„Wie wir alle wissen, hat Ralf Sotscheck Irland erfunden.“ F. W. Bernstein
Ralf Sotscheck ist bekannt als Irlandkorrespondent der TAZ und als Autor von Büchern über Land und Leute auf den britischen und irischen Inseln. Seine Bücher handeln immer eher allgemein von Sitte und Brauch und der politischen Lage; gerade sehr brisant in Nordirland nach dem Brexit, da zur Zeit mal wieder nachverhandelt werden soll – wo soll die Zollgrenze zwischen dem UK und der Republik Irland verlaufen, alle solche Fragen, die wir aus der Tagespresse kennen. Aber während dort immer wieder auf die Probleme hingewiesen wird, die bei der Versorgung des irischen Nordens mit englischen Würstchen entstehen, holt Ralf Sotscheck weiter aus und zeichnet die Entwicklung in Irlands Norden in den vergangenen hundert Jahren nach – seit die Insel nach dem irischen Unabhängigkeitskrieg geteilt wurde eben. Er erinnert daran, welche aus heutiger Sicht harmlosen Forderungen zu den bewaffneten Konflikten führten (allgemeines gleiches Stimmrecht, z.B.), er schildert Begegnungen mit Aktivisten aller Seiten, verliert bei allem aber auch die kulinarische Seite nicht aus dem Blick. So stellt er uns eine Fischerfamilie vor, die für den Brexit gestimmt hat und nun aus allen Wolken fällt, weil der EU-Binnenmarkt nicht mehr zur Verfügung steht. Eine Aalfischerin dagegen schaut hoffnungsvoll in die Zukunft, da Aale aus dem Lough Neagh europaweit als besondere Delikatesse gelten. Aal muss schwimmen, da ist es nur folgerichtig, dass der Autor an die legendären Destillen für Poitín erinnert, den schwarzgebrannten Schnaps, der unter anderem „Darmwürmer und Melancholie“ vertreiben soll (wie es in einem irischen Standardwerk zum Thema heißt). Auch heute blüht die Poitínherstellung, da kann Ralf Sotscheck uns beruhigen. Aber es wird immer mehr auch ganz legal gebrannt, Whiskey natürlich. Whiskey hinter Gittern, das klingt doch verlockend? Im berüchtigten ehemaligen Gefängnis in der Belfaster Crumlin Road entsteht eine Brennerei samt Museum. Die erste Flasche Whiskey wird allerdings erst in drei Jahren verkauft. „So lange muss der Whiskey laut Gesetz lagern, er darf auch bei guter Führung nicht vorzeitig raus“, das sagt Peter Lavery, der dieses interessante Projekt ins Leben gerufen hat – und es ist bei weitem nicht das einzige dieser Art in Belfast. Wo – auch daran erinnert Ralf Sotscheck – der Flughafen nach George Best benannt ist, dem Fußballgenie, das sich zu Tode gesoffen hat. Nicht gar zu lange vor seinem Tod kündigte George Best an, einen Restaurantführer für Nordirland schreiben zu wollen. Dieses Projekt blieb leider unvollendet, aber es wäre vielleicht eine schöne Aufgabe für Ralf Sotscheck?
Noch eine Frage an Ralf Sotscheck: Was wären deine Tipps für ein verlängertes Wochenende in Belfast?
Eigentlich braucht man mehr Zeit als ein verlängertes Wochenende, um Belfast kennenzulernen. Ich habe anderthalb Jahre dort gelebt und entdecke bei meinen regelmäßigen Besuchen immer wieder Neues. Ein Muss sind die Wandgemälde, die weit mehr als »Graffiti« sind. Es sind politische Kommentare, die bei Bedarf auch übermalt werden, wenn etwas anderes wichtiger erscheint. Die »Black Taxis«, die Linientaxis, sind in den katholischen und protestantischen Vierteln, wo die öffentlichen Busse in der heißen Phase des Konflikts ihren Dienst eingestellt hatten, das alternative und billigere Verkehrsmittel. Viele bieten Touren zu den Wandgemälden und den Schauplätzen des Konflikts an.
Und klar, die Titanic gehört auch zu Belfast. Das Besucherzentrum, in dessen Mittelpunkt die »Titanic« steht, bringt Touristen den einst blühenden Schiffbau nahe. Das Trockendock mit Pumpenhaus, wo die »Unsinkbare« gebaut wurde, und die Rampe, wo sie vom Stapel lief, sind in das Gesamtprojekt integriert.
In der Innenstadt lohnt es sich, die sogenannten »Entries« näher zu inspizieren. Die schmalen Gassen verbinden zwei Hauptstraßen und bergen so manche Überraschung, wie kleine Läden und Kneipen. Und abends sollte man ins Cathedral Quarter gehen – Restaurants, Musik und Pubs bis zum Abwinken.
Ralf Sotscheck: Nordirland. Zwischen Bloody Sunday und Brexit, Verlag Andreas Reiffer, 171 S, 18 Euro