaften Verbreitung in allen Kreisen gab es diese Geschirrformen auch in preiswerter keramischer Ausführung. Die biedermeierliche Tischkultur entwickelte sehr zahlreiche Sonderformen von Geschirren, darunter auch solche mit bildlichen Darstellungen oder Sinn- und Freundschaftssprüchen. Vorbilder für die gedeckte Tafel kamen aus der höfischen Kultur mit ihren repräsentativen Speisezeremoniellen und den kostbaren Porzellan- oder Fayencegeschirren des 18. Jahrhunderts.


Erst das Aufkommen des preis werten, industriell gefertigten Steingutgeschirrs ermöglichte auch weniger begüterten Familien eine neue Tischkultur. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts – mit Unterbrechung durch die Kontinentalsperre während der Napoleonischen Kriege – wurde es aus England nach Schleswig- Holstein eingeführt; vielfach brachten auch Seeleute das Staffordshire- oder Portlandgeschirr von ihren Fahrten mit nach Hause. Die mit einfarbigem Dekor in blau, rot, grün oder graubraun versehenen Keramiken ahmten mit Darstellungen von Blumen, Jagdszenen oder Chinoiserien höfisches Porzellan nach. In Deutschland entstand 1836 die Firma Villeroy & Boch, die bald zum Marktführer für industriell gefertigte Keramik waren wurde. Durch intensiven Handel verbreitete sich das neue Geschirr schnell.

Angeboten wurden Speiseservice mit Speiseteller, Suppenteller, Schüsseln und Terrinen, außerdem Frühstücks- und Kaffeeservice auch in Kiel. Silber war jahrhundertelang das bevorzugte Material für wertvolles Essbesteck. Bis ins 19. Jahrhundert wurde Silberbesteck in Handarbeit von Silberschmieden vor Ort hergestellt, belegt sind auch zahlreiche Bestecke aus Kieler Werkstätten. Die industrielle Herstellung von Essbesteck begann in Sheffield in Großbritannien. Seit dem 19. Jahrhundert konnten Bestecke auch durch das Verfahren der Galvanisierung versilbert werden. Um sie von den teuren massiven Stücken zu unterscheiden, führte man um 1850 eine entsprechende Stempelung ein. Für den Alltagstisch oder in einfachen Haushalten gab es auch weniger edle Bestecke aus minderwertigem Metall mit Holzgriff. Allgemein hatten Tafelgeschirr, Besteck und Tischwäsche einen hohen Prestigewert. Als geschätzter Teil der Aussteuer – je nach Größe des zukünftigen Haushaltes sollte die Braut sechs, acht, zwölf oder manchmal sogar 24 Sätze von Geschirr, Besteck und Tischwäsche einbringen – war es Anzeiger des sozialen Status der Braut und ihrer Familie.

Die gesamte Tischkultur war Spiegel gesellschaftlicher Hierarchien und strengen Regularien und Konventionen unterworfen. Nicht nur die Hausfrau musste die Kunst eines vorschriftsmäßig eingedeckten Tisches beherrschen, sondern auch die Tischgesellschaft hielt sich an strenge Benimmregeln. Formvollendete Umgangsformen bei Tisch galten als Eintrittskarte in gehobene gesellschaftliche Kreise. Private Diners und Soupers mit Gästen gehörten auch in Kiel zum gesellschaftlichen Leben und dienten der bürgerlichen Repräsentation, wie etwa die Lebenserinnerungen von Geert Seelig belegen. Die Tischsitten bildeten auch die innerfamiliäre Rangordnung mit der starken Autorität des Vaters und der dienenden Rolle der »Hausmutter« ab. Der Familienesstisch wurde nicht zuletzt zum Ort bürgerlicher Kindererziehung, wie das weit verbreitete Werk »Der Struwelpeter« des Frankfurter Arztes und Psychiaters Heinrich Hoffmann aus dem Jahr 1844 mit den beiden Geschichten vom Zappelphilipp und vom Suppenkasper eindringlich zeigt.

(Auszug aus dem Buch: „Kiel kocht. Lebensmittelversorgung, Ernährung und Esskultur im 19. Und 20. Jahrhundert.)

Doris Tillmann ist Museumsdirektorin (Kieler Stadtmuseum, Schifffahrtsmuseum) und Leiterin des Kieler Stadtarchivs.

© Dr. Doris Tillmann

 

 

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