Zwei Wissenschaftlern ist es in einem Kieler Forschungsprojekt gelungen, die Bevölkerungszahlen für weite Teile Europas und Mesopotamiens für den Zeitraum 6000 bis 1000 vor Christus zu rekonstruieren.
Eine neue Studie liefert Zahlen für die Bevölkerungsentwicklung in Europa und im Nahen Osten im Zeitraum von 6000 bis 1000 vor Christus.
Genaue Bevölkerungszahlen für lang zurückliegende Zeiten zu ermitteln ist schwierig, denn sie lassen sich nur indirekt über die Auswertung von archäologischen Funden ermitteln. Eine im Januar 2019 in der Online-Zeitschrift PLOS ONE veröffentlichte Studie legt nun neue Ergebnisse zur absoluten Bevölkerungsdichte in Europa und im Vorderen Orient für den Zeitraum von circa 6000 bis 1000 vor Christus vor.
Den Wissenschaftlern Dr. Aleksandr Diachenko vom Archäologischen Institut der Nationalakademie der Wissenschaften, Kiew (Ukraine), und Professor Johannes Müller, Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), ist es gelungen, die Bevölkerungszahlen für weite Teile Europas und Mesopotamiens zu rekonstruieren. Dazu führten sie das primär auf Ausgrabungsergebnissen beruhende Expertenwissen aus wissenschaftlichen Studien zu unterschiedlichen Kleinregionen zusammen und gewannen daraus absolute Einwohnerzahlen und Informationen über die Dichte der Bevölkerung vor Tausenden von Jahren.
Die Erkenntnisse sind wichtig, um zum Beispiel das Entstehen von Krankheiten oder sozialen Unterschieden zu rekonstruieren oder Klimavoraussagen unter Einschluss vergangener Werte zu verbessern. So konnte beispielsweise für Südosteuropa um 6000 vor Christus ein rasanter Bevölkerungsanstieg von weniger als einer Person pro 20 Quadratkilometer auf fast eine Person pro einen Quadratkilometer rekonstruiert werden. Für die gesamte Region bedeutete das einen Anstieg von etwa 50.000 auf fast 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.
In Mitteleuropa und Südskandinavien erfolgte im Zeitraum von 6000 bis 4000 vor Christus ein wesentlich langsamerer Bevölkerungsanstieg auf etwa 1,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner mit circa 1,1 Personen pro Quadratkilometer. Einen weiteren Bevölkerungsschub stellten die Forscher zwischen 3500 und 3000 vor Christus fest: Etwa 3,2 Millionen Menschen (2,2 Personen pro Quadratkilometer) lebten im 3. vorchristlichen Jahrhundert in Mitteleuropa und Südskandinavien. Um 2000 vor Christus wurden zwischen der Ostsee und der Ägäis Bevölkerungsdichten von rund 3,1 Personen pro Quadratkilometer erreicht, was etwa 8,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern in einem Gebiet entspricht, das heute von etwa 280 Millionen Menschen besiedelt ist.
Im Vergleich zur Bevölkerungsdichte im prähistorischen Europa waren die Dichtezahlen im Vorderen Orient ganz andere. Bereits um 5000 vor Christus lagen dort Einwohnerzahlen von etwa 20 Personen pro Quadratkilometer vor (also etwa 48 Millionen Menschen). Nach der ersten urbanen Revolution der Menschheit ab etwa 3500 vor Christus lassen sich dort noch höhere Bevölkerungszahlen von weit über 80 Millionen rekonstruieren.
Tatsächlich konnten Müller und Diachenko neben Phasen erheblichen Bevölkerungswachstums auch solche von beachtlichen Bevölkerungsrückgängen beobachten. Ob es sich hierbei um Anpassungsprozesse an einheimische Ressourcen oder aber um andere Vorgänge handelte, bleibe zukünftigen Studien überlassen, so die Wissenschaftler.
Die vorliegende Studie entstand in einer gemeinsamen Forschungsarbeit von Professor Johannes Müller und Aleksandr Diachenko in Kiel.
Originalpublikation: Mueller J, Diachenko A (2019) Tracing long-term demographic changes: The issue of spatial scales. PLoS ONE 14(1): e0208739. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0208739