Was wird nicht alles gestohlen: Diamanten, Kunstschätze, wertvoller Schmuck, Geld. Wer einen Einbruch begeht, hofft auf reiche, vor allem wertvolle Beute. Nicht so eine Diebin in Leipzig, die für ein Tiramisu in ein Restaurant einstieg. War es einfach zu köstlich?
Natürlich könnte Deryn Anlauf jetzt frustriert und verängstigt sein. Immerhin wurde in ihr Restaurant eingebrochen, und so ziemlich alles an diesem Kriminalfall ist rätselhaft. Aber die Gastronomin, 25, nimmt es mit Humor.
Sie hat den Tathergang selbst rekonstruiert. Ein erbsengroßes Bohrloch ist im Fensterrahmen zu sehen. Hier seien die Übeltäter am 29. Oktober eingestiegen und hätten außer dem Loch und ein paar Spänen keine Spuren hinterlassen. „Das müssen Profis gewesen sein.“
Gestohlen wurde im Dolce far Niente weder das Tablet, das auf dem Tresen lag, noch das Geld aus der Schublade unter der Kasse. Auch die Espressomaschine, laut Inhaberin so teuer wie ein Auto, ist noch da. Was hingegen fehlte: Tiramisu, ungefähr zehn Portionen.
Das geschah schon einmal: Bereits am frühen Morgen des 7. September, so berichtet es Anlauf, habe es einen nächtlichen Einbruch gegeben. Die Spuren: ein Bohrloch am Fenster, allerlei unangetastete Wertgegenstände, ein offener Kühlschrank. Und viele Stücke Tiramisu, die nicht mehr da waren.
Anlauf fand all das so merkwürdig, dass sie nach dem zweiten Einbruch die Polizei alarmierte und am Eingang eine Art Hilferuf anbrachte: „Unser Tiramisu ist so gut, dass es immer wieder geklaut wird!“ Die Sache sprach sich rum, erst im Viertel, dann in der ganzen Stadt und schließlich bei den Medien. Dass womöglich eine Frau für die Tat verantwortlich ist, hat Anlauf selbst herausgefunden. Die Leipzigerin, die das Dolce far Niente im März eröffnet hatte, installierte nach dem ersten Einbruch eine Kamera im Gastraum – und die dokumentierte am 29. Oktober um 2.14 Uhr den Einbruch: Die Filmaufnahmen zeigen jemanden mit langen, schwarzen Wimpern und etwas auf dem Kopf, dass ein Dutt oder Zopf unter einer Mütze sein könnte. Zu sehen ist auch, wie die maskierte Person zur Kamera geht und sie umdreht.
Warum geht jemand das Risiko ein, identifiziert und gefasst zu werden, nur um einen Kühlschrank zu plündern? Beim ersten Mal im September seien noch etwas Kleingeld und ein Wegwerfhandy verschwunden, sagt Anlauf, dieses Mal aber sei die Diebin offenbar nur wegen des Nachtischs gekommen. Fein säuberlich, so hat Anlauf es rekonstruiert, habe die Unbekannte mit einem Tortenheber das Dessert vom Blech in runde Aluminiumschalen gehoben und anschließend mit Pappdeckeln verpackt. „Sie hat das sehr ordentlich gemacht“, lobt die Gastronomin die Diebin.
Welches Motiv?
Wer macht so etwas? Vielleicht eine Mutprobe unter betrunkenen Jugendlichen? „Warum“, fragt sich Anlauf, „ist dann nichts vom Alkohol weg?“
Erkundigt man sich bei der Polizei, lacht Behördensprecherin Josephin Sader. „Tiramisu ist doch lecker!“, sagt sie. Aber in Wahrheit, daraus macht sie keinen Hehl, versteht auch sie die Sache nicht. Die Beute? „Nur das Tiramisu.“ Der Schaden? „Ungefähr 30 Euro.“
Ermittelt wird trotzdem, als ginge es um teure Juwelen: Gleich am Morgen nach der Tat rückten fünf Beamte an, nahmen DNA-Proben, die Spurensicherung wuselte eine Stunde lang durchs Restaurant, sagt die Inhaberin – „damit es so wenig Verunreinigung wie möglich gibt“, sagt die Polizistin Sader.
Inzwischen ermittelt die Kripo in einem „besonders schweren Fall des Diebstahls“. Ob das nicht etwas überzogen sei? Tja, sagt Sader, für die Polizei bestehe eben Strafverfolgungszwang. Außerdem habe es im Viertel zuletzt weitere Einbruchsversuche gegeben, mit ähnlicher Vorgehensweise, unter anderem im Kosmetikstudio direkt nebenan.
Der Tiramisu-Hersteller
Verantwortlich für das Tiramisu ist Küchenchef José Saglimbeni, 40.
Der Italiener hat schon in Sternerestaurants in London, Moskau, Japan und Madrid gearbeitet. Im sizilianischen Taormina hat er sein erstes Tiramisu kreiert und später einen mehrmonatigen Tiramisu-Kurs besucht. Tiramisu ist für den Koch eine ernste Angelegenheit. Nur vier Zutaten gehörten hinein, sagt er. Alle vier müssten gleichzeitig zu schmecken sein: Mascarpone, Eier, Zucker, Kaffee. „Wenn von etwas ein Gramm zu viel drin ist, ist alles verloren.“ Oft werde das Dessert durch Likör oder zu viel Zucker verhunzt, meint er.
Anlauf macht derweil ein Angebot. „Wenn die Diebe nächstes Mal rechtzeitig Bescheid geben, stell ich abends gern etwas Tiramisu auf die Fensterbank.“ Dann muss sie sich keine Alarmanlage zulegen. Und die Kriminellen kämen ohne Einbruch zum Dessert. Dem Vernehmen nach soll das Tiramisu von Küchenchef Saglimbeni in der Tat gut, sogar sehr gut schmecken. Die Balance zwischen Mascarpone, Eier, Zucker und Kaffee stimmt bei ihm und mundet, wie es scheint, nicht nur den Gästen.