Johanna Rädecke

Redakteurin

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Ältestes Labskausrestaurant Deutschlands

Old Commercial Room in Hamburg
8. September 2020

Auf dem Teller liegt eine zartrosa breiige Masse, zum Teil bedeckt von einem Spiegelei, flankiert von je zwei Scheiben Salzgurke und Roter Bete. „Unser Labskaus-Probierteller als Vorspeise“, verkündet der Kellner mit einem Lächeln. Wir sind im Old Commercial Room, eine der ersten Adresse für echt hanseatische Küche. Labskaus ist die Spezialität des Hauses und die Leidenschaft von Inhaber Reinhard Rauch, der im weißen Hemd am Captain’s Table residiert. „Ich kann jeden Tag Labskaus essen“, sagt er und lässt Bedenken angesichts der Optik nicht gelten. Waschechte Hamburger stören sich daran sowieso nicht, aber bei ihm verweigert sich auch die Prominenz nicht. Die Wände des Old Commercial Room sind tapeziert mit signierten Fotos allerlei bekannter Persönlichkeiten.

Old Commercial Room ©Johanna Rädecke

Seit 1795 existiert bereits der von einem englischen Reeder gegründete Old Commercial Room in Hamburg. So lange, da ist sich Inhaber Reinhard „Butsche“ Rauch sicher, stehe auch bereits Labskaus auf der Speisekarte. Schon seit die Kartoffel mit den spanischen Eroberern nach Europa gekommen ist, sei das Seefahrergericht so zubereitet worden. „Und vorher wurde das angeblich mit aufgeweichtem Schiffszwieback gemacht – die Konsistenz war praktisch gleich.“


Labskaus-Botschafter

Nur ein paar Schritte vom Hamburger Michel entfernt residiert Rauch seit 50 Jahren in seinem etwas überladenen, aber urig-hanseatisch eingerichteten Fischrestaurant und versteht sich als Botschafter des Hamburger Nationalgerichts. Das Restaurant hat er von seinem Vater, seinerzeit Gastronom, Casinobesitzer und Lebemann, übernommen. Morgens sitzt er an dem Captain’s Table beim Eingang seines Restaurants, notiert Preise der Fischhändler und Reservierungen. In der Hand eine imposante Zigarre („Ab morgen rauche ich nicht mehr. Dann habe ich 23 Jahre Zigarette und 23 Jahre Zigarre geraucht. Den Rest meines Lebens bleibe ich Nichtraucher…“), auf dem Schoß seine betagte Chihuahua-Dame „Cosi“, an den Füßen ein extravagantes Paar Schuhe. Am Abend zuvor hatte der „Labskaus-König“ an eben jenem Tisch mit Herrn Gaues, einem bekannten Hamburger Bäcker, gesessen und einen Wein geleert. Der Josef mache das beste Brot in Hamburg, erzählt er, und beliefere auch bekannte Köche und Köchinnen wie Cornelia Poletto. 


Jeder Zentimeter der Wand ist mit signierten Fotos nationaler und internationaler Prominenz bedeckt, nicht wenige von ihnen hat er an die optisch weniger anreizende Seefahrerspeise gebracht. „Mario Adorf war zuerst sehr skeptisch und hat zuerst nur ein kleines Gläschen zum Probieren bestellt – ganze fünf Gläser hat er dann an dem Abend verputzt“, erzählt er. Und auch Helmut Schmidt hat auf seiner Geburtstagsfeier an einem 23. Dezember nach dem Besuch im Michel für jeden eine Portion Labskaus als Mitternachtssnack bestellt. Charly Sheen hingegen sei hin und weg von der gigantischen Seezunge gewesen und hat dies mit 100 Mark Trinkgeld belohnt. 

Doch nicht nur Promis wie Joe Cocker, die Beatles oder Roberto Blanco (alle sorgfältig aufgelistet und für Besucher nachzulesen) kamen für das Seemannsessen zu „Butsche“. 1977 veranstaltete er für 20 000 Menschen das größte Labskausessen der Welt und der alte Handelsraum gilt seit Jahren als die erste Adresse, um das originale Labskaus zu erleben. In diesem Jahr wurde das Restaurant von der Hanseatischen Labskaus Dinner Society für das „Beste Labskaus in Hamburg“ ausgezeichnet.


Als Kind hat Reinhard Rauch das Gericht von seiner Großmutter mit Corned Beef kennengelernt, in seinem Restaurant verwendet er dafür jedoch Blatt und Nacken vom Rind. Dies bezieht er von seinem Schlachter Möller in Norderstedt. Fisch und rote Bete gehören laut Rauch nicht in das Labskaus. „Die rosa Farbe kommt ausschließlich vom Pökelsalz und hätte der Smutje, der Schiffskoch, auf See Fisch mit in das Labskaus getan, hätte er wohl Kiel geholt“. Doch schmeckte der Crew das Labskaus – so besagt es das Seemannsgarn – durfte er bei der nächsten Fahrt wieder anheuern.

Im „Old Commercial Room“ kann man natürlich trotzdem einen Matjes separat dazu bestellen – Rauch liebt das Gericht jedoch pur mit Salzgurke, roter Bete und Spiegelei garniert. Doch ist Labskaus zukunftsfähig? Laut Rauch ist dieses Gericht unsterblich, die Nachfrage sei sowohl bei den Einheimischen, den Stammtischen als auch den Touristen sehr hoch. Auch mit vegetarischem Labskaus experimentiere er – und seine Stammtisch-Tester waren sogar positiv überrascht. Auf der Karte findet sich Labskaus nach klassischer Seemannsart, aber in der Miniportion auch mit Pfeffercreme, Curry-Wachtelei oder Garnele.

Old Commercial Room

Englische Planke 10, Hamburg,
Tel. 040/366319

www.oldcommercialroom.de

 

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