Jens Mecklenburg

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Vier Wochen nach dem Nazi-Gegröle – Sylt atmet auf

24. Juni 2024
© PONY

Frauen mit dezenten Designeruhren am Handgelenk und großen Sonnenbrillen auf der Nase schlendern barfuß mit ihren Kindern zum Strand vor Kampen. Chromblitzende Luxusautos parken in der Sonne an einem Nachmittag im Juni vor dem Club Pony auf Sylt. Deren Besitzer trinken kühlen Grauburgunder auf der Terrasse des Lokals, das vor einem Monat bundesweit für gewaltige Schlagzeilen gesorgt hat. 

Während im Nobelort Kampen nach dem viel beschriebenen Rassismus-Eklat vor einem Monat alles wieder so zu sein scheint wie immer, hat sich seit einer Pfingstparty für mindestens zwei Männer und eine Frau Grundlegendes verändert. Zu Pfingsten hatten sie auf der teilweise überdachten Terrasse des Pony zur Melodie des Partysongs «L’amour toujours» von Gigi D’Agostino – scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen – rassistische Parolen gebrüllt. Einen Monat nach Bekanntwerden dieser rassistischen Vorfälle ermittelt die Staatsanwaltschaft in Flensburg weiter gegen sie.

«Die Ermittlungen werden sicherlich noch einige Wochen dauern», sagte Oberstaatsanwalt Bernd Winterfeldt der Deutschen Presse-Agentur. Es werde wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt, gegen einen der Männer außerdem wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Vorfall auf Sylt wurde vor einem Monat bekannt

Auf einem wenige Sekunden langen Video, das am Pfingstsamstag bei einer Party mit mehr als 500 Feiernden in der bekannten Bar mit Club entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen «Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!» grölen. Ein Mann macht eine Geste, die an den Hitlergruß denken lässt. Am 24. Mai hatte die Polizei den Vorfall publik gemacht, er sorgte bundesweit für Schlagzeilen und Empörung.

Die Pony-Betreiber hatten kurz nach Bekanntwerden der Vorfälle öffentlich Position bezogen. Auf der Instagram-Seite der Bar ist noch immer der Post angepinnt, in dem sie sich vor vier Wochen von dem Fall distanziert und gegen «Rassismus, Faschismus und jegliche Form von Diskriminierung» ausgesprochen sowie erklärt hatten, die verantwortlichen Party-Gäste anzuzeigen. 

Nach eigenen Angaben hatten sie Morddrohungen erhalten, sagten die Club-Betreiber. «Wir werden aufs Übelste beleidigt und erhalten Morddrohungen», schrieben sie auf dem Instagramprofil des Clubs. Dazu veröffentlichten sie eine Sequenz aus einem Überwachungsvideo, das die Szene aus einem anderen Blickwinkel zeigt. 

Sequenzen einer Pfingstparty ohne rassistische Gesänge oder einen Zusammenhang dazu teilten die Betreiber vor rund zwei Wochen auf Instagram: Junge Frauen tanzen dort mit gefüllten Gläsern in engen Kleidern und kurzen Röcken, Männer wippen in weißen Hemden fröhlich lachend zu Techno-Beats, grelle Drohnenbilder zeigen Luxus-Autos und schnelle Schwenks über Feiernde auf der Terrasse. Aus Magnumflaschen wird Champagner ausgeschenkt, parallel dazu ist der Schriftzug «Champagne-Shower» mit drei Flaschen-Emojis eingeblendet. 

Zwei weitere mögliche Rassismus-Fälle auf Sylt

Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft in zwei weiteren Fällen – die ebenfalls zu Pfingsten in Kampen passiert sein sollen. In dem einen Club soll ein Gast ebenfalls «Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!» gerufen haben, hier wird jetzt wegen Volksverhetzung ermittelt. In einem dritten Fall sei laut Winterfeldt ein Beschuldigter gefunden – er muss sich jetzt wegen Körperverletzung, Volksverhetzung und Sachbeschädigung verantworten. Er soll am Pfingstsonntag auf einer Straße nahe einem Strandlokal in Kampen eine 29-jährige Frau attackiert und rassistisch beleidigt haben – bei dem Angriff wurde die Frau laut Polizei leicht verletzt.

Die Stimmung im Dorf sei, nach einigen turbulenten Tagen, jetzt glücklicherweise wieder ruhig, sagte Kampens Bürgermeisterin Stefanie Böhm.  «Sylt hat eine Strahlkraft: Durch die bundesweite mediale Öffentlichkeit nach dem Vorfall im Pony werden einige Menschen vielleicht sensibler und achtsamer sein.» Das könne demnach dazu beitragen, dass viele bei ähnlichen Vorkommnissen andernorts noch genauer hinschauen und hinhören. «Gerade in diesen Zeiten müssen wir in Bezug auf solche rassistischen Äußerungen alle achtsam und aufmerksam sein.» So etwas habe auf keiner Pfingst-Party, auf keiner Feier überhaupt, etwas zu suchen.

Insel ist keine Rechten-Hochburg

Auch Dirk Erdmann, Sylter Dehoga-Chef und Betreiber des Hotels Rungholt in Kampen, zeigte sich erleichtert: «Wir sind froh, dass sich die Sache beruhigt hat, aber wir müssen alle Zivilcourage zeigen, das ist elementar, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann», sagte er. Die Europawahl habe deutlich gemacht, in welche Richtung sich Deutschland politisch entwickle – die niedrigen Ergebnisse der AfD in Schleswig-Holstein zeigten auch, dass das nördlichste Bundesland und somit Sylt «keinesfalls als Rechten-Hochburg bezeichnet werden kann». 

«Sylt war, ist und bleibt eine weltoffene und freundliche Insel», teilte Florian Korte, Sprecher Gemeinde Sylt, mit. Nach Bekanntwerden des Videos hatte sich die Gemeinde mit dem Tourismus-Service abgestimmt und in kurzer Zeit ein gemeinsames Statement veröffentlicht. Dieses habe selbstverständlich weiterhin Bestand. 

Als Reaktion auf das Video mit rassistischem Gegröle hatten sich auf Sylt mehrere Dutzend Menschen zu einer Mahnwache im Inselort Kampen versammelt. Sie wollten ein Zeichen gegen rechts setzen. Einige Tage später war eine kleine Gruppe von etwa zehn Punks unter dem Motto «Laut sein gegen rechts!» durch Westerland gezogen. Später plante die Initiative «Sylt gegen rechts» eine größere Demonstration vor dem Rathaus in Westerland.

Konsequenzen für die Gröler

Für einige Beteiligte hatte das Gegröle ein schnelles Nachspiel: Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte, sie habe einen beteiligten Mitarbeiter fristlos entlassen. Auch die Hamburger Influencerin Milena Karl entließ nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die dabei war. 

Einer beteiligten Studentin hatten ebenfalls schwere Konsequenzen gedroht, ihre Hamburger Hochschule, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), hatte den Rausschmiss geprüft, sich jetzt aber dagegen entschieden. Ein bis Ende Juli gegen die Studentin ausgesprochenes Hausverbot an der Uni bleibe laut HAW aber bestehen.

© Boris Trenkel