Jens Mecklenburg

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Artensterben: 70 Prozent der Wirbeltiere durch Menschen vernichtet

Norddeutschland zeigt, dass es auch anders geht
14. Oktober 2022

Fast 70 Prozent aller bekannten Wirbeltierbestände wurden laut Umweltschutzorganisation WWF durch den Menschen vernichtet. Auch die Klimakrise trage zum Artensterben bei.

© AWI Mario Hoppmann

Die Menschheit hat nach Angaben der Umweltorganisation WWF in den vergangenen Jahrzehnten fast 70 Prozent aller bekannten Wirbeltierbestände vernichtet. Die Ursachen für dieses massive Artensterben seien „allesamt menschengemacht“, heißt es im Living-Planet-Report, den der WWF in Berlin veröffentlichte. Die Menschheit zerstöre damit ihre eigene Lebensgrundlage „mit dem Presslufthammer“ und heize die „Zwillingskrise“ aus Artensterben und Klimawandel weiter an.

Artenkrise und Klimakrise sind schicksalhaft miteinander verknüpft

Der WWF veröffentlicht den Living-Planet-Report seit 1998. Er erscheint alle zwei Jahre. Für die neue Ausgabe werteten Experten der Umweltorganisation mit der Zoologischen Gesellschaft London mehr als 31.000 Bestände von mehr als 5.200 Arten von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien aus. Am stärksten von der Artenkrise betroffen sind demnach Süßwasserarten. Ihre Bestände gingen seit 1970 im Durchschnitt um 83 Prozent zurück. In Süd- und Zentralamerika schrumpften die untersuchten Tierbestände demnach um durchschnittlich 94 Prozent.

Gründe für das Artensterben sind demnach zerstörte Lebensräume und Umweltverschmutzung. Auch die Klimakrise mit zunehmenden Hitzewellen und der Versauerung der Meere sei einer der Hauptgründe der Artenkrise, heißt es in dem Report. Andererseits habe eine veränderte Artenzusammensetzung auch Auswirkungen auf das Erdklima, etwa weil absterbende Wälder weniger klimaschädliches Kohlendioxid speichern könnten. „Artenkrise und Klimakrise sind schicksalhaft miteinander verknüpft“, heißt es vom WWF.

Flachlandgorilla und Amazonasdelfin besonders gefährdet

Als Beispiele für besonders stark gefährdete Tierarten nennt der WWF den Westlichen Flachlandgorilla. Sein Bestand im Nki-Nationalpark in Kamerun sei allein in den Jahren 2005 bis 2019 um 69 Prozent zurückgegangen. In Brasilien ging die Zahl der Amazonasdelfine zwischen 1994 und 2016 um 67 Prozent zurück. In Europa litt die Feldlerche besonders unter Umweltveränderungen – ihr Bestand verkleinerte sich von 1980 bis 2019 um 56 Prozent.

Als Chance, das Artensterben zu stoppen, nannte der WWF die Weltnaturkonferenz. Bei dem Treffen im Dezember im kanadischen Montréal soll ein globales Abkommen zum Erhalt der biologischen Vielfalt ausgehandelt werden. Der WWF rief die Bundesregierung auf, sich dort „für ambitionierte Ziele für unsere Natur einzusetzen und die internationale Biodiversitätsfinanzierung Deutschlands bis 2025 auf mindestens zwei Milliarden Euro im Jahr zu erhöhen“.

Notruf Nordsee: Die Robbenretter © Green Screen / Michael Schuhmacher

Dass das Artensterben gestoppt werden kann, zeigen laut WWF etwa die wachsenden Bestände von Seeadlern in Norddeutschland. Gab es 1945 in Schleswig-Holstein nur ein Revierpaar, seien es 57 im Jahr 2010 gewesen. Der Bestand der Kegelrobben in der Ostsee sei allein von 2013 bis 2019 um 139 Prozent gestiegen. In Nepal wuchs der Tigerbestand dem Bericht zufolge von 121 im Jahr 2009 auf 235 Tiger 2018.