Johanna Rädecke

Redakteurin

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Zwischen Ananas, Umami und Cremigkeit

Als Laie zu Gast bei den World Cheese Awards
17. Oktober 2019

Erstveröffentlicht am 03. Februar 2019

Die World Cheese Awards (WCA) küren seit über 30 Jahren den besten Käse überhaupt – im kommenden Oktober geschieht dies erstmalig in Italien, genauer: Im Zuge des „Forme“-Käsefestivals in Bergamo. Recht klein begannen die Awards in Großbritannien, doch mittlerweile hält das jährliche Event Geschmackserlebnisse aus allen Ecken der Welt für Juroren, Produzenten, Foodjournalisten und natürlich Gäste bereit. Unsere Autorin besuchte die letzte WCA, um einige Eindrücke zu sammeln.

© Johanna Rädecke

Zur letzten Käseweltmeisterschaft in Bergen, Norwegen, wurden über 3400 Käse eingesandt. Dabei gibt es hinsichtlich Geschmack, Konsistenz, Herstellung und Geruch kaum vorgaben, ein bröckelnder Parmesan darf ebenso eingeschickt werden wir ein zartschmelzender Camembert.

Doch wir befinden uns in der EU und somit unterliegen natürlich auch die eingeschickten Käse gewissen Richtlinien. So dürfen Nicht-EU-Länder beispielsweise nur pasteurisierte Güter einschicken und auf keinen Fall dürfen sich Tiere auf dem Prachtexemplar befinden. Dies erleichterte mich als Käse-Laien schon ungemein. Die Vorstellung, beim mir bevorstehenden Käse-Tasting vielleicht einen „Casu Marzu“ (sardinischer Schafskäse mit Kick: kleinen, niedlichen Maden) probieren zu müssen, beunruhigte mich schon seit einiger Zeit.

Doch mit der Sicherheit der EU-Richtlinien und vielen Fragen im Kopf begab ich mich motiviert zum Schauplatz des großen World-Cheese-Award-Finales in die Messehalle des idyllischen Bergen. Ein sehr passender Ort, wurde die Stadt von der UNESCO doch 2015 zur „Stadt der Gastronomie“ gekürt.

Als Besucherin wurde ich bei der Ankunft direkt in einen Saal der Grieghallen gelotst. Kurz dachte ich, die Mitarbeiter hätten mich falsch verstanden und zum Auftritt einer lokalen Berühmtheit geschickt: Der Saal war brechend voll, alle Stühle bereits besetzt und ein Kamerateam hatte sich aufgestellt. Erwartungsvolle Gespräche (die ich nicht verstand, sie waren ja auf norwegisch) lagen statt des erwarteten Käsemiefs in der Luft und letzte Korrekturen bei der Beleuchtung wurden vorgenommen. Mir wurde erklärt, dass das Finale (natürlich!) live im norwegischen Fernsehen übertragen werde und die 16 international bunt durchgemischten Super-Juroren in Kürze eintreffen dürften. Ob die Juroren nach knapp 3500 Käseproben aus 41 Ländern noch Platz für eine letzte Runde hatten?

Selbstverständlich mussten die „Super-Judges“ nicht alle Käsesorten durchprobieren, diesen Job hatten bereits andere qualifizierte Experten für sie übernommen. Aus über 25 Ländern kamen 230 Juroren angereist, die sämtliche Käsestücken und -laibe auf etwa 70 Tischen verteilt in einer großen Halle vorfanden. Für Käseliebhaber dürfte die Vorstellung, sich an einem Tag durch 50 Käse zu probieren der Himmel auf Erden sein – ich hingegen begnügte mich vorerst mit einem vorsichtigen Blick aus der Ferne. Alles, was über Emmentaler, mildem Ziegenkäse, Gruyére, Feta und Mozzarella hinausgeht, lasse ich normalerweise von einem anwesenden Familienmitglied vorkosten.

© Johanna Rädecke

Die 230 Juroren haben im Vorfelde des Finales in Dreiergrüppchen jeweils einen voll beladenen Tisch verkostet und in Teamwork Bronze-, Silber- Gold- und pro Tisch ein Super-Gold-Label verteilt. Dies machte es den Super-Juroren einfacher, mussten sie nur noch die 70 besten Käse kosten. Aus diesen wiederum suchte sich jeder Käsekenner sein Lieblingsexemplar aus – und plötzlich ergab die mir bevorstehende Veranstaltung einen Sinn. 16 Männern und Frauen dabei zuzusehen, wie sie 16 Käse essen, mag nicht ideal für die Unterhaltungsindustrie sein. 16 passionierten Käseexperten dabei zuzusehen und zu hören, wie sie flammende und salbungsvolle Lobeslieder auf ihre persönliche Nummer eins singen – das passt absolut ins nationale Fernsehen. Und so wundert auch nicht, dass ein mit Bowler und Kittel bekleideter Moderator durch den Abend führt, nach und nach die kunstvoll drappierten Super-Käse hereingefahren und Späße zum Besten gegeben werden.

Jeder einzelne Juror bekam dann die Möglichkeit, seinen Käse anzupreisen, bevor die anderen ihn probierten. Ein Juror sagte über den italienischen ‚Baffalo Blu‘: „Wenn man ihn im Mund hat, spürt man die cremige Textur – das hat mich bis ins Herz getroffen“. Während dieser Reden lernte ich, dass Käse einen ‚meaty‘ (fleischigen) Geschmack haben kann, dass zuerst ein strenges Aroma auf der Zunge liegt, bevor das Süße durchkommt und dass die Karamellisierung des Milchzuckers äußerst beliebt in der Jurorenrunde ist. Bis heute frage ich mich jedoch, wie die Juroren die 16 Käse tatsächlich objektiv und unvoreingenommen bewerten konnten. Wurde die Vorauswahl noch blind getroffen, verrieten die Veranstalter in der finalen Runde zusätzlich zur Art des Käses auch das Heimatland. Dadurch wusste ich, dass in der Reihe hinter mir eine Gruppe italienischer Mamas saß, die „ihren“ Käse aus voller Brust anfeuerten.

Dadurch wusste aber auch das gesamte Plenum und die Jury, welcher Käse aus dem Gastland kam. 2 norwegische (und übrigens kein deutscher) Käse waren noch im Rennen, ein Gouda und der wohl bekannteste Käse des Landes, der süße Brun Geitost. Die beiden Produkte wurden bejubelt und beklatscht wie Popsterne bei ihren Bühnenauftritten. Inwieweit hierbei Objektivität bewahrt werden kann, muss jeder für sich selbst entscheiden. Sicher ist jedoch: Der Gewinner heißt Jørn Hafslund, ein Farmer aus dem Umland von Bergen. Mithilfe seiner 12 Kühe, jeder Menge Sorgfalt und einem langen Reifeprozess erschuf er so den Fanaost nach holländischer Gouda-Rezeptur, der die Jury mit einem klaren Punktevorsprung vor dem ebenfalls norwegischen Brun Geitost und dem französischen Agour Pur Brebis AOP Ossau Iraty überzeugte.

Der Gewinner der WCA 2018: Jørn Hafslund. © Johanna Rädecke

Bei der Siegerehrung und Übergabe der Trophäe blieb kein Auge trocken. Jørn Hafslund schien schier überwältigt, strahlte vor Glück und die ein oder andere Träne kullert über sein Gesicht. „Ich habe nur 12 Kühe, die im Sommer frei in den Bergen herumlaufen und aus den Fjorden trinken“, erzählt er. „Wir haben 14 verschiedene Grassorten in unserem Land. Das macht die Milch und den Käse sehr komplex. Die Milch zu Hause ist einfach die beste!“ Ihm, seiner Familie und den 12 Kühen gönne ich den Sieg von Herzen. Er passt in den Trend der Rückbesinnung zu Regionalität und hohen Qualitätsstandards.

Die niedrige Produktionsrate hat aber auch einen Nachteil: Gourmets, die sich im nächsten Norwegenurlaub oder im Onlineshop mit dem preisgekürten Käse eindecken wollen, werden enttäuscht. Der Käse ist nicht vorrätig. Selbst, wenn sich Hafslund direkt im Anschluss an die WCA ans Werk gemacht hat, dauert es doch volle 15 Monate, bis der cremige, aber würzige Fanaost mit feiner Karamellnote wieder verfügbar ist. Viele Einheimische freuen sich jedoch – sie kaufen Hafslunds Käsespezialitäten bereits seit Jahren auf dem Wochenmarkt.

Messehalle mit eingeschickten Käselaiben. © Johanna Rädecke

Mich erwartete nach dem spannenden Finale jedoch mein ganz persönlicher Tageshöhepunkt. Mit Erwartung an hochprämierte, norwegische Spitzenkäsesorten und Ängsten vor Produkten, die man vier Kilometer gegen den Wind riechen könnte, machte ich mich auf zum Treffpunkt vor der großen Halle. 3472 Käse schlummerten hinter diesen Türen, abgesperrt für die Massen und ungekühlt. Ich weiß nicht, ob die Grieghallen ein sehr gutes Belüftungssystem haben oder norwegische Frischhaltefolie einfach mehr abhält als die in meiner Küche, aber: Der Geruch war erträglich. An den Wänden aufgereiht fand ich dutzende Produzenten, die ihre Käsesorten zum Probieren anboten, in der Mitte standen die sagenumwobenen Tische mit den eingereichten Produkten. Fast schon befürchtete ich, einen der Juroren im Fresskoma betäubt in einer Ecke vorzufinden, aber Fehlanzeige. Stattdessen empfing mich einer der „Super-Judges“, der britische Foodjournalist und Käseexperte Patrick McGuigan.

Sein Käse konnte die restlichen Juroren zwar nicht überzeugen, doch seine Laune konnte in Gegenwart von 3500 Käse wohl nicht getrübt sein. Zu meiner Enttäuschung bekamen wir leider keine der Produkte zum Probieren, die in diesem Jahr ihren Hut in den Ring warfen – keiner von ihnen würde nach den Awards den Weg in die Hände eines dankbaren Gourmets finden, ihnen stand lediglich der Weg in die Mülltonne bevor. Stattdessen probierten wir die Kandidaten der Vorjahre. Bei dem Parmesan, den ich „wirklich lecker“ fand, betonte McGuigan die Cremigkeit sowie den Umami-Geschmack und fragte in die Runde, ob jemand genau wie er selbst die Ananas herausschmecke. Ich leider nicht. Trotzdem hielt ich mich weitestgehend an den Vorsatz, alles zu probieren, was ich da vorgesetzt bekomme. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass ich fast alles genießen konnte. Lediglich um einen spanischen Käse, der bei Raumtemperatur flüssig ist und riecht wie ein Klassenzimmer in der Mittelstufe, machte ich einen weiten Bogen.

Patrick McGuigan führt durch das Käse-Testing. © Johanna Rädecke

Seit Januar steht nun fest: Die nächsten WCA finden im Oktober2019 in Bergamo, Italien statt. Meine Angst vor Käse habe ich mit den letzten World Cheese Awards verloren und ich bin überzeugt, fast jedes geschmackliche Hindernis überwinden zu können, wenn ich mich nur eingehend mit einem Produkt beschäftige. Und wer weiß? Vielleicht kann ich nach der nächsten Messe sogar die Ananas aus dem Parmesan herausschmecken.

© Johanna Rädecke