Sonnenschirm gegen den Klimawandel

Bremer Raumfahrt-Unternehmen prüft spektakulären Plan gegen die Erderwärmung
2. September 2021

Ein Beitrag von Wolfgang Heuer

Es klingt wie ein Stück aus einem Science-Fiction-Film: Ein Schirm, etwa drei bis 30-mal so groß wie Deutschland, wird im Weltraum aufgespannt. Von der Erde wäre er nicht zu sehen, denn er würde etwa zwei Millionen Kilometer entfernt installiert sein. Zu spüren wäre der Schirm aber zumindest in Teilen unseres Planeten. Zusammengesetzt aus vielen tausend Satelliten könnte dieser Schirm die Sonneneinstrahlung auf die Erde und damit die Erwärmung der Atmosphäre verringern. Der mögliche Kostenrahmen von 500 Milliarden bis 17 Billionen Euro lässt das Projekt aus Bremen im ersten Moment utopisch erscheinen. „Aber was ist, wenn es unsere vielleicht letzte Chance ist, den begonnenen Klimawandel auf der Erde zu begrenzen?“ Der Bremer Raumfahrtexperte Tomas Hamann begleitet seine Frage mit einem nachdenklichen Blick. 

Die Antwort sucht der 35-jährige Ingenieur im Rahmen seiner Arbeit bei OHB in Bremen. Im größten deutschen Raumfahrtunternehmen leitet er das Projekt „Geo-Engineering“. Mit Geo-Engineering sind technische Eingriffe in das Klimasystem der Erde gemeint, um die Klimaerwärmung abzumildern. Hamann und eine Handvoll Kollegen befassen sich mit dem Für und Wider dieser Eingriffe – für den Fall, dass alle bisher diskutierten Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht greifen.

Tomas Hamann ist Leiter des Projekts „Geo-Engineering“ beim Bremer Raumfahrtunternehmen OHB. ©WFB/Jörg Sarbach

Mit dem weiten Blick in die Zukunft auf der Suche nach neuen Ideen

Raumfahrt-Ingenieure sind das Denken in großen Dimensionen und langen Zeiträumen gewohnt. Von der ersten Idee für einen Satelliten bis zu seinem Start vergehen in der Regel Jahre. In diesem Umfeld ermuntert der Bremer OHB-Vorstandsvorsitzende Marco Fuchs seine Fachleute immer wieder, weit in die Zukunft zu denken. Die Abteilung, in der Tomas Hamann arbeitet, ist eigens für solche Ideen zuständig, die vielleicht in 20 oder 30 Jahren in der Raumfahrtindustrie eine Rolle spielen könnten. 

Zumeist geht es dabei um kommerziell oder wissenschaftlich nutzbare Anwendungen der Satellitentechnik. Doch mit Geo-Engineering ist ein Thema in den Fokus geraten, das angesichts der jüngsten Flutkatastrophen und verheerenden Waldbrände zunehmend Brisanz bekommen hat: der Klimawandel. „Haben wir eigentlich einen Plan B, wenn alles zu spät kommt oder nicht hilft, was wir jetzt zum Klimaschutz diskutieren?“, fragte OHB-Chef Fuchs wiederholt in internen und öffentlichen Diskussionen. Gesucht seien technische Lösungen, um den von Menschen verursachten weltweiten Temperaturanstieg auf ein Plus von maximal zwei Grad Celsius zu beschränken.


Geo-Engineering als Plan B für den Klimaschutz

Mit den denkbaren Komponenten für einen Plan B zum Umgang mit dem Klimawandel beschäftigt sich Hamann bereits seit 2019: Mögliche Ansätze sind dabei die Reduzierung von Kohlendioxid in der Atmosphäre oder die Steuerung der Sonneneinstrahlung. „Wenn sich der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid nicht signifikant reduzieren lässt, muss das Treibhausgas technisch aus der Atmosphäre entfernt oder der Wärmeeintrag durch das Sonnenlicht reduziert werden“, fasst Hamann die beiden Möglichkeiten zusammen. Diese Idee wurde vor zwei Jahren so überzeugend auf einem OHB-Innovationsforum vorgestellt, dass das Unternehmen dem präsentierenden Team hundert Arbeitsstunden bewilligte, um sich mit dem Thema weiter auseinander zu setzen.

„Weltweit haben sich bereits viele Wissenschaftler dazu Gedanken gemacht“, stellt der Ingenieur für Luft- und Raumfahrt fest. Die Bandbreite reicht von einer verstärkten Aufforstung auf dem Planeten oder einem künstlich gesteigerten Algenwachstum in den Ozeanen über die unterirdische Einlagerung von Kohlendioxid bis zu künstlich geschaffenen weißen Wolken oder Eiskristallen in der Atmosphäre, die das Sonnenlicht und reduzieren. Das verbindende Element aller Ideen: „Sie sind darauf ausgerichtet, eine Erwärmung über das derzeitige Zwei-Grad-Ziel hinaus zu verhindern. Auf null zurückdrehen lässt sich die Entwicklung nicht mehr“, betont der Raumfahrtexperte.


Bremer Spezialist für hoch entwickelte Satellitentechnik

Hamann interessiert sich für alle Möglichkeiten, die die Raumfahrttechnik für den Klimaschutz bieten könnte. Manche der weltweit gehegten Ideen wie zum Beispiel ein System von „Spiegeln“ zur Reflektion des Sonnenlichtes in einer erdnahen Umlaufbahn hält er aber für unrealistisch: „Das würde sich kaum mit der wissenschaftlichen und kommerziellen Nutzung des Weltalls vereinbaren lassen“, bringt er seine Bedenken auf den Punkt. 

Hamann weiß um die Bedeutung des Weltraums für die Menschheit: Sein Arbeitgeber, das Bremer Unternehmen OHB, hat die meisten Satelliten für das europäische Navigationssystem Galileo gebaut. 2020 wurden weltweit insgesamt 1.200 gestartete Satelliten verzeichnet, ein Rekordwert. OHB beschäftigt derzeit 3000 Mitarbeitende an 14 Standorten in zehn Ländern. Das Bremer Unternehmen entwickelt und fertigt Technologien für die Forschung, die Erdbeobachtung sowie für die Telekommunikation und Datenübertragung. Außerdem will es über die Unterstützung eines Start-ups in die Entwicklung kleiner Raketen – so genannte Micro-Launcher – einsteigen. Und nun das Geo-Engineering-Projekt. „Unsere Idee ist es, dort mit vielen Satelliten eine Art Sonnenschirm aufzuspannen.“ Der könnte einen Teil der von der Sonne Richtung Erde abgestrahlten Energie ins All reflektieren und die Erde in bestimmten Regionen teilweise beschatten.

Ein Schirm, bis zu 30-mal so groß wie Deutschland, im Weltraum aufgespannt: An dieser Zukunftsvision arbeitet Tomas Hamann mit seinem Team. ©WFB/Jörg Sarbach

Die möglichen Folgen eines „Sonnenschirms“ genauer untersuchen

In der mittlerweile zweiten Projektphase hat Hamann mit seinem inzwischen vergrößerten Team die unterschiedlichen Ideen für das Geo-Engineering verglichen und bewertet. Trotz der enormen Kosten landete der Sonnenschirm auf dem dritten Platz – demnach wäre er wirkungsvoll und zuverlässig. Aber der Schirm ist nicht schnell verfügbar, weil die Entwicklung und der Aufbau eines solchen Systems viel Zeit in Anspruch nähmen. „Es dauert mindestens 15 Jahre, um überhaupt ein technisch realisierbares Konzept zu entwickeln, von der anschließenden Installation im Weltall ganz schweigen“, meint Hamann. 

Doch bevor es soweit ist, steht jetzt erst einmal die dritte Projektphase an: „Wir wollen genauer untersuchen, welche Folgen ein solches System nach sich ziehen könnte“, sagt Hamann. Derzeit ist er dabei, ein Expertenteam aus Universitäten und Forschungseinrichtungen in aller Welt zusammenzustellen. „Es geht uns nicht nur um die Machbarkeit schlechthin, wir wollen auch die möglichen Folgen und Auswirkungen auf Mensch und Natur abschätzen“, fasst Hamann zusammen. Deswegen wird dem Fachgremium auch ein Philosophieprofessor der Universität Bremen angehören. Der könnte die Antwort auf eine wichtige Frage geben: „Wir müssen uns auch Gedanken über die ethischen Grenzen und politischen Komponenten eines solchen Vorhabens machen“, ist Hamann überzeugt.