Tim Martin warb auf Bierdeckeln in seinen Pubs für den Brexit. Nun droht dem britischen Groß-Gastronomen aber das Personal knapp zu werden. Er verlangt deshalb nach EU-Arbeitskräften.
Wer in Großbritanien in einen Pub geht, landet häufig in einem Lokal von JD Wetherspoon. Die Kette mit Hunderten Pubs ist ein wichtiger Player in der Kneipenszene der Insel. Künftig sollen dort jedoch weniger Britinnen und Briten bedienen, sondern vermehrt wieder Arbeitskräfte aus der EU – und das, obwohl Unternehmenschef Tim Martin zu den lautesten Befürwortern eines Austritts seines Landes aus der Gemeinschaft zählte.
Pro-Brexit-Bierdeckel
Einst ließ Martin die Pints in seinen Pubs sogar auf Pro-Brexit-Bierdeckeln servieren. Rund fünf Monate nach dem finalen Brexit benötigt er aber dringend Personal. Ein liberales Einwanderungssystem wäre „ein Plus für die Wirtschaft und das Land“, sagte Martin dem Telegraph und rief die konservative Regierung mit Verweis auf die niedrige Geburtenrate des Landes dazu auf, vereinfachte Visaregeln einzuführen, um wieder leichter Arbeitskräfte vom Kontinent anwerben zu können. „Amerika, Australien und Singapur haben viele Jahrzehnte lang von diesem Ansatz profitiert. Einwanderung in Kombination mit Demokratie.“
Mit dem Brexit indes wurde die vollkommene Arbeitnehmerfreizügigkeit für Menschen aus der EU nach Großbritannien und umgekehrt plötzlich passé. Das traf auch zahlreiche ausländische Arbeitskräfte, die besonders häufig in Kneipen und Küchen des Landes aushalfen. Inzwischen sind komplizierte Anträge und teure Visaverfahren notwendig, um einen Job im Vereinigten Königreich aufzunehmen. EU-Bürger, die bereits vor Ende 2020 in Großbritannien gewohnt haben, können sich noch bis Ende Juni auf das sogenannte Settlement Scheme bewerben, das ihnen weitgehend die gleichen Rechte im Land einräumen soll wie vor dem Brexit.
188.000 Arbeitskräfte fehlen im Gastgewerbe
Derweil fehlt Gastronomen seit der Wiedereröffnung von Pubs und Restaurants nach dem Corona-Lockdown zunehmend Personal. Der Branchenverband UK Hospitality geht von einem Mangel von rund 188.000 Arbeitskräften aus, da viele während der Lockdowns die Branche oder das Land verlassen haben. Wegen des Brexits, aber auch wegen des Corona-Einbruchs und den damit verbundenen Einreisebeschränkungen der britischen Wirtschaft war einer Studie zufolge allein in London die Bevölkerung insgesamt um 700.000 Einwohner geschrumpft.
Zuletzt häuften sich zudem Berichte von Europäern, die bei der versuchten Einreise an der britischen Grenze abgewiesen wurden. Ob es Pubchef Martin angesichts dessen nun bereut, vor dem Brexit-Referendum massiv für den EU-Austritt seines Landes geworben und dafür gespendet zu haben? Laut Yahoo Finance teilte der Unternehmer jedenfalls mit: „Die meisten Unternehmen des Gastgewerbes würden wahrscheinlich eine Art bevorzugtes Visasystem für EU-Arbeitskräfte unterstützen.“