Der dem Papier Leben einhaucht

Bremer Künstler Walter Ruffler entwirft mechanische Skulpturen
21. Dezember 2020

Ein Beitrag von Janet Binder

Ein fauchender Drache, ein rasender Motorradfahrer oder ein müder Abgeordneter: Der Bremer Künstler Walter Ruffler erweckt mit seinen mechanischen Skulpturen Papier zum Leben. Über eine Kurbel lassen sich die Figuren bewegen. Geliebt werden die Kunstwerke nicht nur in Deutschland.

An den Moment, als er zum ersten Mal um ein Autogramm gebeten wurde, kann sich Walter Ruffler noch genau erinnern. Es war vor 18 Jahren in London im Cabaret Mechanical Theatre, als er eine Ausstellung zu kinetischer Kunst besuchte – also mit Kunstobjekten, die sich bewegen. Da trat ein Geschäftsmann aus Japan auf den Besucher aus Bremen zu und rief erfreut: „Sie sind Walter Ruffler! Ich liebe Ihre Papiermaschinen.“ Der Japaner fragte nach einem Autogramm und bot an, Rufflers Bastelbögen für mechanische Papierskulpturen in Japan zu vertreiben. „Bereits im nächsten Jahr bestellte er 1200 meiner Bausätze, und die Geschäftsbeziehung bestand viele Jahre“, erzählt Ruffler.

Walter Ruffler mit seinem bekanntesten Modell: Der Volksvertreter. Mithilfe der Kurbel hebt er den Arm bei der Abstimmung im Parlament. © WFB/Jens Lehmkühler

Papierfiguren lassen sich über eine Kurbel bewegen

Walter Rufflers Kunst ist eine Besondere, denn wer ein Werk von ihm besitzen möchte, muss erst einmal zu Schere oder Cutter, Kleber und Lineal greifen. Bögen müssen ausgeschnitten, gefaltet und geklebt werden. Drei bis fünf Seiten umfassen seine Ausschneidebögen mit Anleitung. Die Bastlerinnen und Bastler benötigen Ausdauer: „Je nach Komplexität braucht man sechs bis sieben Stunden, Anfänger vielleicht noch etwas länger.“

Doch der Aufwand lohnt sich: Am Ende kommt ein fauchender Drache zum Vorschein, ein rasender Motorradfahrer mit Beifahrerin oder ein Angler mit Möwe auf dem Hut. Über einen Kurbelmechanismus lassen sich die Papierfiguren bewegen: Der Drache reißt sein Mal auf und schlägt mit den Flügeln, der Motorradfahrer rast über Stock und Stein, der Angler müht sich, einen Fisch an Land zu ziehen. Rund 60 Modelle hat Ruffler bereits entwickelt.


Der Volksvertreter fand sogar im „Spiegel“ eine Erwähnung

Seine bekannteste Papiermaschine ist der Volksvertreter. Der 71-Jährige holt ein Exemplar aus einem der dicht gefüllten Regale in seinem Atelier in Bremen-Hastedt hervor: Ein Abgeordneter sitzt an einem Pult, sein Kopf und seine Arme hängen herunter. Ruffler dreht an der seitlichen Kurbel am Sockel. „Jetzt geht es um die Abstimmung im Parlament“, erklärt der Künstler das Motiv während er weiterdreht. Der Parlamentarier schreckt auf, hebt einen Arm zögernd zur Abstimmung und lässt ihn danach wieder fallen, der Kopf sinkt auf die Brust: „Er hat abgestimmt und ist völlig fertig.“


Ruffler saß vier Jahre als Abgeordneter in der Bürgerschaft

Die Figur ist eine humorvolle Anspielung an seinen eigenen Ausflug in die Politik. Anfang der 1990er Jahre saß er für vier Jahre als Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft. Der „Volksvertreter“ schaffte es 2002 ins Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Dieser Abgeordnete ist sogar käuflich“, hieß es dort zweideutig – und weiter klarstellend: „für 7,50 Euro in ausgewählten Bastelbogen- oder Museumsshops“. Solche kleinen Dinge zum Schmunzeln gefallen Walter Ruffler. Inzwischen kostet der Bastelbogen 10 Euro.

Mit dem Motorradfahrer fing alles an: Es ist Walter Ruffler erste Papiermaschine. Die Beifahrerin kam erst später dazu. © WFB/Jens Lehmkühler

Von den Geisteswissenschaften über den Berufsschullehrer zum Künstler

Bevor Ruffler hauptberuflich Künstler wurde, arbeitete er als Berufsschullehrer in der Erwachsenenbildung. Angehenden Maschinenschlossern und Industriemechanikern lehrte er technisches Zeichnen. Das ist deshalb ungewöhnlich, weil er eigentlich Geisteswissenschaften studiert hat. Für Ruffler aber war es ein Glücksfall, in dem Bereich gelandet zu sein. Das für den Job erworbene technische Wissen half ihm, als er sein erstes mechanisches Papiermodell entwarf.

Einen Hang zu kunstvollen Basteleien hatte er schon immer. „Ich habe als Kind schon ganz viele Figuren aus Knetgummi gemacht. Ich hatte viel Phantasie.“ Als er älter wurde, baute er Schiffsmodelle aus fertigen Bastelbögen. Er besuchte Ausstellungen von beweglichen, maschinenähnlichen Skulpturen und begeisterte sich für den Schweizer Künstler Jean Tinguely, der zusammen mit seiner Ehefrau, der Künstlerin Niki de Saint Phalle, mechanische Kunstwerke erschuf. „Tinguelys Spezialität war es, völlig unnütze Maschinen zu bauen.“ So etwas wollte er auch – aber aus Papier.


Bastelbögen können im Bremer Schnoor gekauft werden

Rufflers erster Versuch war ein Motorradfahrer. „Damals noch ohne Sozius.“ Er bastelte so lange an seinem Entwurf, bis er zufrieden war, ihn drucken ließ und sich traute, es im Spezialgeschäft für Papiermodelle und Bastelbögen aus aller Welt im Bremer Schnoor anzubieten. „Nach drei Tagen hat der damalige Besitzer Fritz König mich angerufen und gesagt, er habe die Bastelbögen schon verkauft. Nun brauche er neue.“ Den Laden gibt es heute noch, Rufflers Modelle können dort nach wie vor erworben werden. Den Motorradfahrer entwickelte er weiter, inzwischen hat er eine Beifahrerin bekommen.


Rufflers Modelle werden auch in Ausstellungen gezeigt

Bundesweit sind Rufflers Ausschneidebögen in Museumsshops und Bastelläden zu finden. Er vergab Lizenzverträge nach Taiwan, wo seine mechanischen Skulpturen als Holzbausatz angeboten werden, er fand einen Vertriebsweg in die USA und spürte in Portugal einen Mann auf, der ein Modell von ihm plagiiert hatte. Regelmäßig stellt Ruffler auch auf Ausstelllungen aus, er war schon im Schwedenspeicher-Museum in Stade und im Südtiroler Bergbaumuseum in Steinhaus. Für eine Schau in Verden baute er einmal ein 2,5 Meter großes, bewegliches Modell eines Weihnachtsmannes. „Er saß auf einer Kiste und konnte den Kopf hin und her drehen“, berichtet Ruffler.


Atelier dient auch als Showroom für Sammelobjekte

Normalerweise sind seine Modelle rund 25 Zentimeter groß. Ruffler hat fast alle seine Werke in seinem Atelier ausgestellt. Dazu gesellen sich in den Regalen die Arbeiten anderer Bastler und Künstler. Weil er sich für historisches Spielzeug begeistern kann und gerne sammelt, sind in dem 45 Quadratmeter großen Raum auch alte Playmobilmodelle, Burgen sowie Elastolinfiguren zu finden. Auf dem Boden zwischen den Regalen fährt eine Märklin-Eisenbahn. Manchmal kommt auch Besuch, so wie vor Jahren von dem inzwischen verstorbenen Bürgerschaftspräsidenten Christian Weber. Ein Autogramm wollte Weber allerdings nicht. Dafür hat Ruffler den Besuch mit Fotos in einem Album verewigt.

Der Klavierspieler (links) und der Drachenlenker (Mitte): Im Atelier von Walter Ruffler stehen nicht nur seine eigenen Werke. © WFB/Jens Lehmkühler