Jens Mecklenburg

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Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern

Labskaus - Speise nicht nur für derbe Männer
15. Juli 2020

Der Name ist Pro­gramm: Labskaus ist eine hand­feste Ange­le­gen­heit, abge­lei­tet vom Seemannsenglischen „lobs“ für der­ber Kerl und „course“ für Mahl­zeit. Über das nor­we­gi­sche lapskaus (gesal­ze­ner Kabel­jau mit Kar­tof­feln) kam der Name in den nord­deut­schen Sprach­ge­brauch. Tat­säch­lich fin­det sich der nahr­hafte Kar­tof­fel­brei mit gepö­kel­tem Fleisch über­all da, wo es Häfen, Seemän­ner und die Hanse gab. 

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Maritimer Eintopf

Bis heute preisen Ham­burg, Bre­men und Schleswig-Holstein Labskaus als regionale Spezialität und tou­ris­ti­sche Attrak­tion, und auch die Stadt Liver­pool rühmt sich ihres Liver­pool Scouse, eines Ein­topfs aus geschmor­tem Lamm– oder Ham­mel­fleisch, der mit Möh­ren, Roter Bete und reich­lich Kar­tof­feln in den ört­li­chen Pubs gereicht wird. In North Wales löf­feln die Men­schen gerne einen ähn­li­chen Ein­topf, lie­be­voll Lobby genannt. In Nor­we­gen, Schwe­den und Däne­mark – wo der Skip­perl­abs­kovs natür­lich als Smør­re­brød gereicht wird – ist das Gericht in Abwand­lun­gen bekannt, gerne auch als gemisch­ter Wochen­rück­blick (Reste der Woche), über den ein gnä­di­ges Deck­män­tel­chen aus Kar­tof­fel­pü­ree aus­ge­brei­tet wird. Rekord­hal­ter im Labskaus­-Essen sind aber wir Norddeut­schen: Das größte Labskaus-Essen der Welt fin­det all­jähr­lich in Wil­helms­ha­ven statt, wo örtliche Gas­tro­no­men, das dor­tige Mari­ne­stütz­punkt­kom­mando sowie die Köche des Kata­stro­phen­schut­zes insgesamt gut10.000 Por­tio­nen Labskaus an einem Tag ausgaben.


Kartoffelstampf

Die Rezep­tur, wohl erst­mals 1701 erwähnt, star­tete beschei­den als Kartoffel­stampf mit Pökel­fleisch, Zwie­beln und Speck. Das klas­si­sche deut­sche Labskaus der Segel­schif­ffahrts­zeit ist an Nie­der­elbe, Nord- und Ost­see, sowie im nörd­li­chen Nie­der­sach­sen zu Hause.

Haupt­be­stand­teile sind gekoch­tes, gepö­kel­tes Rind­fleisch und gekochte Kar­tof­feln, die durch den Fleisch­wolf gedreht, mit Zwie­beln und Brühe in einer Pfanne cre­mig­ ge­rührt wer­den. Einst sorgte nur das Pökel­fleisch für die cha­rak­te­ris­ti­sche, röt­li­che Farbe, in neu­zeit­li­chen Rezep­ten färbt auch die gekochte Rote Bete kräf­tig, die mit ein­ge­leg­ten Gur­ken, Herin­gen, Roll­möp­sen oder Mat­jes­fi­let zusätz­lich als Bei­lage gereicht wird. In See­manns­krei­sen setzte sich das Essen bald durch, weil gepö­kel­tes Fleisch, Kar­tof­feln, ein­ge­leg­tes Gemüse und gesal­zene Heringe auf den Segelschiffen lange unge­kühlt halt­bar, ein­fach zuzu­be­rei­ten und sehr nahr­haft waren. Und die Eier lie­ferte das an Bord mit­ge­führte Feder­vieh; nach Land­gän­gen wur­den auch schon mal frisch geräu­berte Möweneier in die Pfanne gehauen.


Seemannsgarn

Nach einer Theorie ist das Labskaus entstanden, als es dem Smutje in seiner Kombüse bei schwerem Sturm nicht mehr möglich war, etwas Vernünftiges zu kochen. Also nahm er alles was er finden konnte und mixte es zu einem herzhaften Brei, der so gut in der Schüssel, auf dem Teller oder an den Löffeln klebte, dass man ihn auch noch bei hohem Wellengang verzehren konnte.

Ein etwas respektloser Matrosenspruch lautete: „Alles, was der Seemann im Laufe der letzten Woche verloren hat, findet sich im Labskaus wieder“.

Um den Fisch mach­ten die Matro­sen früher meist einen gro­ßen Bogen. Alles was nach Fisch schmeckte, war nach Mona­ten auf See verständlicher Weise höchst unbe­liebt. Wehe dem Smutje, der den Fisch heim­lich ins Püree häck­selte. Auch heute und an Land gilt darum wei­ter­hin: Fisch immer an den Tel­ler­rand legen – Labskaus ist in ers­ter Linie ein Fleischgericht.

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Sollte man Labskaus modernisieren?

Eine neue Ent­wick­lung im Zusam­men­hang mit Labskaus soll hier nicht unter die Schiffs­plan­ken gekehrt werden. Eine Entwicklung, die die Gemüter der Norddeutschen erhitzt. Es stehen sich bei der Auseinandersetzung Traditionalisten und Erneuerer unversöhnlich gegenüber. Immer öfter ver­su­chen ambi­tio­nierte Köche – sogar norddeutscher Abstam­mung – Labskaus – die Traditionalisten sagen zwanghaft – zu moder­ni­sie­ren, um das See­mann­ses­sen auch für Feinschmecker und junge Menschen salon­fä­hig zu machen. Da wird Kar­tof­fel­creme mit japa­ni­schem Meer­ret­tich geschärft oder getrüf­fel­tes Kar­tof­fel­pü­ree mit Kalb­sta­fel­spitz ange­rich­tet und mit Belug­akaviar und Wach­tel­spie­ge­lei vermählt. Von Traditionalisten hört man über solche Kreationen: Da würden selbst die derbs­ten Kerle zu weinen anfangen. Nun: Labskaus ist und bleibt Geschmackssache.

Labskaus-Gedicht eines unbekannten Seemanns

Was wäre am Ende, lieber Gott,

die ganze Seefahrt wert,

ständ nicht zuweilen so ein Pott

mit Labskaus auf dem Herd.

Und fragt man einen Seemann mal,

ob Labskaus oder Kuß,

ruft er: „Hier gibt es keine Wahl,

ich bin für beides, Schluß!

Das Gedicht mag nicht die lyrische Klasse von Goethe, Schiller und Heine haben. Aber es zeigt uns die Leidenschaft des Seemanns für Labskaus und Küsse. Warum sollte er wählen? Kuss und Labskaus sind für den unbekannten Seemann nicht voneinander zu trennen, verschmelzen, sind Eins. Labskaus und Erotik – ein noch zu wenig beachteter Aspekt der internationalen Labskaus-Forschung.

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