Jens Mecklenburg

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Bürger-Aktien für eine Agrarwende vom Acker bis zum Teller

Interview mit Ulf Schönheim und Malte Bombien, Vorstände der Regionalwert AG Hamburg
23. Februar 2021

Die Regionalwert AG Hamburg setzt sich für eine nachhaltige Agrarwende vom Acker bis zum Teller ein. Dafür gibt sie Bürger-Aktien aus. Wir sprachen mit den Vorständen Malte Bombien und Ulf Schönheim über Hintergründe, Ziele und die aktuelle Aktienausgabe.

V.l.: Ulf Schönheim, Tobias Carstens und Malte Bombien ©Regionalwert /Uta Gleiser Photograph

Für eine enkeltaugliche Landwirtschaft

Wann und mit welcher Zielsetzung hat sich die Regionalwert AG Hamburg gegründet?

Malte Bombien: Wir wollen die Agrarwende im Norden selber machen – und zwar vom Acker bis zum Teller. Die Landwirte sollen raus aus der Situation, dass sie einfach die Preise schlucken müssen, die ihnen der Markt vorgibt. Und das muss auf einem Boden geschehen, der ökologisch, sozial und regionalökonomisch tragfähig ist.

Ulf Schönheim: Genau. Uns geht es nicht nur um einen einzelnen Bereich, etwa nur um Landwirtschaft, nur um Hofnachfolge oder Flächenkauf. Wenn wir eine Agrarwende wollen – und rund zwei Drittel der Bevölkerung wollen sie, sagt eine Studie des Bundesumweltamts – dann muss man die gesamte Produktionskette einbeziehen. Eben vom Acker bis zum Teller, genau wie Malte sagt. Damit wir uns in 30, 40 oder 50 Jahren noch vernünftig ernähren können, von Betrieben, die verantwortlich wirtschaften und für gute Lebensmittel sorgen. Und natürlich für Arbeitsplätze im ländlichen Raum! Wir nennen das gern einfach „enkeltauglich“. 


Welche Vorhaben werden durch die Aktien gefördert?

Bombien: Eins vorweg – wir „fördern“ nicht im Sinne einer Spende oder einer Zuwendung. Sondern wir beteiligen uns an Betrieben der Land- und Lebensmittelwirtschaft der Region. Und zwar mit Eigenkapital. Das heißt, wir werden immer Miteigentümer der Betriebe, gewissermaßen.

Schönheim: Für die Betriebe hat das den Vorteil, dass sie unsere Beteiligung nicht zurückzahlen müssen– anders als bei Darlehen. Sie können langfristig mit dem Geld kalkulieren. Und werden durch unsere Beteiligung zum Teil erst kreditfähig, etwa wenn es um junge Betriebe geht, die noch keine Geschäftszahlen vorweisen können oder kaum Sicherheiten haben. Bei einer Bank kommt man damit nicht weit.

Bombien: Bedingung für unsere Beteiligung ist, dass der Betrieb seinen Sitz in unserer Region hat. Sie umfasst Schleswig-Holstein, Hamburg, das nördliche Niedersachsen und das westliche Mecklenburg. Außerdem muss der Betrieb natürlich mit Landwirtschaft oder Lebensmitteln zu tun haben – Verarbeitung, Handel, Gastronomie. Und der Betrieb muss bereit sein, auf Bio umzustellen, innerhalb von vier Jahren. 

Schönheim: Und der Betrieb verpflichtet sich, mit anderen Partnerbetrieben im Regionalwert-Netzwerk zusammenzuarbeiten. Natürlich nicht mit allen – wir haben ja schon mehr als 50. Aber je mehr, desto besser. Das hat sich gerade in Corona-Zeiten bewährt: Mehrere Partner haben in Lichtgeschwindigkeit neue Produkte oder Leistungen auf den Markt gebracht, um ihre Betriebe zu stabilisieren. Etwa die NoShowShoup vom Bio-Restaurant „Zur Erholung“ in Uetersen. Oder die Liekedeeler-Kiste, die in Hamburg den Menschen die Produkte nach Hause bringt. Oder die Weihnachtskooperationen, die wir in unserem Newsletter auflisten. 

Bombien: Oder natürlich die intensive Zusammenarbeit mit der Hamburger Hobenköök, etwa beim neuen Online-Shop. Dort kann sich jede und jeder Lebensmittel von Regionalwert-Partnern bestellen. Das ist übrigens die häufigste Frage, die wir von den Aktionärinnen und Aktionären bekommen: Wo kann ich die Produkte kaufen?

Ulf Schönheim vor der Hobenköök. ©Regionalwert/ Uta Gleiser Photography

Gutes Stichwort. Wie viele BürgerInnen haben sich denn bisher beteiligt? Und was haben sie davon?

Schönheim: Wir haben derzeit 1.200 Aktionärinnen und Aktionäre, die allermeisten davon Menschen aus unserer Region. Aber auch Firmen und Stiftungen sind dabei, größte Einzelaktionärin ist zum Beispiel die Umweltstiftung Greenpeace. Unsere fünfte Aktienausgabe ist sehr gut angelaufen, rund 270.000 Euro waren nach vier Wochen schon gezeichnet.

Bombien: Und was die Menschen davon haben? Sie werden Teil einer Bewegung und tun ihrer Region etwas Gutes! Und natürlich sich selbst. Denn als Aktionärin oder Aktionär gehören mir die Betriebe ja ein kleines Stückchen mit. Dadurch habe ich ein großes Interesse daran, mehr von ihnen zu erfahren und ihre Produkte zu kaufen. Und je mehr das tun, desto besser funktioniert‘s! Man muss nicht mehr passiv zu Hause sitzen und sich Sorgen machen. Sondern kann aktiv gestalten und sich informieren. Das bringt Spaß! 


Können Sie an einem Beispiel erläutern, was konkret unterstützt wurde und was der Betrieb davon hat? 

Bombien: Nehmen wir den Waldhof Zydek aus Hüsby bei Schleswig. Elena und Nils, zwei junge Leute, haben ihn 2018 von einem Altbauern übernommen. Ihm war lange nicht klar, ob der Betrieb nach ihm noch weiterlaufen wird, er hat deshalb nur das Nötigste auf dem Hof gemacht. Mit unserer Investition im Jahr 2019 konnten Elena und Nils den Investitionsstau auflösen, der dadurch entstanden ist: Die Kälber freuen sich über einen neuen luftigen Stall, die Milchkühe über eine „neue gebrauchte“ Melkanlage und der Bauer über einen Radlader, der zuverlässig läuft.

Schönheim: Dazu haben die beiden eine Heimat in unserem Netzwerk! Wenn es mal eine Frage gibt, können sie kurz in unseren Verteilern nachfragen. Und die Kontakte zu den Aktionärinnen und Aktionären mit vielen positiven Rückmeldungen und zu Vermarktern wie der Hobenköök tun einfach gut. Zwischen den Lockdowns haben sie dort zum Beispiel Nose-to-Tail-Abende gemacht, bei denen ein ganzes Rind verarbeitet und zubereitet wurde. So geht Kooperation und Transparenz!


Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie?

Schönheim: Langfristig wollen wir natürlich wachsen – und uns gleichzeitig weiter regionalisieren. Je mehr Partner wir haben und je mehr Vermarktungsmöglichkeiten, desto geringer können die Distanzen zwischen den Betrieben sein, die kooperieren. Und natürlich zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Bombien: Genau. Und: Dass viele Betriebe und viele Menschen in unserer Region sagen: Geil, da muss ich unbedingt mitmachen! 

Malte Bombien ©Regionalwert / Uta Gleiser Photography


Welche Projekte sollen von der jetzigen Aktienausgabe unterstützt werden?

Bombien: Das können wir erst genauer sagen, wenn wir wissen, wie viel Geld wir einsammeln. Wir würden aber gern weitere junge Landwirtinnen und Landwirte unterstützen wie die Zydeks oder wie zuletzt Tobias Carstens von Carstens Highlands und die Vermarktungswege stärken. 


Wie kann ich als Bürger/Bürgerin die Aktion unterstützen, welche Summe muss ich für eine Aktie ausgeben, wie lange läuft die Aktienausgabe noch?

Schönheim: Die Aktienausgabe läuft bis Mitte April 2021 – oder bis alle Aktien verkauft sind. Insgesamt können wir knapp eine Million Euro einsammeln. Eine Aktie kostet 550 Euro. Und wer sich keine Aktien leisten kann, der kann uns unterstützen, indem er von uns weitererzählt. Oder natürlich bei den Regionalwert-Partnern einkauft.


Gibt es andere Möglichkeiten die Regionalwert AG Hamburg zu unterstützen? 

Bombien: Ja, seit letztem Jahr haben wir ein gemeinnütziges Beiboot, die Regionalwert Stiftung Hamburg. Dorthin kann man ab 100 Euro spenden. Mit den Spenden können wir dann gemeinnützige Arbeit in unserem Netzwerk fördern. Oder man kann auch einen ganzen Betrieb einbringen, um dessen Fortbestand wir uns dann kümmern. Erste Gespräche dazu laufen bereits.


Das Interview führte Jens Mecklenburg für Nordische Esskultur.


Über Malte Bombien & Ulf Schönheim

Malte Bombien, Jahrgang 1975, ist Diplom-Agraringenieur, Landtechnik-Sachverständiger und Nebenerwerbslandwirt. Er verfügt über ein breites landwirtschaftliches Know-how. Bei der Regionalwert AG Hamburg kümmert er sich insbesondere um landwirtschaftliche und finanzielle Themen. Malte lebt auf einem Hof nördlich von Kiel, wo er etwas Landwirtschaft betreibt. Wenn er nicht in Regionalwert-Dingen unterwegs oder bei seinen Tieren ist, trifft man ihn beim Windsurfen oder beim Holzmachen.


Ulf Schönheim, Jahrgang 1971, ist Kommunikationsfachmann und Diplom-Soziologe. Er hat langjährige Erfahrung in der Finanzbranche. Bei der Regionalwert AG Hamburg ist er zuständig für Lebensmittelverarbeiter, Händler und Gastronomen – und für alles rund um Kommunikation und Aktienausgaben. Ulf ist in Schleswig-Holstein aufgewachsen und lebt mit zwei Töchtern in der Winsener Elbmarsch. In seiner Freizeit fährt er Rad, schwimmt, kocht oder imkert ein bisschen.

Über die Regionalwert AG

Die Regionalwert AG Hamburg ist eine Bürger-Aktiengesellschaft für Schleswig-Holstein, das westliche Mecklenburg und die Metropolregion Hamburg. Ihr Ziel: eine enkeltaugliche Land- und Lebensmittelwirtschaft.

Dafür gibt die Regionalwert AG Hamburg regelmäßig nicht börsennotierte Aktien an die Bürgerinnen und Bürger aus. Die Mittel investiert sie als Eigenkapital in Bauernhöfe, Lebensmittelhandwerker, Lebensmittelhändler und Gastronomiebetriebe. Weitere Betriebe schließen sich über einen Lizenzvertrag dem Regionalwert-Netzwerk an. Die Partnerbetriebe der Regionalwert AG Hamburg verpflichten sich auf ökologische und soziale Kriterien – und darauf, eng zusammenzuarbeiten und sich untereinander möglichst viele Erzeugnisse abzunehmen.

www.regionalwert-hamburg.de

 

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